: Patriotisches Mahl
■ Die Kinder der französischen Revolution von 1789 entdecken das feine Essen.
Über die Entstehung der bürgerlichen Küche berichtet
MICHELINE BOUCHEZ.
ährend der Revolution teilen Hungrige und Feinschmekker die gleiche Phantasie: sich satt zu essen. Allerdings äußert sich diese Besessenheit leicht paradox: den ersteren geht es darum, sich den Magen mit Brot zu füllen, das sie nach stundenlangem Warten vor den Bäkkereien im Tausch gegen Lebensmittelkarten erstanden haben, den letzteren darum, ihrem Magen zu huldigen: Man denke an die Guillotine -Kandidaten, die der Angst trotzen und in ihren Zellen dank den Traiteurs, den Stadtköchen, erlesene Soupers veranstalten, oder an die Helden der Revolution, die einem bisher der Aristokratie vorbehaltenen Genuß frönen - der Gaumenfreude.
Jene unterschiedlichen Sehnsüchte spiegeln die Realität der Lebensmittelversorgung der Franzosen unter der Revolution wider: Nunmehr fügt man dem Brot, das das bevorzugte Nahrungsmittel bleibt, eine tatsächlich abwechslungsreiche Kost hinzu. Zudem erleichtert die gute Versorgung der Städte mit Frischprodukten die Verbreitung einer neuen, gesunden und raffinierten Küche. Die Verbreitung von Restaurants sowie die zahllosen Cafes, Clubs, Weinschenken, die Einführung der großen republikanischen Mahlzeiten und der patriotischen Gastmahle bezeugen die versöhnliche Macht der Gastlichkeit, die in Paris als Folge des intensiven öffentlichen Lebens regiert. Jene Gastlichkeit, die mit dem intimen Charakter der Mahlzeiten im Ancien Regime bricht, führt dazu, daß sich die Kunst der guten Küche während und nach der Revolution erhalten wird: Die Demokratisierung des Festessens hat stattgefunden.
Die Kochkunst des 18. Jahrhunderts ist eine vollendete Kunst, die mit der mittelalterlichen Tradition des Süßsauren und der stark gewürzten Gerichte endgültig gebrochen hat. Der Eigengeschmack der Lebensmittel soll sich selbst genügen. Kochbücher gibt es im Überfluß und die Aristokraten bemächtigen sich eines Bereichs, der bisher den Nichtadligen vorbehalten war - der Beruf wird vornehm, zahlreiche Prinzen und andere Größen im Reich werden neue Saucen und Gerichten ihren Namen leihen: Soubise, Duxelles, Mirepoix... Von neuer Küche ist die Rede, worüber sich der alternde Voltaire in einem Brief an den Comte d'Artois erregt: „Ich gestehe, daß mein Magen sich nicht an die neue Küche gewöhnen kann. Kalbsbries, das in einer salzigen Sauce schwimmt, ist mir zuwider... Ein Ragout aus Truthahn, Hase und Kaninchen, das ich als Fleischgericht essen soll, bringe ich nicht herunter. Weder mag ich Taube auf dem Rost gebraten noch Brot, das nur aus Kruste besteht.“ Voltaire ahnt nicht, daß jenes Brot ohne Krume - es handelt sich um die baguette, die es seit 1750 gibt - schließlich im Ausland den Franzosen symbolisieren wird.
Als die Revolution ausbrach, war der Comte d'Artois einer der Allerersten, die Frankreich verließen. Er hinterließ eine ganze Mannschaft von Bratköchen, Sauciers und Pastetenbäckern. Etwa 200.000 Aristokraten folgten bald seinem Beispiel. Da sie keine neuen Arbeitgeber fanden, beschlossen ihre nun arbeitslosen Köche Restaurants zu eröffnen. Stadtköche, Weinschankwirte, Wirtshausbesitzer, Bratköche, Pastetenbäcker und Cafebesitzer achteten streng auf die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen: Einige durften Ragouts verkaufen, andere Bouillons, wiederum andere ausschließlich Bouillons oder Pasteten mit und ohne Wein.
In jenem vorrevolutionärem Wirrwarr muß man sich die Affäre Boulanger, genannt Champs-d'Oiseau, in Erinnerung rufen. Er unterhielt ein Restaurant, was damals eine Einrichtung bezeichnete, in der Stärkungsmittel oder Gesundheitsessen verkauft, beziehungsweise Bouillons ausgeschenkt wurden, die nach Krankheiten oder schwerer Arbeit wieder kräftigen sollten. Die Boulanger-Affäre wurde 1786 zur Angelegenheit der Rechtsprechung. Boulanger verkaufte Bouillons, die der Korporation der Stadtköche zufolge eher Ragouts waren. So beeilten sie sich, Klage vor dem Pariser Bürgerrat zu erheben, das 1786 zugunsten Boulanger entschied. Von nun an durften Stadtköche wie Restaurantbesitzer in ihrem Speisesaal Mahlzeiten anbieten. Damit war der Anstoß für das Gastronomiegewerbe gegeben, auch wenn seine Eigenheiten der Öffentlichkeit zunächst entgingen: Die Möglichkeit, zu jeder Tageszeit a la carte zu essen, ohne von der Wahl des Wirts abhängig zu sein, und je nach den eigenen Mitteln mit mehr oder weniger wohlhabenden Menschen zusammen essen zu können. Der Zugang zum Restaurant ist frei, und das persönliche Vermögen ist kein Auslesekriterium mehr.
it der Revolution erlebt man den Triumph der professionellen und kommerziellen Küche. Denn in diesen bewegten Zeiten tagen nicht nur an die 1.200 Vertreter der Generalstände in der Nationalversammlung, auch Beobachter, Ausländer und Militärs, alle streben sie dem Pariser Palais Royal zu, jenem Hort der neuen Ideen. Vergessen wir nicht, daß sie zwar allen sozialen Milieus entstammen, aber die Sorge um Unterkunft und Verpflegung miteinander teilen.
Eine mehr oder weniger gesicherte, auf jeden Fall zahlreiche Kundschaft erklärt den Erfolg, den die Restaurants davontragen, die Begeisterung für die neue Form des Essens kommt hinzu. Die Tempel des Bauchs werden sich während der Revolution nicht leeren.
Diese „Freiheit“ des Appetits, die man in den Restaurants demonstriert, wird bald suspekt und schließlich Gegenstand der Anklage werden: „Wer kann sich erlauben, für hundert Pfund zu essen, während die Wirtschaftssituation verheerend ist?“ Die Lust am Tafeln wird Danton den Kopf kosten: „Wer badet in Burgunder-Wein? Wer ißt Wild auf Silberplatten? Danton!“ So stellt es sich Büchner in Dantons Tod vor, obwohl der tugendhafte und genügsame Robespierre auch kein Kostverächter war.
Der Sache der Revolution, mit allen Mitteln der Revolution dienen, warum dann nicht mit dem Mund? Das ist eine Methode, die den Franzosen gefallen mußte, die, so scheint es, für gute Küche immer empfänglich gewesen sind. Und dann hat es immer die Tradition der Volksfeste und Vergnügungen gegeben, etwa anläßlich der Geburt eines Kronprinzen, wenn aus den Pariser Fontänen Wein hervorsprudelte. Als daher anläßlich des Fests der Föderation im Juli 1790 die republikanischen Mahlzeiten eingeführt wurden, brauchten sich die Bürger keinen Zwang antun, um über den Umweg der Gastlichkeit ihren Patriotismus zu stärken. Der Marquis de la Villette, der sich der Sache der Revolution anschloß, träumte in seiner Pariser Chronik davon, daß „alle Bürger öffentlich ihren Tisch decken und ihre Mahlzeiten vor ihrem Haus einnehmen. Arme und Reiche wären verbunden... Die Hauptstadt wäre nur eine einzige riesige Familie: man würde eine Million Menschen am selben Tisch sitzen sehen... An diesem Tag würde die Nation groß aufdecken.“ Die Revolutionäre hatten den Sinn des Festessens gut begriffen: eine Tat der Verbindung und der Fraternisierung. Gemeinsam zu essen bedeutet Nähe.
