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Freiheit für die Potsdamer Straße

■ Die Stadt, das Geld und die Demokratie: 5. Folge der Serie zum Potsdamer Platz

Der bekannte Städtebaukritiker und Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm behandelt in einer Serie die grundsätzlichen Fragen, die im Streit um die Bebauung des Potsdamer Platzes jetzt entschieden werden sollen. Zugleich versucht er, Regeln zu entwickeln, nach denen das geteilte Berlin wieder zusammengefügt werden soll. Heute die letzte Folge dieser Reihe: Der Rüstungskonzern Mercedes Benz ausgerechnet an diesem Platz ist ein falsches Signal. Der Autor schlägt stattdessen eine Schneise durch die Staatsbibliothek vor.

Die Vergabe eines ganzen Stücks Stadt an einen einzigen Investor ist immer auch eine ästhetische Vorentscheidung. Man unterwirft das, was einmal die Stadt vieler war, dem Selbstdarstellungsinteresse eines einzelnen Besitzers. Natürlich auch seinen Sicherungsinteressen und seinem Bedürfnis, seine eigene Innenwelt zu entwickeln und nach außen nur die unumgänglichen Zeichen für Stadt abzuliefern ungefähr so, wie Hertie und andere in den siebziger Jahren Kaufhäuser in die Innenstädte bauten, die so aussahen, als seien es lauter einzelne Häuser.

Die Übergabe von gleich drei Baublöcken an Daimler bedeutet in genau dieser Weise Privatisierung öffentlichen Raumes. Was Stadtraum war, wird privater, überwachter Raum. Und das nicht irgendwo, sondern an einem zentralen Punkt der Stadt: da, wo die ehemalige Reichsstraße Nr. 1 von Königsberg nach Aachen die alte Innenstadt verläßt. Die Privatisierung enthält zugleich einen Entwurf des neuen Geländes, mithin eine Ästhetik, bevor auch nur ein Architekt zum Zeichenstift gegriffen hat, um sich an einem der kommenden Wettbewerbe zu beteiligen. Die Darstellungen des Geländes, die im Vorfeld der Wettbewerbsausschreibung zu sehen sind, zeigen bereits, wohin es geht: Planierung der historischen Widersprüchlichkeit des Geländes und Ästhetisierung des Restes.

Damit sind zwei zentrale Vorentscheidungen gefallen, hinter die die einzelnen Wettbewerbsergebnisse nicht mehr zurückgehen werden: die eine zur Gestalt des Potsdamer Platzes, die andere zur Potsdamer Straße. Der Potsdamer Platz war nie ein richtiger Platz, sondern ein Verkehrskreisel, ein Drehpunkt. Erst die Abbrüche der siebziger Jahre stellten die heutige Freifläche her, auf der von den alten Straßenverläufen nichts mehr zu sehen ist und die Potsdamer Straße am Weinhaus Huth zu beginnen scheint. Jetzt legt man über die noch vorhandenen Restsituationen einfach eine geometrische Platzfigur - oval oder quadratisch -, die es nie gegeben hat, die aber zum ersten Mal einen repräsentativen Platz verspricht, an dem dann der Daimler -Komplex zu liegen käme. Diese Herstellung von repräsentativer Fläche ersetzt natürlich auch das, was an öffentlichem Raum im Hinterland verlorengeht: Darstellung mit beruhigtem Hinterland ist gefragt, kein Kreuzungspunkt der Menschen und Verkehre. Wie das sich zum Leipziger Platz verhält, ist eine Frage jenseits der Grenze, wie bisher.

Entsprechend muß mit der Potsdamer Straße umgegangen werden. Die Sackgassensituation aus Zeiten kulturpolitischen Mauerbaus im Kalten Krieg liegt vor. Jetzt, wo die Mauer gefallen, der Kalte Krieg beendet, die Konfrontation hinfällig ist, sollte man meinen, daß darüber wieder ganz neu nachgedacht wird: Geht das eigentlich, die Potsdamer Straße einfach zu schließen? Zeigt nicht das städtebauliche Desaster des Kulturforums, daß die ganze Unordnung mit der Aufhebung der Potsdamer Straße anfing und nur durch ihre Wiederherstellung wieder zu bewältigen wäre?

