: Eine Kaste löst die andere ab
■ betr.: "Verfassungsinitiative institutionalisiert", taz vom 18.6.90
betr.: „Verfassungsinitiative institutionalisiert“,
taz vom 18.6.90
Was ist eine „praktizierte, direkte, datierte Demokratie“? Bei „praktiziert“ kommt mir das Bild von großen Demos und kleinen Mauerspechten. „Direkt“ ist eine Demokratie, wenn nicht nur von der Volkskammer bestellte Bürgeranwälte und Beauftragte (Artikel 65), sondern insbesondere die Abgeordneten selbst jederzeit abwählbar sind (beziehungsweise wären). Aber was ist eine „datierte“ Demokratie? Etwa eine befristete Demokratie? Oder zur Wiedervorlage am soundsovielten? Eher wahrscheinlich: datiert ist die neue Bezeichnung für gottgegeben, nur so erklären sich die Privilegien a la BRD für die DDR-Kirche im Verfassungsentwurf des Runden Tisches:
„(2) Kirchen und Religionsgemeinschaften wird auf Antrag die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt. (3) Der Staat unterstützt und fördert nach Maßgabe von Vereinbarungen“ (auch Hitler-Konkordat!) „die Kirchen und Religionsgemeinschaften... Der Staat kann aufgrund von Vereinbarungen für Kirchen und Religionsgemeinschaften gegen Erstattung der Verwaltungskosten die Einbeziehung der Mitgliedsbeiträge übernehmen“ (Artikel 38). Wenn in die schwammige Formulierung „nach Maßgabe von Vereinbarungen“ später dann wie in der BRD auch die Weimarer Reichsverfassung und/oder das Hitler-Konkordat einbezogen werden, dann werden außerdem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als „ordentliches Lehrfach“, die Finanzierung von Militärseelsorge und theologische Fakultäten durch den Staat, Strafverfolgung der „Gotteslästerung“ etc. geltendes Recht.
Auch der Streit um Rechte auf Grundbesitz braucht die DDR -Kirche nicht zu beunruhigen: „Das Eigentum und die Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die einhundert Hektar übersteigen, ist genossenschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen und den Kirchen vorbehalten.“ (Artikel 32) - spätere Flächennutzungspläne sind kein unüberwindliches Problem.
Heiliger Runder Tisch nochmal, hat ein Runder Tisch nichts besseres zu tun, als Theologen rundzupäppeln? Und dann noch dieses neue Kuratorium Sanktum, das der DDR-Kirche die oben genannten Pfründe zuschanzen soll, egal ob nach BRD-GG oder Runder-Tisch-Verfassung. Die Funktionäre gehen, die Pfarrer kommen - eine Kaste löst die andere ab.
Thomas Taeger, München
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