: TRIUMPH DER SCHLICHTHEIT
■ „Das einfache Glück“ im Alhambra und Babylon (West)
Berlinfilm: Es gibt die Großstadt-Moloch-Berlinfilme, es gibt die WG-Familien-Berlinfilme, es gibt die Lothar-Lambert -Berlinfilme (immer noch die besten), es gibt die Weltuntergangs-Berlinfilme und es gibt die Kiez- und Kneipen -Berlinfilme. Zu letzteren gehört „Das einfache Glück“. Der Regisseur und Autor nimmt allerdings in Anspruch, nicht berlinspezifische, sondern allgemein-universelle Aussagen über Kiez und Kneipen zu treffen. Er hat dennoch Berlinförderungsmittel erhalten.
Kurzinhalt: Frank (!) und Sabine (!!) sind ein einfaches (!!!) Paar. Er treibt sich in einfachen Eckkneipen rum, sie erlernt das Frisörhandwerk. Weil Frank kein Geld hat, verläßt ihn Sabine hin und wieder. Frank braucht also Geld, um Sabine halten zu können (am Ende des Films haben die beiden gelernt, sich auch ohne materielle Basis zu lieben). Das wissen sie vorher aber nicht. Darum läßt sich Frank auf kleinkriminelle Machenschaften ein. Max, der kleine Kiezganove, macht Frank zu seinem Partner, legt ihn aber später aufs Kreuz. Sabine (weibliche Intuition) ahnt, ja wittert die Gefahr. Der Film hat ein offenes Ende. Man weiß nicht, ob es Max gelingt, Frank und Sabine einen Toten in die Schuhe zu schieben. Meist spielt der Film in der besagten einfachen Eckkneipe oder an anderen einfachen Orten (Opel Manta, Hinterhauskabuff, Frisörsalon), wo wir einfachen Menschen begegnen. Es geht ganz allgemein um das Erlangen des einfachen Glückes.
Opel-Manta-Schwanz: Liebe Auszubildende im Frisörhandwerk, stell Dir vor, Du bist gesichtsmäßig und auch sonst derart ausgestattet, daß Du ohne weiteres auf der berühmten fünften 'BZ'-Seite für die morgendliche Halberektion in der U-Bahn posieren könntest. Ansonsten bist Du reichlich beschränkt, plapperst hochgradigen Dünnpfiff mit einem nervtötenden Stimmchen, verfügst dafür aber über mäßig weibliche Intuition. Nun passiert es eines Tages, daß Du nach einem aufreibenden Arbeitstag den kleinen Haarmodensalon verläßt, und draußen wartet Dein schon öfters Verflossener, der aber immer wieder zurückgeflossen kam. Diesmal hat er sich für den geplanten Wiederanschluß etwas ganz Besonderes ausgedacht: er steht auf der anderen Straßenseite und wedelt - nein, nicht mit dem Schwanz sondern mit dem Autoschlüssel zum Gebraucht-Opel-Manta, den er als Gleitmittel gleich mitgebracht hat. Nun kannst auch Du nicht mehr anders, hübsche/beschränkte/nervtötende/intuitive Auszubildende, und fällst der schnauzbarttragenden Jogginghose überschwenglich um den Hals, und Ihr beide könnte es gar nicht mehr erwarten, daß er den Schlüssel einführt und durchstartet. So schön kann das einfache Glück sein.
Der einfache Mensch: Regisseur Edzard Onneken (25) liebt den einfachen Menschen, den er gerne in Eckkneipen aufsucht. „Da gibt's im Gegensatz zu den sogenannten In -Lokalen, wo meist nur herumgeschwafelt wird, eine direkte Ansprache, die mir gefällt. Wenn du da reinkommst und wenn dich die Leute akzeptieren, dann nehmen sie dich, auch als total Fremden, sofort auf und ganz ernst. Und reden gleich mit dir und laden dich auf ein paar Bier ein. So habe ich es in Eckkneipen erlebt“ (aus dem Reklame-Interview des Presseheftes). So einen abgestandenen Quark (Gehirnrahmstufe: 1%) habe ich seit Peter Alexanders kleiner Kneipe nicht mehr gehört. Aber wo Alexanders musikalische Gemeinheit durchaus schwere Traumata hinterließ, indem Text und Melodie das Bedürfnis nach der kleinen sing- und trinkseligen Volksgemeinschaft genau auf den tümlichen Punkt brachten, da ist Onnekens Wiederaufbereitung vom einfachen Glück lachhaft, meist aber öd klischeehaft (vgl.: Marx, Geschichte, Wiederholung, Tragödie, Farce).
Der einfache Mensch, das ist: unverdorbene Seele, schlichtes Gemüt, unbefangene Natürlichkeit, gesunder Menschenverstand, unverstellte Sprache, echte Gefühle, direktes Dasein - kurz: all das krude bio-ideologische Gestammel, das gerade in Deutschland zu jeder Zeit Anhänger fand: Jugendbewegung, Wandervogel, Blut und Boden, Heimatfilme, Landkommunen, spirituelle Erneuerung, etc. Da, wo die einfachen, besser: eigentlichen Menschen sind, da ist die Welt noch in Ordnung - scheint unausrottbar zu sein, dieser Pathos vom kleinen Mann und seiner kleinen Frau.
Schultheiss- und Futschi-Neger: Regisseur Onneken sucht den einfachen Menschen zwar gerne in Eckkneipen auf, ist aber selbst kein einfacher Mensch, vielmehr ein Völkerkundler, ein Feldforscher, der den eingeborenen Kiezbewohner mit Sympathie und Interesse beobachtet, so wie die weißen Kolonialforscher ja auch hin und wieder eine herrliche Zuneigung zu den Negern faßten - eben weil sie in ihrer Einfachheit so putzig waren. Onneken: „Die Geschichte dreht sich um ein paar Figuren: Die haben Träume, die wollen groß rauskommen, aber irgendwie schaffen sie es nie. Diesen Typen fehlt einfach der Durch- und Weitblick, die reflektieren nicht zu spät, aber genau das macht sie für mich sympathisch.“
Also stiefeln die Filmfiguren mit einer geradezu erschütternden Blödigkeit über die Leinwand, und man stellt sich die beklemmende Frage, ob es tatsächlich so schlimm um den einfachen Kiezbewohner bestellt ist. Sie dürfen weder richtig fies und widerlich sein noch Anzeichen von Witz und Verstand erkennen lassen. Sie bleiben auf eintönige Weise dumm, langweilig und einfach. Selbst im Verlieren sind sie mittelmäßig. Nach der Filmvorführung verspüre ich für einen kurzen Moment den Impuls, mich dem Yuppie-Dasein zu verschreiben.
Dralla
„Das einfache Glück“ (BRD 1990), Premiere mit Musik und Buffet heute, 20.30 Uhr im Alhambra, Müllerstr. 136. Ebenfalls ab heute auch im Babylon, Dresdener Str. 126.
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