: „Diese Ingrid Strobl kenne ich nicht“
■ Anfang Mai kam die Journalistin nach zweieinhalb Jahren Haft überraschend „frei“ - auf Widerruf / Denn das OLG Düsseldorf hat einen neuen Haftbefehl erlassen Wegen Unterstützung nach Paragraph 129a war sie zu fünf Jahren verurteilt worden / Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil in wesentlichen Punkten auf / Ein Interview
taz: Kein Mensch hat sich Chancen für den Revisionsantrag Deiner Verteidigung ausgerechnet. Um so überraschender war der Beschluß des Bundesgerichtshofes und die Nachricht, daß Du frei warst. Wann hat Dich die frohe Botschaft erreicht?
Ingrid Strobl: Ich wollte gerade in die Freistunde gehen, da holten sie mich ins Büro und teilten mir mit, daß der BGH mein Urteil aufgehoben hat. Zuerst habe ich gar nicht geblickt, was das heißt. Ich hatte damit ja auch überhaupt nicht gerechnet. Es war eine sogenannte Blitzentlassung und natürlich der totale Schock. Plötzlich stand ich eben vor der Tür. Erst als ich ins Auto stieg, und zwar zum ersten Mal nach zweieinhalb Jahren ohne Handschellen, als ich vorne sitzen durfte und die Tür selbst auf- und zumachen konnte, habe ich kapiert, daß ich raus war.
Du konntest Dich also nicht einmal von deinen Mitgefangenen verabschieden?
Doch, von denen, mit denen ich befreundet war schon. Im Haus wußten sie es ja bereits. Die hatten Radio gehört. Und als die dann sahen, daß meine Zellentür aufstand, was sie sonst nie tat, kamen sie und wir konnten uns kurz verabschieden.
Hattest Du keinen Auf- oder Umschluß mit anderen Gefangenen?
Theoretisch schon. Die ersten Monate saß ich allerdings in Totalisolation. Totalisolation heißt, daß du wirklich von allen Menschen isoliert bist. Da durften mir die Frauen noch nicht einmal vom Fenster aus was zurufen, wenn ich zur Freistunde geführt wurde. Ich habe 24 Stunden am Tag außer den Schließerinnen keinen Menschen gehört oder gesehen, obwohl ich immer wußte, daß um mich herum 100 Frauen sind. Lange Zeit war ich ja auch in einer Zelle ohne Fenster. Später durfte ich nach Ermessen der Haftanstalt an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen. In München gab es Aufschluß, daß heißt, circa eineinhalb Stunden am Tag wurden alle Zellentüren auf einem Flur aufgemacht und dort konnten wir uns „frei“ bewegen und miteinander quatschen. Im Knast in Essen gibt's nur den sogenannten Umschluß. Für eine oder eineinhalb Stunden am Abend kannst du dich mit einer anderen Gefangenen auf der Zelle zusammenschließen lassen. Dann mußt du aber sehen, wie du für diese Zeit mit der wildfremden Frau klarkommst. Ich habe das nicht gemacht und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil ich eigentlich nie Frauen wirklich kennenlernen konnte, weil sie kaum oder nie in die Freistunden kamen. Der zweite Grund war, daß Bärbel Perau (wegen angeblicher RAF-Mitgliedschaft und Beihilfe zu einem Anschlag auf eine Bundesgrenzschutz-Kaserne in Swisstal zu 9 Jahren verurteilt. Anm. d. Red.), die auch in dem Knast war, keinen Umschluß hatte. Ich konnte keinen Umschluß machen mit dem Gefühl, die Bärbel sitzt jetzt in ihrem Loch. Das ging nicht. Also saß ich 23 Stunden täglich in meiner Zelle und war eine Stunde mit den anderen auf dem Hof.
Haben Dich die Mitgefangenen besonders behandelt, weil Du eine politische Gefangene warst und außerdem bekannt?
Das war so eine Mischung. Auf der einen Seite finden sie uns toll, weil sie wissen, daß wir uns wehren, zum anderen halten sie uns für Leute mit Privilegien. Wir bekommen Besuch, die aber kaum. Und wenn die Schließerin mit der Post kam, hat sie in jede Zelle höchstens einen Brief reingetan, bei mir aber 10 oder 20. Natürlich entsteht da Neid. Aber objektiv ist unsere Lage im Knast schlechter als die der anderen. Alleine schon deshalb, weil jede eine oder mehrere findet, mit der sie etwas gemeinsam hat: Erfahrungen, Lebensgeschichte, Drogen, Musik usw. Wir Politischen aber werden systematisch voneinander isoliert, also genau von denen, mit denen wir etwas gemeinsam haben. Das macht sehr einsam.
