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Mensch-ärgere-dich-nicht in den Alpen

■ Bugno und Lemond, Pensec und Chiappucci waren die großen Sieger der „Königsetappe“ der Tour de France nach L'Alpe d'Huez / Drei bittere Schlußkilometer für Pedro Delgado

Von Matti Lieske

Berlin (taz) - Die Feinde sind dieselben geblieben“, sagte Pedro „Perico“ Delgado, bevor es bei der 77. Tour de France in die Alpen ging. Nach dem Ausscheiden von Laurent Fignon und dem Gewinner der Spanienrundfahrt, Marco Giovannetti, hatte der Tour-Sieger von 1988 wohl in erster Linie Greg LeMond im Sinn, der im vergangenen Jahr auf den Champs -Elysees seine Nase um acht Sekunden vor der Fignons hatte, und Gianni Bugno, der vor vier Wochen souverän den Giro d'Italia für sich entschied.

Auf der 11. von 21. Etappen wollte Delgado ihnen zum erstenmal zeigen, wer bei dieser Tour die kräftigsten Waden hat, doch die erste Runde ging eindeutig an seine beiden vermeintlich schärfsten Rivalen. Beim mörderischen Aufstieg ins 1.860 Meter hoch gelegene L'Alpe d‘ Huez, dessen letzte Kilometer etwa die Steigung einer Strickleiter aufweisen, wollte er den Kontrahenten entscheidende Minuten abnehmen, trat - von seinem Adjutanten Indurain, so lange dieser Puste hatte, aufopferungsvoll unterstützt - immer wieder berserkerhaft in die Pedale und stampfte mit der Wucht einer entfesselten Lokomotive die Berge hinauf.

Aber LeMond und Bugno klebten wie Kletten an seinem Hinterrad. Kein einziges Mal übernahmen sie die Führungsarbeit, alles mußte Delgado allein machen, und als schließlich drei Kilometer vor Schluß auch ihm die Kraft ausging, zogen die beiden locker davon und machten den Sieg bei dieser traditionsreichen „Königsetappe“ der Tour, der nach den Worten von Harry Jannssen, Chef der niederländischen „Buckler„-Mannschaft, wertvoller ist als eine Weltmeisterschaft, unter sich aus. Den Sprint gewann Bugno schließlich mit einer Reifenbreite vor LeMond. Delgado kam erst 40 Sekunden später an, anstatt Zeit gutzumachen, hatte er wertvolle Sekunden eingebüßt, und seine Aussichten auf eine Wiederholung des Triumphes von 1988 waren mächtig geschmolzen.

Danebengelegen hat er aber möglicherweise auch mit seiner Einschätzung des Favoritenkreises. Seit dem Paukenschlag der ersten Etappe, als es die Spitzenfahrer zuließen, daß solch hochkarätige Leute wie der Kanadier Steve Bauer, der Italiener Claudio Chiappucci, immerhin Erster der Bergwertung beim letzten Giro, und der Franzose Ronan Pensec mehr als zehn Minuten Vorsprung herausfuhren, purzelten die heißgehandelten Top-Favoriten so schnell wie die Figuren beim Mensch-ärgere-dich-nicht. „Vor Beginn wurden LeMond die größten Aussichten zugeschrieben“, resümiert Bugno, „dann hatten alle Bauer im Auge, nach dem Zeitfahren war es auf einmal Alcala. Nachdem nun der Mexikaner nicht mehr zählt, ist es wieder der Amerikaner. Unmöglich, eine Prognose abzugeben.“

Eine Menge der ehemaligen Siegesaspiranten haben dem vor allem von Delgado vorgelegten hohen Tempo der Alpenetappen bitteren Tribut zollen müssen und sind aussichtslos zurückgefallen. „Es ist wie bei einem Formel-1-Rennen“, staunt Claudio Chiappucci, der sich bravourös schlug, im Gegensatz zu Fahrern wie Stephen Roche und Sean Kelly, den beiden Iren, Charly Mottet, dem Zweiten des Giro, Steve Bauer, Raul Alcala, Steven Rooks und auch Uwe Ampler aus der DDR, der fast acht Minuten nach Bugno ins Ziel kam und vom 6. auf den 21. Rang abrutschte. Gar nicht zu reden von Sprintkönig Olaf Ludwig, der 37:07 Minuten Verspätung hatte und in der Gesamtwertung auf den 160. Platz von 172 verbliebenen Fahrern zurückfiel.