Statt dessen zieht man die umgekehrte Konsequenz: Wenn das ganze Gelände zwischen Potsdamer Platz und Stabi schon ein stillgelegter Winkel ist, dann kann man ihn auch en bloc verkaufen. Die Peinlichkeit, daß die wichtigste Berliner Ausfallstraße heute platt auf dem Hinterteil der Stabi endet, erhält jetzt eine neue Pointe. Wegdekorieren kann man die Sache nicht. Die Scharounsche Altlast wird nun aber durch den Verkauf des Gesamtgeländes an Daimler einfach umgepolt: Die Straße wird im Text des Senatsbeschlusses vom 10.4.90 zur Passage erklärt. Die Bäume sind vorhanden, ein Dach wird sich auch finden. Vor der Stabi stellt man sich eine Piazetta vor - sozusagen der unvermeidliche Kuppelraum der Passage. Daß es weitergeht nach Potsdam, Magdeburg, Aachen, Paris, wer will das dann noch verlangen.

Das sind nicht Gedankenspiele, sondern die Entwurfsbedingungen. Was die Architekten dazubringen werden, ist die jeweilige ästhetische Verschlüsselung des Grundtextes. Man hat mit diesen vorarchitektonischen Festlegungen das Design einer öffentlich finanzierten Privatisierung des Stadtraums. Das ist die genaue ästhetische Entsprechung des politischen Vorgangs, der subventionierten Ansiedlung eines Großkonzerns. Die falsche Wirtschaftspolitik stellt sich auch als schlechte Ästhetisierung des Stadtgeländes dar.

Man steht also auch ästhetisch auf verlorenem Posten, wenn man sich auf die Vorbedingung Daimler einläßt. Und umgekehrt: Wer die Potsdamer Straße so auf dem Hintern der Stabi enden läßt, wie das heute der Fall ist, der muß auch Daimler als Gesamtpatron des neuen Zentrums akzeptieren. Daß hier ein differenziertes, Schnittkanten bildendes Stadtgebilde vorliegt, wird erst in dem Augenblick glaubhaft, wo die Potsdamer Straße wieder weitergeht, auf den Landwehrkanal trifft, ihre noch vorhandenen Brückenauflager entdeckt, ihre Brücke wiedererhält und wie seit dem Mittelalter wieder in Richtung Potsdam, Magdeburg usw. in die europäische Weite geht.

Aber das bedeutet doch den Durchbruch durch die Stabi? Genau. Man sage nicht, das sei unmöglich. Natürlich ist das technisch möglich. Es träfe auch die Bibliothek nicht sonderlich. Man führe, von den konstruktiven Änderungen einmal abgesehen, durch den leeren südlichen Erdgeschoßteil, der heute kümmerlich durch den Berliner Gesamtkatalog und ab und an eine Fotoausstellung belebt wird, wenn das Adjektiv nicht schon zu hoch gegriffen ist. Der Scharounschen Architektur täte man keine Gewalt an, sie ist autofreundlich, schon heute voller Tunneleinfahrten, Auto und Magazinkeller, sie würde geradezu aufblühen. Man klage auch nicht um den Bibliotheksbetrieb. Die Bibliothek ist, was Service, Orientierung, Kataloge, Anordnung der Bestände, Ankaufpolitik usw. angeht, nach meiner und vieler anderer, die es wissen müssen, Erfahrung die schlechteste Berlins, so unglaublich schlecht, daß sie von einem städtebaulichen Ruck nur profitieren kann. Erst recht von dem hier vorgeschlagenen: Sie würde, statt der Innenstadt wie bisher den Hintern zu zeigen, auf diese hin geöffnet, müßte ihrer älteren Schwester, der Staatsbibliothek Unter den Linden, in die Augen sehen. Erweiterungspläne hat man ja im Hause, Flächenansprüche sind angemeldet, es muß sowieso gebaut werden. Also Nägel mit Köpfen!

