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Der Vogelbiskuitbäcker

■ In einem Findorffer Hinterhaus werden zur Musik von Bach und Brahms Hansis Leckerbissen gebacken

Die Tür zu seiner kleinen Bäcker ei steht offen. Nur müsam dringt das Tageslicht durch belegte Fensterscheiben in diese etwas mehr als wohnzimmergroße Backstube in einem Findorffer Hinterhaus. Zwei nackte Neonröhren beleuchten Wände, an denen die Feuchtigkeit mit langen Zungen leckt. Dichtgedrängt stehen hier Regale neben Arbeitstischen und dem riesigen Ofen. Aus dem altersschwachen Transistor über dem Küchenbuffet tönt unsicher eine Arie aus Bachs h-moll Messe: Der Meister hört

-wie jeden Tag - Radio Bremen zwei.

Hermann Johannes zieht gerade die letzten Bleche der Tagesproduktion aus dem Ofen, „Bremer Delikatess -Eibiskuits“, in Schiffchen- und Kastenform, eine Lieferung für das Haus Karstadt. Doch die faustgroßen, appetitlich goldbraunen Kekse sind nicht jedermanns Geschmack: Hermann Johannes backt ausschließlich für Sing-und Ziervögel.

Der Eigenbrötler

Seit zwanzig Jahren steht der Vogelbäcker Tag für Tag hinter seinen Biskuitblechen und backt im Auftrag der gesamten Bundesrepublik: 250 für Wuppertal, 180 für München, 60 für Flensburg. Über 400 Kunden, allesamt Samen- und zoologische Händler, schätzen die handgemachte Ware aus Mehl, Zucker und frischen

Eiern, die Johannes mit teilweise musealen Geräten herstellt: Seine Rührmaschine von Hagen und Rienau hat er von seinem Vater übernommen, ebenso die kleinen Blechformen, die er allerdings heute nicht mehr mit dem Pinsel einfettet, sondern per Sprühpistole. Die Rechnungen schließlich tippt er auf einer „Continental Wanderer“ aus dem Jahre 1908: „Die braucht ein neues Farbband, ansonsten läuft die wie neu“, freut er sich über sein Schmuckstück aus der alten Zeit. „Die wird mich überleben.“

Das Tagewerk

Zwanzig Kilogramm Teig rührt der gelernte Großhandelskaufmann in Sachen Baumwolle pro Schicht an und formt daraus bis zu 2.000 „begehrte Leckerbissen“ für Kanaris und andere „gefiederte Freunde“. Kein Zuckerschlecken, denn die Arbeit ist schwer und eintönig: Teig anrühren, Formen ausspritzen, Bleche in den Ofen, nach 30 Minuten wieder heraus, Biskuits eintüten, Tüten zuklemmen. Wenn die Vogelkekse schließlich in Pakete verpackt sind, setzt Johannes sich auf sein Fahrrad und bringt die Fracht zur Post. Von halb acht bis eins dauert die Produktion jeden Tag. Danach muß Meister Johannes zwei Stunden ruhen, um sich mit Kraft und Konzentration seinen Hobbies widmen zu können.

„Meine Freunde halten mich für verrückt“, strahlt der 54jährige Eigenbrötler, der sich mit Bergsteigen und ballroom-dancing fit hält. Den Ruf des Spinners hat ihm nicht nur sein in der Bundesrepublik wahrscheinlich einmaliges Handwerk eingetragen, sondern auch seine privaten Leidenschaften. Johannes jagt in Antiquariaten nach Büchern der 1924 gegründeten und im Krieg zer

störten Deutschen Buchge meinschaft, sammelt antike Münzen und philosophiert gern. „Ich bin möglicherweise der einzige Vogelbiskuitbäcker, der das Vater unser auf gotisch rezitieren kann“, erklärt Johannes und gibt vor der akkustischen Kulisse von Brahms Opus 20 eine Kostprobe seines Könnens. „Atar unsar thui in himinam ...“ Dabei malen seine Hände seltsame Figuren in

die Luft.

Ein designierter Nachfolger für das seltsame Geschäft des schrulligen Bremers ist nicht in Sicht. „Requiescant in pace“ wünscht er seinen alten Maschinen für den Tag, an dem er seine Backstube schließt, um endlich ungestört die letzten, fehlenden Exemplare der Deutschen Buchgemeinschaft aufzustöbern. Markus Daschne

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