Greg LeMond und die Gesetze des Radsports

Greg LeMond, auf den dritten Rang vorgerückt, scheint es aber dennoch mit Delgado zu halten. „Jetzt spielen wir beide die Tour unter uns aus“, sagte er in L'Alpe d‘ Huez zu Bugno und schien dabei ganz zu vergessen, daß der Mann im gelben Trikot nach wie vor Ronan Pensec ist: sein Teamgefährte, dem er jede mögliche Unterstützung zugesagt hat, solange er vorn fährt. LeMond darf also, so er sich den ungeschriebenen Gesetzen des Radsports unterwirft, nur angreifen, wenn Pensec nicht mehr mithalten kann, und der Franzose macht nicht den Eindruck, als könne ihm solches alsbald widerfahren. „Ich glaube, daß ich die Möglichkeit habe, eine große Rolle zu spielen“, sagte er schon vor der 11. Etappe, ließ sich dann lediglich 48 Sekunden abjagen und hatte am Ende im Gesamtklassement noch 9:04 Sekunden Vorsprung vor seinem amerikanischen Boß.

„Wenn Pensec und Chiappucci keinen Einbruch erleiden, wird es äußerst schwierig sein, ihnen diesen großen Vorsprung abzujagen“, meinte Gianni Bugno. Nach den Alpen warten nämlich eigentlich nur noch zwei schwere Etappen auf die Fahrer, am Dienstag und Mittwoch in den Pyrenäen. „Wenig Gebirge gibt es diesmal“, hatte Delgado bereits zu Beginn der Tour geklagt, „hoffen wir, daß es reicht.“ Nach L'Alpe d'Huez sieht es zumindest für ihn ganz und gar nicht danach aus, und eines dürfte auch Delgado klargeworden sein: Er hat mehr Feinde, als er glaubt.

11. Etappe: 1. Gianni Bugno (Italien) 5:37:51 Std., 2. Greg LeMond (USA) gleiche Zeit, 3. Erik Breuking (Niederlande) 1 Sek. zurück, 4. Thierry Claveyrolat (Frankreich) 4, 5. Fabio Parra (Kolumbien) 6, 7. Abelardo Rondon (Kolumbien) 40, 7. Andrew Hampsten (USA), 8. Pedro Delgado (Spanien) alle gleiche Zeit, 9. Claude Criquielion (Belgien) 47, 10. Ronan Pensac (Frankreich) 48, ... 35. Uwe Ampler (DDR) 7:58 Min., ... 98. Jan Schur (DDR) 24:58, ... 101. Mario Kummer (DDR) 25:48, ... 108. Uwe Raab (DDR) 26:20, 109. Andreas Kappes (Bremen) 27:00, ...164. Olaf Ludwig (DDR) 37:07

Gesamtstand: 1. Ronan Pensac (Frankreich) 48:24:43 Std., 2. Claudio Chiappucci (Italien) 1:28 Min. zurück, 3. Greg LeMond (USA) 9:04, 4. Erik Breuking (Niederlande) 9:28, 5. Gianni Bugno (Italien) 10:39, 6. Pedro Delgado (Spanien) 11:05, 7. Claude Criquielion (Belgien) 11:29, 8. Raul Alcala (Mexiko) 11:55, 9. Andrew Hampsten (USA) 13:45, 10. Fabrice Philipot (Frankreich) 13:49, ... 21. Uwe Ampler (DDR) 16:32, ... 94. Mario Kummer (DDR) 52:03, 104. Uwe Raab (DDR) 54:16, ... 110. Andreas Kappes (Bremen) 56:42, ... 132. Jan Schur (DDR) 1:04:18 Std., ... 160. Olaf Ludwig (DDR) 1:22:45.

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