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„Überall wird gegen alles getreten“

Fußball im Abseits: Interesse am runden Leder zeigen in den USA nur die hispanischen Einwanderer / Erstaunte Reporter berichten aus Italien wie im 19. Jahrhundert aus den Kolonien  ■  Aus Washington Rolf Paasch

Fußball ist in den USA immer noch das unbekannte Sportwesen, auch wenn das eigene Team heute zum dritten und vermutlich letzten Mal bei dieser WM gegen den Ball tritt. Als die ersten US-amerikanischen Sportreporter Anfang Juni nach Italien losgeschickt wurden, sandten sie zunächst Vorberichte, die an die pseudo-ethnologischen Reportagen britischer Reiseschriftsteller des 19. Jahrhunderts aus den Kolonien erinnerten.

In Italien, so wußte der Sportkommentator des öffentlich -rechtlichen „National Public Radio“ zu berichten, werde überall getreten. „Kinder treten leere Cola-Dosen durch die engen Straßen, erwachsene Männer treten Lederbälle über den Sportplatz und die Fans treten sich gegenseitig.“ Fassungslos staunten die Reporter über das Ausmaß der Begeisterung am fußballverrückten Stiefel. Die herumziehenden Hooliganhorden verfolgte man mit einem furchtsamen Unverständnis der tribalistischen und chauvinistischen Dimensionen des World Cup.

Die Identifikation mit „soccer“ beschränkt sich in den USA trotz der ersten Teilnahme des eigenen Teams seit 1950 immer noch auf die süd- und mittelamerikanischen Einwanderergruppen. Allein aus kolumbianischen Cafes und mexikanischen Restaurants dröhnen täglich um 11 und 15 Uhr minutenlang anhaltende Torschreie. Hier gelingt es den spanischsprechenden Komentatoren des Kabelkanals „Univision“, der ingesamt 24 Spiele überträgt, noch so etwas wie Weltmeisterschaftsfieber herzustellen.

Auf dem konkurrierenden Sender TNT des CNN-Fernsehmoguls Ted Turner wird dagegen auch noch die attraktivste Kickerei von der trockenen Didaktik aus England angeheuerter Fussballexperten zerredet. Um gegen die Italiener zu gewinnen, so wird da graphisch eine Schulbuch-Tabelle eingeblendet, muß das US-Team: - hohe Bälle spielen; - den gefährlichen Vialli ausschalten; - schnelle Konter versuchen. Als wenn dies für die Freizeitkicker aus New Jersey und Florida so einfach wäre wie im Baseball, wo die Statistikisierung die Sportart längst in den Rang einer ernstzunehmenden Wissenschaft erhoben hat.

Daß man Fußball einfach spielt, ohne daß der Trainer wie im Basketball seinen Mannen in 27 Auszeiten jeden neuen Spielzug aufs Handtäfelchen malt; daß im Fußball Tore die Ausnahme und nicht die Regel sind, dies kommt dem amerikanischen Durchschnitts-Sportfreund eher spanisch vor. Und auch diejenigen, für die der Sport nur eine Ausrede zum illegalen Glückspiel und Wetten ist, können mit „soccer“ recht wenig anfangen. „Viel zu wenig Trefferkombinationen, auf die ich hier setzen könnte“, so belehrte mich mein enttäuschter Nachbar nach dem 0:1 gegen Italien.

So mögen denn die lateinamerianischen Fans zwischen Los Angeles und Miami in diesen Tagen über Kabel und Satellit begeistert den „Coppa del Mondo“ verfolgen, „Middel America“ dürfte die Lederkugel wohl kaum erobern. Der „working class“ -Sport, der Kids in Glasgow, Liverpool, Neapel oder Sao Paulo begeistert, paßt einfach nicht in die amerikanische Provinz oder die manikürten Vorstädte.

Im Gegensatz zu Europa, wo der Fußball immer noch ungekrönter König unter den Sportarten ist, ist der US -Sportkalender mit den fast gleich beliebten einheimischen Sportarten Baseball, Basketball und Eishockey bereits zu voll. Die arbeitende Bevölkerung wäre hier völlig überfordert, jetzt auch noch das fremde „soccer“ zu adoptieren. Mit dem Baseball „bat“ ist man schon als Neunjähriger ins Bett gegangen, Basketballregeln gehören längst zum Erbgut, aber die unsinnige Abseitsregel im Fußball, die müßte man ja erst noch lernen.

Die amerikanische Indifferenz gegenüber dem Fußball erklärt sich so nicht zuletzt aus dem grundsätzlich mangelnden Interesse an allem „Ausländischen„; wo man doch gewohnt ist, die wirklichen Weltmeisterschaften im Eishockey, den Stanley Cup, allein mit den Kanadiern auszuspielen.

Trotz der US-Gastspiele von Pele, Chinaglia und Beckenbauer in den frühen 80er Jahren und den jüngsten Popularisierungsbemühungen der Medien wird Fußball bei seiner amerikanischen WM-Premiere 1994 hierzulande weiterhin dort stehen, wo sich seine unerfahrenen Stürmer immer wieder verlaufen: im Abseits.

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