it der Einführung der Terreur wird es allerdings immer schwieriger, mit seinen Nachbarn zu feiern. Das Mißtrauen greift um sich. Zu gute Weine, die man mitbringt, können, auch wenn man sie teilt, an der revolutionären Strenge zweifeln lassen. Wo hat man diesen Wein in diesen Krisenzeiten denn her? Im übrigen haben die Konterrevolutionäre sehr schnell den Vorteil begriffen, den sie aus diesen republikanischen Mahlzeiten ziehen könnten. Rund um eine gute Flasche ist es leichter, jemanden von der Richtigkeit seiner Rede zu überzeugen als bei trockener Kehle. Bald greift die Regierung ein, als sie der doppelten Gefahr, die ihr droht, gewahr geworden ist: Der Kontrollverlust über die Sans-culottes und die heimtückische Macht der Konterrevolutionäre. In seiner Rede am 28. messidor empfiehlt Barere die Abschaffung jener Sitten; gewiß erkennt er die Verdienste der republikanischen Mahlzeiten an: „Die Festmahle sind voll von Patrioten, anständigen Republikanern, tugendhaften Bürgerinnen, aber unter den brüderlichen Tischen verbergen sich die abscheuliche Aristokratie, die hinterlistige Konterrevolution und die Laster, die sie mit sich bringen... Die Bürgerverteidigung ist der beste Grund, ein Verbot dieser angeblich brüderlichen Festmahlzeiten zu erlassen.“
Barere wird nur vorübergehend erfolgreich sein. Denn gleich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird diese Tradition mit großer Begeisterung wieder aufgenommen werden. Der Höhepunkt wird das jahr 1900 sein, als der Präsident der Republik Loubet 22.295 republikanische Bürgermeister einladen wird, um in den Gärten der Tuileries zu feiern...
Auch wenn die Revolution kein die Gastronomie prägendes Ereignis gewesen ist, hat sie das bemerkenswerte Verdienst gehabt, die französische kulinarische Tradition des 18. Jahrhunderts zu bewahren und sie vor allem zu demokratisieren. Die Köche haben sich als Mittler zweier bislang einander verfeindeter Welten erwiesen. Sie haben die neu arrivierte und auf eine gewisse gesellschaftliche Vornehmheit - seien es auch nur die Tischsitten - begierige Bourgeoisie in eben die Tischsitten des Ancien Regime eingeführt. Mittlerweile sind weitere Kriterien hinzugekommen: man glänzt durch den Besuch der richtigen Orte, man imponiert in der Öffentlichkeit mit seinem Feinschmeckerwissen. Die Restaurantbesitzer machen sich eine Freude daraus, den bislang einer Elite vorbehaltenen Lebensstil zu fördern, denn das gesellschaftliche Prestige ihrer Gäste färbt natürlich auf sie ab. Die Tradition hat nicht versagt. In Frankreich erhalten einige ruhmreiche Köche nach wie vor die Medaille des besten Arbeiters Frankreichs und werden zu Rittern der Ehrenlegion ernannt.
Übersetzung aus dem Französischen: Eva Groeple
Mit der Revolution erlebt man den Triumph der professionellen und kommerziellen Küche. Denn in diesen bewegten Zeiten tagen nicht nur an die 1.200 Vertreter der Generalstände in der Nationalversammlung, auch Beobachter, Ausländer und Militärs, alle streben sie dem Pariser Palais Royal zu, jenem Hort der neuen Ideen. Vergessen wir nicht, daß sie zwar allen sozialen Milieus entstammen, aber die Sorge um Unterkunft und Verpflegung miteinander teilen.
Mit der Einführung der Terreur wird es allerdings immer schwieriger, mit seinen Nachbarn zu feiern. Das Mißtrauen greift um sich. Zu gute Weine, die man mitbringt, können, auch wenn man sie teilt, an der revolutionären Strenge zweifeln lassen. Wo hat man diesen Wein in diesen Krisenzeiten denn her? Im übrigen haben die Konterrevolutionäre sehr schnell den Vorteil begriffen, den sie aus diesen republikanischen Mahlzeiten ziehen könnten. Rund um eine gute Flasche ist es leichter, jemanden von der Richtigkeit seiner Rede zu überzeugen als bei trockener Kehle. Bald greift die Regierung ein, als sie der doppelten Gefahr, die ihr droht, gewahr geworden ist: Der Kontrollverlust über die Sans-culottes und die heimtückische Macht der Konterrevolutionäre. In seiner Rede am 28. messidor empfiehlt Barere die Abschaffung jener Sitten; gewiß erkennt er die Verdienste der republikanischen Mahlzeiten an: „Die Festmahle sind voll von Patrioten, anständigen Republikanern, tugendhaften Bürgerinnen, aber unter den brüderlichen Tischen verbergen sich die abscheuliche Aristokratie, die hinterlistige Konterrevolution und die Laster, die sie mit sich bringen... Die Bürgerverteidigung ist der beste Grund, ein Verbot dieser angeblich brüderlichen Festmahlzeiten zu erlassen.“
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