piwik no script img

„Homo Heidelbergensis“ lebt

DSV Hannover 78 gewinnt trotz entführter Trikots zum achten Mal die Deutsche Rugby-Meisterschaft, diesmal mit 31:4 gegen den SC Neuenheim Heidelberg  ■  Aus Heidelberg G. Rohrbacher-List

Die kleine Hanna hatte ihre Freude. Da stritten 30 Männer, alle gut beisammen und auch härtere Stöße und Schubser aushaltend, um ein Ei. So nennt man den ovalen Ball beim Rugby-Spiel, das in England erfunden wurde und in deutschen Landen am erfolgreichsten in Hannover und in Heidelberg zelebriert wird.

Gleich fünf Rugby-Vereine tummeln sich in der spießigen Neckaridylle, die ohne Uni und deren StudentInnen beinahe unerträglich wäre. Den Fußball hat man hier dem proletarischen Mannheim überlassen, über wenige Jahre Oberliga kamen Heidelberg-Kirchheims SG-Kicker zuletzt nicht hinaus. Das schreckte jedoch KarrieristInnen quasi aller Couleur nicht davon ab, ein Rugby-Match dazu zu benutzen, schon jetzt für den im Spätsommer beginnenden Wahlkampf um die Oberbürgermeister-Nachfolge des müden Reinhold Zundel fleißig Punkte oder potentielle Kreuzchen zu sammeln.

Selbiges blieb den Neuenheimer Überraschungsfinalisten verwehrt: Hatte doch der Busfahrer des DSV Hannover den Heidelbergern ein Schnippchen besonderer Art geschlagen. Der Tölpel (nichts gegen Busfahrer!) lud Spieler und Funktionäre aus dem Norden am Stadion aus und lenkte sein Gefährt zum weit entfernten Busparkplatz am Rande der kaputtsanierten Altstadt. Ob er dort, eingerahmt von fotobehangenen JapanerInnen und AmerikanerInnen, eine Bootspartie unternahm, wir wissen es nicht. Aber die Trikots der 78er hatte er mit an Bord.

Abergläubisch? Denkste! Selbstbewußt wie am 13. Mai, als sie auf dem neutralen Platz des SC Neuenheim das Pokalfinale gegen die AG Heidelberg mit 13:6 gewannen, streiften sich die Männer von der Leine rote Leibchen über und versetzten die Neuenheimer in frühe Panik.

Schon nach zwei Minuten hieß es durch einen Straftritt von Dietmar Kopp 0:3. Das frühe Aus für die Heidelberger, die während der achtzig Minuten zu nur einem Straftritt und einem Versuch kamen, den Eduard Siehn zum 4:28-Zwischenstand abschloß. Anstatt in Richtung gegnerische Linie droschen die Blau-Weißen das Ei ein ums andere Mal über die Zäune auf die umliegenden Tenniscourts, wo Boris‘ Nachbarn ihren Sonntagsvergnügen nachgingen, ungerührt vom deutschen Rugby -Finale nebenan. Anders Hannover, bei dem der Südafrikaner Hans Scriba, über dessen politischen Ansichten nichts zu erfahren war, überragend spielte und zu etlichen erfolgreichen Versuchen beitrug. Matchwinner war jedoch Dietmar Kopp, der zum klaren 31:4-Sieg des DSV 78 alleine neun Punkte beisteuerte.

Bei den HeidelbererInnen unter den 2.500 Fans hatte man früh resigniert. Die zaghaften Aufmunterungsrufe waren keineswegs laut genug, um auf dem nahen Bergfriedhof Tote zum Leben zu erwecken. Und Sinn für Symbolik wurde auch noch offenbar: In der 55. Minuten war aus allen verfügbare weißen Eiern die Luft raus, ein braunes (Wo kam es nur so schnell her?) wurde von nun an geprügelt.

So gab es im 70. Endspiel im Rugby den 51. Erfolg für eine der vielen Hannoveraner Mannschaften, der DSV 78 rühmt sich nun des achten Titels. Für die Heidelberger Fünf bleibt es bei 14, den SC Neuenheim ein Trost: Die Frauen sind Meisterinnen. Beim Anblick des Siegerkranzes mag mancher Beobachter wieder an den Bergfriedhof gedacht haben, die Hannoveraner hat er aber nicht gestört. Sie gewannen schließlich das Double, wie schon 1983, 1984 und 1985.

Und Urlaute stießen sie aus, wie einst vermutlich der „Homo Heidelbergensis“, der - als ältester Menschenfund des Landes - mit voll bezahntem Unterkiefer in Mauer, südlich von Heidelberg entdeckt wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen