: Laue SPD-Kritik am frühen Wahltermin
■ Bonner Liberale und Christdemokraten reagieren zufrieden auf das Votum ihrer Ost-Partner für gesamtdeutsche Wahlen im Dezember
Bonn/Berlin (taz) - Spürbare Unruhe bei den Sozialdemokraten und Genugtuung im Bonner Regierungslager hat der Beschluß der Volkskammerfraktionen der Ost-CDU und den DDR-Liberalen ausgelöst, noch in diesem Jahr gesamtdeutsche wahlen anzusteuern. Zufrieden darf Bundeskanzler Kohl sein. Nahezu zeitgleich zur Ostberliner Entschließung hatte er am Dienstag abend vor der Bonner CDU/CSU-Fraktion auf rasche Verhandlungen über einen Wahltermin gedrängt. Er äußerte die Befürchtung, nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrags am 2. Juli könnte es zu einem massiven Stimmungsumschwung gegen die deutsche Einheit kommen, der sich gegen die Union richten könnte. „Die Zeituhr tickt“, meinte der Kanzler.
Die DDR-SPD, von deren Zustimmung in der Volkskammer baldige gesamtdeutsche Wahlen abhängen, reagierte distanziert, jedoch nicht grundsätzlich ablehnend auf den CDU-Vorstoß. Der Volkskammerfraktionsvorsitzende Schröder nannte erneut die drei Bedingungen, die vor gesamtdeutschen Wahlen erfüllt werden müßten: einen zweiten Staatsvertrag, der die Interessen der DDR-BürgerInnen bei einem Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes regele; die Konstituierung der fünf Länder sowie die Lösung der außenpolitischen Probleme der deutschen Einigung. Der neue Parteivorsitzende Thierse nannte zwar die CDU-Empfehlung einen „Überfall“, beließ es jedoch bei formaler Kritik: Es widerspreche dem Geist der Koalition, ohne Vorabsprache mit der SPD jetzt eine Festlegung über den Wahltermin zu treffen.
Demgegenüber kann die Zufriedenheit des FDP-Vorsitzenden Lambsdorff über das Votum der Ost-CDU nicht überraschen. Schließlich hatte er sich als erster bereits vor Wochen für gesamtdeutsche Wahlen anstelle der Bundestagswahlen ausgesprochen. Man werde sich beim Wahltermin zwar um einen Konsens mit der SPD bemühen, doch würden Wahltermine von der Regierung festgelegt: „Mehrheit bleibt Mehrheit“, drohte Lambsdorff. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions -Fraktion, Wolfgang Bötsch (CSU), drückte die Erwartung aus, daß sich dem Beschluß auch andere Fraktionen der Volkskammer anschließen würden. Er nannte es „verfassungsrechtlich machbar und politisch wünschenswert“, daß für das Gebiet der DDR auf die Fünf-Prozent-Klausel verzichtet wird.
Der SPD-Parteivorsitzende Vogel wie auch seine Stellvertreterin Herta Däubler-Gmelin wollen in dem Beschluß der Volkskammerfraktionen vor allem ein Problem für den nicht dabei anwesenden DDR-Ministerpräsidenten de Maiziere machen. Die Fraktionen hätten sich damit über die bislang von de Maiziere geäußerte Meinung hinweggesetzt und sich außerdem von der Koalitionsvereinbarung mit der Ost-SPD „entfernt“, sagte Vogel. Diese habe Gespräche über einen Wahltermin erst im Juli vorgesehen. Die SPD -Geschäftsführerin Anke Fuchs sprach in bezug auf den Ostberliner Vorstoß von „Kraftmeierei“. Für die Festlegung eines gesamtdeutschen Wahltermins sei eine verfassungsändernde Mehrheit nötig, die ohne die DDR-SPD nicht zustande komme. Die aber, so Fuchs optimistisch, lehne baldige gesamtdeutsche Wahlen ab.
Ob es bei dieser Position der SPD-Ost bleibt, scheint sich Vogel offenbar nicht so sicher. Die SPD werde den Vereinigungsprozeß mit den Ost-Genossen als Grundlage für ein Antreten bei gesamtdeutschen Wahlen „jetzt weiter beschleunigen“, damit mögliche Wahlen „uns gerüstet finden“, nannte Vogel jedenfalls als Konsequenz aus dem Ostberliner Beschluß. Vogel machte deutlich, daß die Sozialdemokraten nicht Angst vor einem baldigen Wahltermin haben, es ihnen lediglich um das demokratische Procedere der Vereinigung geht, die mit einer Volksabstimmung abschließen solle. Dieser Prozeß aber brauche deutlich mehr Zeit.
In der Bonner SPD wird Vogels Meinung offenbar nicht überall geteilt. Der deutschlandpolitische Sprecher der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Hans Büchler, spricht sich dafür aus, gesamtdeutsche Wahlen zum „frühestmöglichen“ Termin durchzuführen, sofern dies „ordnungsgemäß gemacht“ wird.
gn/eis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen