: Liebe - Laster - Leidenschaft
■ Ein Thementag der Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“, Sonntag, 12 Uhr - 0.30 Uhr in 3sat
Programmhinweis: „Liebe Zuschauer, sehen Sie jetzt noch einmal, wie seinerzeit Erich Honecker lustvoll mit Leonid Breschnew züngelte, haben Sie keine Angst, daß der anwesende Drafi Deutscher sein „Marmor, Stein und Eisen bricht...“ schmettert, staunen Sie darüber, was Männer mit blutsaugenden Vampiren gemeinsam haben, und hören Sie, was eine Lebensberaterin der 'Bravo‘ Wissenswertes - vielleicht auch für Ihre Beziehungskiste - mitzuteilen hat. Sehen, staunen, hören Sie!“
Was sich hier ausnimmt wie das illustre Angebot eines TV -Jahrmarktschreiers, hat doch Kalkül. Aus diesem scheinbar zusammenhangslosen Grell-Bunten soll im Verlauf der zwölfeinhalb Stunden ein mehr oder minder fest geschnürtes Ganzes entstanden sein, so jedenfalls die Idee. Eine Idee, die der Erläuterung bedarf:
Fernsehen ist eine Fabrik. Es gibt die tagtäglich, stets nach gleichem Muster produzierte Dutzendware, es gibt das sorgsam angefertigte Einzelstück und, wie in jeder größeren Fabrik, gibt es ein kleines Forschungslabor, das Prototypen herstellt, die zur praktischen Erprobung und Weiterentwicklung konzipiert und umgesetzt werden. Im ZDF nennt sich diese Experimentierküche Das Kleine Fernsehspiel. Bis vor kurzem wurden hier ausschließlich innovative Einzelstücke realisiert und im Spätprogramm ausgestrahlt. Doch Fernsehen wird primär nicht als Abfolge von Unikaten rezipiert, sondern eher, wie die Auswertung der Einschaltquoten belegt, als kontinuierlicher Programmfluß. Ausgehend unter anderem von dieser Einsicht haben die RedakteurInnen des Kleinen Fernsehspiels die Fernsehwerkstatt „quantum“ gegründet. Neben der Neuformung altbekannter Fernsehgenres, wie beispielsweise durch das Frauenachrichtenmagazin NOVA, steht hier die Gestaltung ganzer Fernsehtage auf dem Programm.
Für Liebe - Laster - Leidenschaft heißt das ein ständiger Wechsel von Gesprächsrunden und eingespielten Filmen. Zum Auftakt um 12 Uhr: Machen wir's in Liebe (Let's make Love), der vorletzte Film von Marilyn Monroe aus dem Jahre 1960. Die Geschichte vom Multimillionär (Yves Montand), der sich in ein kleines Revuegirl (M.M.) verliebt, um ihr dann als bettelarmer Schauspielerkollege den Hof zu machen, weil er um seiner selbst und nicht des Geldes wegen geliebt sein will, diese in Hollywood wieder und wieder erzählte Geschichte mit Happy-End wird von der Kritik als einer der schwächeren Filme Marilyns angesehen. Und doch, fragt man nach dem Bezug zum Titel-Tag, läßt sich am Beispiel von Let's make Love der Hebel beschreiben, der traditionelle Fernsehformen aufbrechen soll: Wie kein anderes Kino versteht es Hollywood anhand festgefügter Rollenklischees, die Gefühle der ZuschauerInnen zu organisieren. Seid nur süß, sexy und hirnlos, und die Söhne aus reichem Hause werden euch Tür und Tor öffnen, so die implizite Message von Let's make Love an das weibliche Publikum. Gerade aber die Biographie Marilyn Monroes zeigt, daß das Befolgen dieser Botschaft, die mit einer dauernden Reduktion auf einen vernunftlosen Körper eingehergeht, nicht zu überleben ist. Der Film im Programmkontext von L.L.L. ist zugleich naiv-märchenhafte Unterhaltung und Repräsentant einer frauenfeindlichen Rollenvermittlung, die Kriterien transportiert, was Männer an Frauen angeblich lieben. Diese Doppelbedeutung eines Films im Programm ist neu und entsteht erst vor dem Hintergrund eines übergeordneten Tagesthemas.
Auch die beiden anderen Lange-Filme des Programmtages kreisen, jeder auf seine Weise, um die Probleme der Rollenvermittlung bzw. -aneignung. In Ecki Ziedrichs Yuppie -Komödie Singles ist es Helmut Zierl, der die unfreiwillig angenommene Rolle eines Alleinstehenden nur schwer zu meistern weiß. Der Himmelsschlüssel des Dokumentaristen Karlheins Rehbach beschreibt in der Lebensrückschau einer alten Frau die körperfeindliche Erziehung der katholischen Kirche.
Rollenvermittlung, Rollenaneignung, Rollenverständnis versucht man im mehr als zwölfstündigen Programm einen roten Faden aufzuspüren, so mendelt sich die Frage nach dem Spannungsverhältnis von vermittelter und individuell angeeigneter Rolle heraus.
„Entscheidungen müssen mit dem Kopf getroffen werden nicht mit dem Bauch“, empfehlen die beiden Feministinnen Cheryl Bernard und Edit Schlaffer in Brigitte Kramers kunstvoll verschachtelter 18minütiger Video-Phantasie Nachtaktiv ihren Geschlechtsgenossinnen. Der Bauch sei schließlich fürs Mittagessen da. Ein Männermund in Großaufnahme skizziert Mann-Frau-Beziehungen als Täter-Opfer -System. Rollentausch sei möglich, doch er sei lieber Täter. Bilder von blutleckenden Fledermäusen folgen. Auch in diesem freien „Video-Spiel“ der Formen der Reflex auf die vermeintliche Erwartungshaltung der Männer, wenn es um Frauen geht. Nachtaktiv konstruiert kunstfertig ein Spannungsfeld zwischen Projektion und Assimilation.
Rolleninhaber sind auch die zum Talk geladenen Gäste. Da wird sich eine Schönheitschirurgin mit einer Bulimie-Kranken (krankhafte Gefräßigkeit) auseinandersetzen, und das Berliner Pendant (Radio 100,6) von Erika Berger, Frank Schmeichel, sitzt neben der Praunheim-Aktrice Lotti Huber auf dem Sofa. Nicht der Promi ist gefragt, sondern der Sachverständige aufgrund von Lebenserfahrung. Viel wird für das Gelingen von L.L.L. davon abhängen, wie es dem Moderatorengespann Martin Graff und Ingrid Hessedenz gelingt, die unterschiedlichen Standpunkte, repräsentiert durch die Gäste und die eingespielten Filmen, miteinander zu verschränken.
Friedrich Frey
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