Welche Sonderbehandlung bekamst Du als 129a-Gefangene?
Ich durfte keinen Schritt alleine tun. Selbst mein „Duschvorgang“ wurde überwacht. Vor und nach jedem Hofgang wurde ich abgepiept mit der Metallsonde, ebenso bei jedem Besuch ohne Trennscheibe. Außerdem mußten die bei mir viel mehr Zellenrazzien machen als bei anderen. Insofern kriegst du das schon zu spüren. Aber es wäre gelogen, zu behaupten, es hätte mich jemand extra schikaniert. In Köln läuft das ganz anders. Als die vier Frauen (Sieglinde Hoffmann, Adelheid Schulz, Ingrid Jakobsmeier, Christa Eckes. Anm. d. Red.) dort ihren Solistreik für die Grapo gemacht haben, haben die deren Zellen demoliert, den Nescafe über die Bücher geschüttet und solche Sachen. Sie wurden eine Woche auseinandergerissen und in Leerzellen gesteckt. Sie haben nicht einmal Papier oder Bücher bekommen. So was lief im Essener Knast nicht. Was die Briefzensur betrifft: Die Post wird nicht nur gelesen, sondern auch zensiert. Vieles kriegst du gar nicht.
Weißt Du denn, wieviel Briefe Du nicht bekommen hast?
Ich habe jetzt meine Habe abgeholt und da waren zwei Kisten mit angehaltener Post dabei, auch Bücher. Dazu kommt, daß auch die Anwaltspost zensiert wird. Zu uns kommt kein Fitzelchen rein, das nicht von einem Kontrollrichter ausgewertet und nach seinem Gutdünken aussortiert oder gnädig gewährt wurde. Außerdem werden alle Besuche überwacht. Sie laufen bis auf wenige Ausnahmen immer mit Trennscheibe. Immer ist einer vom LKA und eine Schließerin vom Knast dabei, und das alles auf winzigstem Raum, wo sie dir fast auf dem Schoß sitzen. Da könnt ihr Euch vorstellen, wie offen man sich unterhalten kann. Es geht ja nicht nur darum, daß du nichts politisch „Gefährliches“ diskutierst, sondern daß du auch nichts Persönliches sagen willst, weil es die einfach nichts angeht, wie es dir geht.
Hattest Du Kontakt zu anderen politischen Gefangenen?
Solange du in Untersuchungshaft bist, läuft einfach nichts und du hast keine Chance, mit anderen politischen Gefangenen zusammenzukommen. Bei mir hat die Untersuchungshaft zweieinhalb Jahre gedauert, bei Bärbel Perau dauert sie jetzt schon vier Jahre, weil die Revision noch nicht abgeschlossen ist. Das heißt vier Jahre totale Isolation. Bärbel und ich durften uns nicht angucken, nicht anfassen. Wenn eine von uns zufällig auf dem Flur war, durfte die andere solange nicht raus. Einmal haben sie nicht aufgepaßt. Da war Bärbel in der Dusche, und ich wurde in die Kammer gerufen, um Wäsche zu holen. Da kam sie hoch und wir sind uns um den Hals gefallen und haben uns zweieinhalb Sekunden abgeknutscht. Sie haben uns sofort auseinandergerissen. Das Haus war in heller Aufregung, weil, es hätte ja die Welt untergehen können, weil wir uns mal kurz ein Küßchen gegeben und uns umarmt haben. Ich habe Umschluß mit Bärbel beantragt. Das wurde abgelehnt. Denn es steht explizit in unseren Haftbedingungen drin, daß wir von allen 129a -Gefangenen fernzuhalten sind.
Dein 129a-Verfahren hat wie kein anderes bis in liberale Kreise hinein Aufsehen und Empörung erregt. Während Dich die einen zur aufrechten Widerstandskämpferin stilisierten, haben Dich andere als verführtes Opfer dargestellt. Aber alle sprachen sie von Ingrid Strobl. Wie gehst du mit dieser Person um?
