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„Mit Leichen beschäftigen wir uns nicht“

■ Das Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW) entscheidet über die Überlebensfähigkeit der DDR-Betriebe / Zwei Millionen Arbeitslose prognostiziert

Aus Berlin Götz Aly

S-Bahnhof Berlin-Köpenick, Strandbad Müggelsee, Institut für Unternehmensführung. Das im Januar gegründete Institut organisierte im letzten halben Jahr „200 Kurse für 5.000 Führungskräfte“, es versteht sich als „Dolmetscher marktwirtschaftlicher Kenntnisse“, es berät „Existenzgründer“ und betreibt „unternehmensnahe, anwendungsorientierte Forschungsarbeit“. Das Institut hat sich, so der stellvertretende Direktor, „fruchtbringend positioniert“.

Keine Frage, wer so spricht, der braucht noch etwas Förderung. Der Direktor weilt daher in der BRD. Und in umgekehrter Richtung ist das Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW), ansässig in Frankfurt a.M., an den Müggelsee vorgerückt. Am Donnerstag stellte es seine Aktivitäten im „Wirtschaftsraum DDR“ vor. Das Kuratorium hat Erfahrung: Es besteht seit 1921 und hieß bis 1945 „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit“ (RKW): Es hat den kleinen Boom in der Weimarer Zeit mitorganisiert, 1935 das Saargebiet wirtschaftlich angegliedert, 1938 das annektierte Österreich, das Sudetenland, dann Oberschlesien. Überall errichtete das Kuratorium damals eigene Dienststellen. Schließlich - 1940 - auch im besetzten Krakau, um von dort aus mit der „polnischen Wirtschaft“ aufzuräumen. 1942 übernahm das RKW die Planungsabteilung im Ministerium Albert Speers und rationalisierte die deutsche Kriegsproduktion.

Die „Spreu vom Weizen“ trennen

Kein Wunder also, daß das Bundeswirtschaftsministerium für die sogenannte „individuelle Prüfung der heruntergekommenen Staatsbetriebe“ eben dieses RKW einsetzt. Die Einrichtung ist gemeinnützig, im Gegensatz zu früheren Zeiten wird sie heute nicht nur von der Industrie, sondern auch von den Gewerkschaften getragen. Sie verfügt über „das effizienteste“ aller Beratungsmodelle in der BRD. Das Ministerium hat zunächst sieben Millionen bereitgestellt, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind finanziell ebenfalls mit von der Partie. Für welche Betriebe lohnt sich eine Entschuldung, wie können sie entflochten und privatisiert werden - darum geht es. Im besetzten Polen sprach das RKW von der Unterscheidung zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem wirtschaftlichem Leben“, heute ist man wieder bei der bewährten alten Begrifflichkeit, man „trennt die Spreu vom Weizen“.

Wenn auch das schöne Haus am Müggelsee mit seinen Kasettendecken und schmiedeeisernen Geländern in der fraglichen Zeit gebaut wurde, so ist es doch nicht der Ort, um über Vergangenes zu sprechen. Es geht um die Zukunft, „um möglichst reibungslose Lösungen“, sagt der Geschäftsführer des RKW, Dr. Herbert Müller, und: „Die Probleme der DDR sind ideal auf das RKW zugeschnitten.“ Man müsse jetzt zur Tat schreiten: „Die Zeit der Analysen ist vorbei (...) Soweit die Betriebe uns nicht unter der Hand wegsterben, sind kurzfristige Produktivitätssteigerungen möglich (...) Neue Märkte (sind) zu erschließen, modernes Personalmanagement zu entwickeln. Wie kommen wir also vom Betrieb zum Unternehmen?“ Es gilt schlicht herauszufinden, in welchen Betrieben sich westliche Investitionen überhaupt lohnen und in welchen nicht.