Vor allem aber ist die Lösung städtebaulich nötig. Die Stabi wäre selbst dann, wenn man ihren Haupteingang zum Stadtzentrum hin anlegte, kein möglicher Endpunkt. Sie müßte schon das Berliner Schloß sein, um diese Funktion auszufüllen. Die Baumasse der Stabi selber sorgt aber dafür, daß die neue Potsdamer Straße immer eine kümmerliche Umgebung der Bibliothek bleiben wird, die selber nicht imstande ist, das Gebiet zu ordnen.

Ganz anders, wenn man die wirkliche Entwicklungsachse des Gebiets wieder freisetzt. Mit einem Schlage wäre die Souveränität des Geländes wiederhergestellt. Es wäre kein Sack mehr, sondern die Potsdamer Straße würde, als durchgehende Stadtstraße, zu beiden Seiten die spannendsten Grundstücke der Stadt erhalten, deren teurerer Verkauf alleine ausreichen würde, um den Durchbruch durch die Stabi zu finanzieren. Sie wäre wieder, zusammen mit einem wie früher als bloßes Scharnier funktionierenden Potsdamer Platz, das zentrale Thema, gegen das keine Entwerferwillkür mehr ankäme. Je länger man darüber nachdenkt, desto deutlicher wird, daß hier der Schlüssel liegt. Wer die Potsdamer Straße wieder durchführt, hat die Ordnung des Geländes wiedergefunden, aus der es sich, dank jener Einräumung von Methodik, die weiter oben skizziert wurde, gleichsam von selber regenerieren kann. Mehr kann Stadtplanung nicht wollen.

Nachtrag: Es ist inzwischen so gut wie sicher, daß die sogenannten Mächtigen sich durchsetzen werden. Jeder fährt seinen privaten Panzer schnurgeradeaus, ohne Rücksicht auf Verluste. Die SPD zeigt einmal mehr, daß sie nichts dazugelernt hat, sondern noch immer aus dem Ideologem ihrer Vergangenheit gesteuert wird und einem visceralen Intellektuellenhaß. Arbeitsplätze ist die Devise, mit der man diese Partei in jeder Situation auf Vordermann bringt. Ob es sinnvolle und nötige Arbeitsplätze sind, ob sie wirklich kommen werden, ob nicht Geld und Energie woanders weit besser investiert wären, darüber ist nicht zu diskutieren. So läßt man ohne Not auch die rot-grüne Koalition den Bach hinuntergehen. Überhaupt ist die Botschaft diese: Wir regieren, es ist Wahlkampf, und die öffentliche Vernunft ist uns einen Dreck wert.

Auch Daimler benimmt sich so, wie man sich das deutsche Kapital vorstellt, als Panzer. Keinerlei Sensibilität dafür, daß dieser Großkonzern allen Grund hätte, etwas leiser auftreten und sich nicht derart symbolisch ins öffentliche internationale Licht zu setzen, auch dafür nicht, daß der neue Rüstungskonzern an dieser Stelle vielleicht genau das falsche Signal ist. Daß er nur Grundstücksspekulation betreiben wird, ist keine Entschuldigung.

Das Opfer dieser Panzerpolitik ist nicht zuletzt auch der heutige Stadtraum. Er wird verschwinden. Der vorhandene Stadtraum ist in seiner Vielschichtigkeit aber der einzige Maßstab für die kommenden Bauaufgaben, der zu akzeptieren wäre. Was jetzt da ist, ist ohnehin schärfer als alles, was kommen wird. An ihm sich zu messen, wäre die Aufgabe einer politischen Baukultur, einer, die wüßte, was sie tut, wenn sie auf diesem historischen Schlachtfeld wieder baut. Der Einstieg in eine solche Baukultur ist verpaßt.

Dieter Hoffmann-Axthelm

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