Diese Ingrid Strobl kenne ich nicht. Vor dieser öffentlichen Figur stehe ich selbst immer wieder staunend, und es ist für mich schwer, sie in den Griff zu bekommen, sie mir vorzustellen. Deswegen kann ich auf diese Frage kaum antworten. Der entscheidende Punkt für mich ist, daß ich mich einerseits über die Solidarität gefreut habe. Denn Solidarität ist überlebenswichtig im Knast. Es ist etwas anderes, wenn du dort hockst und weißt, die Leute können dir drinnen jetzt zwar in deiner Einsamkeit nicht helfen, aber draußen haben sie ein Auge drauf, was mit dir passiert. Sie schreiben dir. Und du freust dich über jeden Brief, denn es ist ein Lebenszeichen und hält Kontakt. Diese Solidarität durchbricht zumindest punktuell die Isolation. Gleichzeitig habe ich allerdings auch versucht, gegen die Rolle als Promi -Gefangene, um die sich alle kümmern, anzukämpfen. Denn ich wußte ganz genau, daß das bei den anderen nicht so läuft. Das war aber ziemlich schwer. Bei der Strobl haben einige vermutet, daß sie im Grunde lieb und harmlos ist. Außerdem ist sie Journalistin. Das hat für viele KollegInnen sicher eine Rolle gespielt. Aber andere Leute wie Bärbel Perau kennt man nicht, und da ist es wurscht, was mit denen passiert. Da nimmt man schon eher an, daß da was dran ist. Und wenn man so denkt, denkt man in den Begriffen schuldig/unschuldig. Dies bedeutet, daß diejenigen Leute, die aktiv und bewaffnet Widerstand leisten, „schuldig“ und damit zurecht im Knast sind. Ich lehne diese Begriffe ab. Juristisch geht es natürlich darum, ob sie dir etwas beweisen können oder nicht. Viele Leute, denen sie die Anschläge gar nicht nachweisen können, stecken sie trotzdem in den Knast, weil sie das mit einem 129a-Verfahren durchziehen können. Allein schon deswegen sollte ihnen die Öffentlichkeit auf die Pfoten gucken. Das erfordert, daß Leute auch in andere Verfahren reingehen, wie jetzt bei Luitgard Hornstein (Sie war in erster Instanz wegen Mitgliedschaft in der RAF verurteilt worden. Zur Zeit läuft gegen sie das Revisionsverfahren in Stuttgart-Stammheim. Anm. d. Red.), und Öffentlichkeit schaffen.
Glaubst Du, der Bundesgerichtshof hat das Urteil nur deswegen in den gravierenden Punkten aufgehoben, weil so viel Wind um deinen Fall gemacht wurde?
Ich kann das nicht einschätzen. Es gibt AnwältInnen, die vermuten, daß der BGH mein Urteil nur deswegen so genau gelesen hat. In der Diskussion mit anderen bin ich zu dem vorläufigen Schluß gekommen, daß durch meinen Prozeß der § 129a über die engere Szene hinaus in Verruf geraten ist. Möglich ist, daß der BGH diesen Kreisen, die Mißtrauen gegen den Staat oder zumindest gegen diesen Paragraphen entwickelt haben, vermitteln wollte: Manchmal schießt jemand übers Ziel hinaus, aber es gibt ja noch eine Gerechtigkeit, siehe uns, die dieses Urteil wieder aufhebt. Der Rechtsstaat funktioniert noch, also Leutchen, regt Euch nicht auf. Wenn aber derselbe Strafsenat des BGH, der bei Strobl so „gerecht“ war, bei Luitgard Hornstein zum Beispiel der Revision der Bundesanwaltschaft stattgibt, weil sie vielleicht doch am Dornier-Anschlag beteiligt war, dann muß an dieser Konstruktion der Bundesanwaltschaft auch was dran sein. Es ist ein Spaltungsversuch, um die Kreise, die wegen meiner Geschichte ins Zweifeln gekommen sind, wieder zu beruhigen.
Ist der Versuch Deiner Meinung nach gelungen?
Die Presse jedenfalls hat genauso reagiert. Der 'Spiegel‘ hat vom „Ende einer Ära exzessiver Strafverfolgung gegen mutmaßliche Terror-Anhänger“ geschrieben.
Der Spruch des BGH gibt das aber überhaupt nicht her. In einer Passage, die von der Presse nicht zitiert wurde, heißt es: „Ein tragfähiges Indiz, nicht eine solche Gruppe (die Guerilla diffusa - d. Red.), sondern gerade die Revolutionären Zellen zu unterstützen, wäre es beispielsweise gewesen, wenn - unabhängig vom Weckerkauf eine Beziehung der Angeklagten zu Mitgliedern dieser terroristischen Vereinigung oder jedenfalls eine geistige Nähe (Hervorhebungen durch die Red.) der Angeklagten zu deren terroristischem Gedankengut hätte festgestellt werden können.“ Da ist also genau das wieder drin, was Dein Fall als Gesinnungsurteil in Verruf gebracht hat. Die Ohrfeige fürs Oberlandesgericht Düsseldorf ist also doch nicht so schallend.