Mit dem RKW könnte das gelingen, denn es ist, so die „Philosophie“ Müllers, „der permanente Partner für den unternehmerischen Erfolg“. Allerdings zunächst vorzugsweise für die Bauindustrie und den Maschinenbau der DDR. Wörter wie „Stahlwerk“, „Chemiefaserproduktion“ oder „Textilbranche“ vermeidet Müller nach Kräften. Natürlich wird das RKW auch „gruppenwirtschaftliche Untersuchungen für einzelne Sektoren“ durchführen und „solide Branchenanalysen“ anregen.

Die alte Berliner Außenstelle heißt nun „Zentrale RKW -Informationsstelle für die DDR-Wirtschaft“, Leiter: Dr. Bernd Schneider. Insgesamt hat das Kuratorium fünf neue Geschäftsstellen gegründet. Sie sitzen in Magdeburg, Potsdam, Dresden, Erfurt und Rostock. Fünf neue Herren sind dort eingestellt. Allesamt DDR-Bürger, allesamt Diplomingenieure, - Ökonomen aus der DDR sind nicht zu gebrauchen, „da das Wissen hier verfallen ist“ (Müller). Natürlich werden die neuen Männer nicht allein gelassen, westliche RKW-Berater „gehen zunächst mit“ und sie werden es sein, „die die Maßnahmen zunächst sehr stark bestimmen“.Dazu werden einzelne bundesdeutsche Landesstellen des RKW mit denen im Wirtschaftsraum DDR zusammenarbeiten. Vor allem wird der Leiter der Berliner Informationsstelle die Sache in die Hand nehmen. Die Beratung durch das RKW ist für einen DDR-Betrieb zwar im Sonderangebot zu haben, aber durchaus nicht umsonst: Geschäftsführer Müller: „Wer dieses Geld nicht ausgeben kann oder will, dem kann nicht mehr geholfen werden. Das klingt brutal, aber es ist so.“ Ein positives RKW-Gutachten aber ist das Ticket für Schuldenerlaß. Kreditwürdigkeit, Kredit und staatliche Förderung.

„Brutale Transformation“

Während Müller schon mal von „menschengerecht“ und „umweltverträglich“ spricht, setzt Schneider auf einen klaren Ton: „Wer sich in der Marktwirtschaft aus der grauen Masse herausbewegt, der will eben etwas unternehmen. Dafür müssen andere aus ihren Stellungen heraus.“ Einmal in Schwung gekommen, spricht Schneider von der „brutalen Transformation von einem Ordnungssystem in das andere“ und davon, daß man sich unbedingt klar machen muß, „daß das alte Material der DDR-Führungskräfte nicht brauchbar ist“. Dieser rationalisierende Schwung greift dann auch auf Müller über: „Wir beschäftigen uns nicht mit Leichen.“ Ein Großbetrieb müsse eben der „Filetierung“ unterworfen und am Ende des Sanierungsprozesses seien eben von beispielsweise 7.000 Arbeitern 2.000 bis 3.000 entlassen.

Neu ist das „DDR-Spezial“ der RKW-Zeitschrift 'Wirtschaft & Produktivität‘. Dort rechnet man „umstellungsbedingt mit etwa zwei Millionen Arbeitslosen“ in dem neuen Wirtschaftsraum. Das ist weit mehr als das Bundesarbeitsministerium prognostiziert. Gleichzeitig propagiert das RKW: „Mit Ausnahme der DDR sind Direkt -Investitionen westlicher Industrieunternehmen in den osteuropäischen Ländern nicht empfehlenswert.“ Denn nur „die DDR wird wegen der massiven Hilfen aus der Bundesrepublik ihre schweren Infrastruktur- und Produktivitätsmängel bald beheben können“. Wo, wann und in welcher Höhe dieses Geld eingesetzt wird, wird das RKW mitentscheiden. Wie sagt doch der Vorsitzende des Kuratoriums: „Politisch ist zur Zeit alles möglich, die Frage ist nur, was wirtschaftlich sinnvoll ist.“

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