: Italiens EG-Präsidentschaft: Das wird teuer
■ Andreotti und die italienische Industrie auf Kassierwegen / Einstandsgeschenke: Anti-Immigranten- und Anti-Streikgesetze
„Wir Italiener“, sprach Italiens ungekrönter Herrscher Gianni Agnelli, „haben es stets verstanden, im rechten Augenblick das Richtige zu erkennen und zu tun.“ Der Satz, gesprochen während der Fiat-Aktionärsversammlung zur Bekanntgabe des größten jemals eingefahrenen Reingewinns (an die eineinhalb Milliarden DM) am Freitag, bezog sich eigentlich auf die „Herausforderung durch den modernen Umweltschutz“. Doch die Anspielung auf die anstehende Übernahme der EG-Präsidentschaft durch Italien war unüberhörbar: „Große Ereignisse“ stünden an im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, die nun viel größer sei als noch vor kurzem angenommen.
Die Botschaft kam an. Regierungschef Giulio Andreotti begann seine Rede mit einem Scherz, gemünzt auf den Präsidentschaftsvorgänger aus Irland: „Wir treten Ihre Nachfolge in jeder Hinsicht an - in der Europäischen Gemeinschaft und im Semifinale der WM.“ Und dann kam er, einer jener berüchtigten Sprüche, die Insider als „Avvertimenti“ bezeichnen, eine Mischung aus Ankündigung, Warnung, Drohung: „Italien wird natürlich den seit dreißig Jahren eingeleiteten Prozessen seinen Stempel aufdrücken.“
Wer Ohren hat zu hören, hatte gehört: Andreotti will sich nach bewährter Manier - seine Zustimmung zu den längst auf den Weg gebrachten Entwicklungen vergolden lassen; Agnellis Spruch vom „Richtigen im rechten Augenblick“ war das höchstoffizielle Industrieplazet dazu. Natürlich wissen beide, daß ihre Aversionen gegen den „Pan-Germanismus“ die deutsche Einigung ebensowenig aufhalten wird wie den Abbau schützender Zollmauern. Doch beharrlich spricht Andreotti nicht von „Entwicklungen“, sondern von „gewissen Tendenzen“, und die müsse man „analysieren“, nicht etwa „unterstützen“. Nicht umsonst zerrt er seine Präsidentschaft ganz und gar auf den Monat Dezember fest: Das sind neben den deutschen Wahlen und dem Abschluß der Vier-plus-zwei-Konferenz auch die EG-Gipfel zur Währungsunion und zur politischen Integration: „Danach“ - danach! - „werden wir dann auch die Formel der diversen Vereinigungen definieren“, die deutsche inklusive.
Die Frage ist, ob der Einigungsbeschleuniger Kohl weiß, welche Stolpersteine ihm der ausgebuffte sechsfache Ministerpräsident in den Weg legen könnte. Denn nichts geht da mehr mit der alten Formel der Kanzler von Erhard bis Schmidt, die Italiener würden am Ende schon tun, was wir wollen, weil sie ja auf unser Geld angewiesen sind. Italien ist gestärkt durch eine stark aufstrebende Wirtschaft und eine lange nicht gekannte innenpolitische Ruhe. Es genießt international Anerkennung als zuverlässiger Partner - ist vom Bittsteller zu einer selbstbewußten Nation geworden, an Stolz den Franzosen ebenbürtig. Und es bringt zur Präsidentschaft auch noch zwei Einstandsgeschenke mit, welche die früher gern als Druckmittel eingesetzten Zweifel am Gemeinschaftsernst der Südländer obsolet erscheinen lassen: Just am Tag vor der Stabübergabe in der EG läuft die Amnestie für illegale Einwanderer aus, von nun an gelten die europaweit rigidesten Immigrationsgesetze. Und am selben Tag trat ein massiv arbeitnehmerfeindliches Gesetz in Kraft, das die bisher erfolgreichen Streikaktionen der sogenannten „Basiskomitees“ (die speziell im Dienstleistungssektor mit punktuellen Arbeitsniederlegungen erfolgreich waren) unmöglich machen. Es ist eine Art Pilotgesetz für die anderen Staaten der Gemeinschaft.
Welche Gegenleistungen sich Andreottis Regierung und die dahinterstehende Wirtschaft für ihr Wohlverhalten in den Gemeinschaftsorganen ausbedingen werden, ist noch offen. „Da lassen wir die mal ruhig mit Angeboten kommen“, streuen Mitarbeiter des Regierungschefs seit Wochen in der Auslandspresse in Rom. Die Palette konvenierender Projekte ist breit - von einer Neuaufteilung des gesamten Ostmarktes (von dem die Italiener einige kräftige Scheiben gebrauchen könnten) bis zur Besetzung kosten- und prestigeträchtiger Posten in EG-Gremien und den geldschwangeren Entwicklungsinstituten für den ehemaligen Ostblock.
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