Nein, ganz im Gegenteil. Es gab ja ganz viele Urteile, bei denen Leute nur aufgrund persönlicher Bekanntschaft oder geistiger Nähe wegen Mitgliedschaft verurteilt wurden. Soweit ich weiß, hat der BGH in solchen Fällen Revisionen immer abgelehnt und die Urteile bestätigt. Bei mir hat er nun zum ersten Mal diese Kriterien selbst formuliert. Und das ist natürlich schlimm. Denn in Zukunft kann sich jedes OLG auf diesen BGH-Beschluß berufen. Die tatsächliche Ohrfeige bestand nur darin, daß sie sagten: Macht uns nicht noch einmal so aberwitzig lasche Begründungen, die in der Öffentlichkeit Empörung hervorrufen. Macht eure Urteile wasserdichter.
Man kann das BGH-Urteil auch so lesen, daß einer Journalistin erst einmal zugute gehalten werden muß, daß sie sich aus beruflichen Gründen mit den entsprechenden Themen beschäftigt und daraus noch keine geistige Nähe geschlossen werden kann. Also ein JournalistInnen-Bonus für Frau Strobl. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dies ja genau anders herum gewertet.
Das OLG hat gesagt, daß ich mich mit diesen anschlagsrelevanten Themen intensiv beschäftigt habe, beweist, daß ich mit den RZ was zu tun habe. Der BGH aber meinte, daß es auch umgekehrt sein kann, weil die RZ sich daran orientieren, was gerade ein politisches Thema ist. Andererseits sagen sie aber auch, daß die Tatsache, daß ich Journalistin bin, kein Beweis ist, weil das eben zum Beruf gehört. Das heißt aber für jeden und jede Nicht -Journalistin, bei der sie Broschüren finden und ihr einen Anschlag anhängen wollen, daß die geistige Nähe da ist.
Vom Oberlandesgericht Düsseldorf liegt inzwischen ein neuer Haftbefehl gegen Dich vor, in dem die Urteilsschelte des BGH einfach ignoriert wird.
Da kann ich nur sagen: Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Denn kurz gefaßt sagt der BGH in seinem Urteil, daß ich nicht gewußt hätte, daß der Wecker für die RZ bestimmt gewesen sei und deshalb auch der § 129a nicht in Betracht komme. Außerdem hätte ich nicht gewußt, daß der Wecker für den Anschlag auf die Lufthansa bestimmt war. Weshalb auch eine Verurteilung wegen eines schweren Sprengstoffanschlags nicht in Frage komme. Das OLG aber schreibt im neuen Haftbefehl wörtlich: „Die Angeschuldigte hat den am 28.10.1986 bei einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptverwaltungsgebäude der Deutschen Lufthansa als Zündzeitverzögerer benutzten mechanischen Wecker (...) in Kenntnis seines Verwendungszwecks erworben.“ Das OLG ignoriert also völlig den BGH-Beschluß und bleibt bei seiner alten Begründung.
Welche Konsequenzen hat das für Dich?
Ich weiß es nicht. Das OLG kann mich noch einmal so verurteilen, daß ich in den Knast zurück muß. Die Frage ist, ob sie sich das trauen. Aber den Formulierungen in meinem neuen Haftbefehl nach träumen sie offensichtlich davon. Sie schreiben ja: „Sie hat auch nach Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach 129a (...) mit einer hohen Freiheitsstrafe zu rechnen, von der nach Anrechnung der bisher erlittenen Untersuchungshaft ein erheblicher Strafrest übrig bleibt. Ob dessen Vollstreckung auch ohne weiteren Strafvollzug zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, kann derzeit noch nicht beurteilt werden.“ Ich bin nur haftverschont bis zur neuen Verhandlung. Ich muß mich jede Woche einmal bei der Polizei melden, darf das Land nicht verlassen und habe keine Papiere. Und in diesen Auflagen steht als letzter Satz, daß der Haftbefehl jederzweit wieder in Vollzug gesetzt werden kann. Das Gespräch führte
Ulrike Helwerth und Jürgen Sal
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