: Mutlangen-Blockierer im Knast
Wir, Holger Jänicke und Christof Then, sitzen zur Zeit in der Heidenheimer Justizvollzugsanstalt eine neun beziehungsweise einmonatige Gefängnisstrafe ab (Holger vom 6.11.89 bis 5.8.90 und Christof vom 7.5. bis 6.6.90), weil wir zwischen den Jahren 1985 bis 1987 wiederholt in Mutlangen und im Hunsrück stationierte nukleare Massenmordwaffen gewaltfrei blockiert hatten.
Wir wurden verurteilt, weil wir US-Soldaten angeblich mit Gewalt zum Anhalten zwangen; unser Verhalten war angeblich verwerflich, weil wir die Fahrer erheblich in ihrer freien Willensentschließung beeinträchtigt hätten und sie zum willenlosen Opfer degradiert hätten, da ihnen keine andere Wahl blieb, als sich unserem Willen zu beugen. Daß wir die Soldaten anhielten, als sie in die oder aus den Militärdepots fahren wollten, in denen sie an der konkreten nuklearen Kriegsvorbereitung beteiligt waren, wurde von allen Richtern als für die Wahrheitsfindung nicht relevant abgetan.
Natürlich halten wir es für einen politischen Skandal, daß weiterhin Menschen ins Gefängnis gesperrt werden, weil sie sich der Vorbereitung des nuklearen Massenmords gewaltfrei in den Weg gesetzt haben. Gleichzeitig fragen wir uns, liegt der größere Skandal nicht darin, daß in unserer Verfassung und Gesellschaft - trotz weitgehender Abrüstungsschritte des Ostens, trotz aller Versöhnungsangebote des Ostens - die Drohung mit und die Vorbereitung von nuklearem Massenmord noch immer nicht geächtet ist, daß die BRD, und mit ihr die Nato-Staaten, das militärische Abschreckungsdenken in keiner Weise überwunden haben, obwohl mit Beginn der Auflösung des Warschauer Paktes und mit Beginn der Umwandlung der Sowjetunion in System sozialer Marktwirtschaft auch dem letzten Kalten Krieger sein Feindbild entzogen ist?
Ist das im Grunde nicht viel unerträglicher, daß die USA ohne Widerspruch der Bundesregierung die Stationierung von luftgestützten Nuklear-Raketen, die bis tief in die Sowjetunion reichen und die teilweise die militärstrategischen Funktionen der Pershing II übernehmen sollen, in Erwägung ziehen können, ohne daß ein Aufschrei der Empörung durch die bundesrepublikanische Öffentlichkeit geht.
Und ist es nicht mehr als bedenklich, auf wie wenig öffentlichen Protest Kohl und Genschers Forderung nach einem in die Nato integrierten Großdeutschland stößt?
Und ist es nicht zu guter Letzt viel erschreckender, wie wenig wir als friedenspolitische, außerparlamentarische Opposition tatsächlich in der Lage sind, jetzt, wo die Chancen zur grundsätzlichen Veränderung so gut ständen, ins politische Geschehen einzugreifen und politische Gegenmacht zu entwickeln, und das obwohl eine BoA-Kampagne im Entstehen ist, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, von unten Armee, Militär und Rüstung in diesem Lande abzuschaffen und soziale Verteidigung aufzubauen?
Uns jedenfalls scheint unser Aufenthalt im Gefängnis angesichts des noch immer herrschenden Unfriedens zwingend. Erst, wenn die Mächtigen in diesem Lande tatsächlich zu einer grundsätzlichen Veränderung ihrer Militärpolitik bereit sind, wenn sie auf Drohung mit nuklearem Massenmord, wenn sie auf Abschreckung, Rüstung und Militarismus verzichten, erst wenn sie aus politischer Überzeugung gewaltfrei zivilen Ungehorsam gegen nukleare Abschreckung und Kriegsvorbereitung für recht und notwendig erklären, erst dann werden Menschen nicht mehr ins Gefängnis gehen müssen.
Der Knastalltag, 23 Stunden in einer acht Quadratmeter großen Zwei-Mann-Zelle eingesperrt, eine Stunde Hofgang, ist zwar kein Sonntagsspaziergang, aber er ist - jedenfalls für uns - gut erträglich, vor allem auch deshalb, weil wir von der Hoffnung getragen sind, daß wir der staatlichen Abschreckung widerstehen können, daß dieses scheinbare Ausgeliefertsein an staatliche Macht zur gewaltfreien Waffe wird, mit der wir das Gewissen der Menschen erreichen und sie ermutigen, das Entsetzen zuzulassen, das uns packt, packen muß, wenn wir uns die auf uns zukommenden möglichen Katastrophen vor Augen führen, aber auch ermutigen, das Nötige zu tun.
Christof Thenn, Holger Jänicke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen