: „Betonspritzen“ für den Anstaltsfrieden
■ In der Psychiatrischen Abteilung des Straubinger Knasts werden Gefangene mit Psychoblockern lahmgelegt / Schwerer Mißbrauch mit Dapotum D und Leponex / Anstaltsleitung und bayerische Justizministerin konnten nichts Anstößiges entdecken / CSU behinderte die Arbeit eines Untersuchungsausschusses
Von Norbert Jeschke (*)
Helmut W., der vom Arzt eine Tetanusspritze bekommen hat, fühlt sich höchst unwohl. Übelkeit bis zum Erbrechen und eine Unruhe, die sich nicht dämpfen ließ, treiben ihn in der engen Zelle bis zu herzflatternder Panik. Der herbeigerufene Arzt notiert die Symptomatik und beruhigt seinen Patienten mit guten Worten. Die Aufregung werde sich legen.
Später erfährt Helmut W. von einem Sanitäter, der ihm die Akteneintragung zeigt, daß er nicht gegen Wundstarrkrampf geimpft worden ist, sondern - vermutlich zum Zweck „klinischer Prüfung“ - Dapotum D an ihm erprobt worden ist. Ein Psychoblocker - so heißt es in der Menschenrechtskonvention des Europäischen Parlaments -, dessen Auswirkungen „mit hirnchirurgischen Eingriffen gleichzusetzen“ sind. „Betonspritze“ wird das Präparat im Knastjargon genannt, weil es hinreichend dosiert ein Spalier von Schlagstöcken zu ersetzen vermag.
Tatort ist die bayerische Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing, wo aus Gründen „klinischer Prüfung“ in 193 Fällen das heillose Psychopharmakon gespritzt worden ist: nur ein Teil des Skandals, der seit drei Jahren schwelt und nun einen Untersuchungsausschuß des Landtags beschäftigt hat. Ärztliche Kunst im Dienst der Strafgewalt. Der Täter, Dr.Günther Last, sorgte selbst für Publizität, als er 1987 Käthe Lieder, damals im Landesvorstand der Grünen, wegen Beleidigung verklagte. Sie hatte auf einer Pressekonferenz den Justizbehörden vorgeworfen „Häftlinge, die sich gegen Schikanen der Wärter auflehnen, in der psychiatrischen Abteilung mit Psychopharmaka ruhigzustellen, obwohl sie kerngesund sind...“.
Kein „Großversuch“, nur eine „klinische Prüfung“
Der Anstaltsarzt mußte den Sachverhalt einräumen. Doch sei die Applikation von Dapotum D in 193 Fällen kein „Großversuch“, sondern eine „klinische Prüfung“ gewesen. Das Verfahren gegen Käthe Lieder - nunmhehr Strafvollzugsbeauftragte der Grünen - wurde eingestellt. Der zu so feinsinnig differenzierender Betrachtung zwischen Prüfung und Versuch fähige Dr.Last schied als Medizinaldirektor mit Pensionsberechtigung aus dem Dienst. Die Landtagsdebatte, angeregt durch den Prozeß, brachte ans Licht, daß Dapotum D gespritzt wurde bei „Verstimmungen“ oder „sonstigen Verhaltensstörungen“ - was immer das bedeuten mag.
Harald N.: „Die Kinnbackenmuskeln spielen verrückt, so daß man den Mund innen kaputtbeißt, praktisch Maulsperre bekommt und immer pochende Schmerzen hat. Die Wirbelsäule wird völlig steif, so daß man den Kopf oder den Hals kaum bewegen kann. Der Rücken biegt sich durch wie ein Bogen, so daß man schlecht aufrecht stehen kann. Der Schmerz frißt sich in alle Fasern, man sieht nur verschwommen, kann kaum lesen, brennt innerlich vor Unruhe und hat den Zwang, ständig hin und her zu laufen. Geht man aber auf und ab, hat man das umgekehrte Gefühl, will sich hinsetzen und ausruhen. Es geht hin und her, rauf und runter mit dem Schmerz, den man nicht lokalisieren kann. Verbunden damit ist eine grauenvolle Angst, denn nicht mal das Atmen verschafft Erleichterung.“
Die CSU bemühte als Gutachter Professor Hippius, einen Mann, der wegen Menschenversuchen mit seiner Anti-Panik -Pille wenig später selbst in die Presse geriet und freilich an den Praktiken des Dr.Last nichts Ungewöhnliches hatte entdecken können. Anstaltsleitung und Justizministerium beteuerten vorsorglich, nichts von dem Treiben geahnt zu haben. Last kassierte für seine Versuche von der Pharmaindustrie 3.000 Mark. Ein Bakschisch gegen die in der Branche üblichen Summen. Bei 200 Probanden wäre ein Betrag von einer halben Million fällig.
War Dr.Last ein so strammer Idealist, daß er nur der Forscherfreuden wegen spritzte? Die rechte Gesinnung verrät er in einem Gedichtband, dessen Verkaufserlös dem Tierheim Straubing zugute kommen soll. Er dichtete: „Politclowns zerreden das Schicksal des Volkes/Es fehlen die Führer in unserem Land/Erwach, deutscher Michel und laß deine Lauheit/Überlaß die Zukunft nicht politischem Tand.“
Von der Aufnahme- und Jugendabteilung bis zur Altenstation, in der Tappergreise ihre Jugendsünden 30 und 40 Jahre lang bis zum Tod verbüßen, ist die JVA Straubing ein restlos durchorganisiertes Unternehmen. Am Morgen, mit dem Dröhnen des Nebelhorns, werden die Zellen geöffnet. Über Eisenstiegen trappen Hunderte Häftlinge die Wandschluchten abwärts ins gekachelte Parterre, an den Arbeitsplatz. Schaffen für die Bayerischen Motorenwerke. Drückend niedriger Saal. Neonröhren flackern, beleuchten schmierige Mauern, den buckligen Holzboden. Tageslicht dringt nicht bis zur Mitte. Etliche Blaumänner setzen sich sogleich und produzieren. Schrauben in Beutelchen zählen, Gummiringe auffädeln. Kleine Bewegungen, wie die Reproduktion eines immer gleich blöden Gedankens. Andere starren tatenlos auf die befohlene Beschäftigung oder wandern umher, lachen und sprechen mit sich selbst. Drei Wärter umkreisen das beklemmende Szenario.
Hier arbeiten Gefangene unter strenger Beobachtung: Zugänge aus anderen Anstalten sowie Rekonvaleszenten aus der Psychiatrie, die nach einer Spezies aus Gruselromanen „Zombies“ genannt werden. Einigen rinnt Speichel aus den Mundwinkeln. Alle bewegen sich, als lasteten Zentnergewichte auf ihren Schultern. Ein alter Mann trägt den Speiseplan der Woche vor, den er auswendig gelernt hat. Er zieht die Worte wie eine zu langsam gespielte Platte. „Extrapyramidale Symptome“ verstehen Pharmakologen darunter. Auch Schüttellähmung, Parkinson-Krankheit und schrittweise Zerstörung der Zwischenhirn-Anhangdrüse sind als Neben -Wirkung von Dapotum D kennzeichnend.
Und die Hauptwirkung? Dr.Last hat sie in der Zeitschrift 'Therapie der Gegenwart‘ deutlich beschrieben: „Immerhin ordneten sich 60 Prozent der (mit Dapotum D) behandelten Strafgefangenen über ein halbes Jahr, teilweise sogar länger, besser in die Gegebenheiten einer Justizvollzugsanstalt ein.“ Er kommt zu dem Schluß, daß Dapotum D also zu einer „wertvollen Hilfe in der Resozialisierung“ werden könne.
Gefangene ordneten
sich besser ein
Ludwig Schneider: „Drei halten dich fest, der andere zieht dir die Hosen runter und haut dir die Spritze in den Arsch. Hab‘ gedacht, ich sterb. Ich hab‘ nicht mehr denken können. Und kaum gehen und kaum aufstehen, nur ganz schwer. Hab‘ mich gleich wieder hingelegt, aber liegen hab‘ ich auch nicht können. Und Kopfweh und Durchfall und dauernd kotzen. Das Schlimmste waren die Halsschmerzen. Das sticht vielleicht. Die hab‘ ich auch jetzt noch. Einen Infarkt hab‘ ich ja dann gehabt. Aber daß das so sticht kommt von den Spritzen. Das dürfen die doch nicht einfach, oder? Ich bin doch kein Hund.“
Die mit Neuroleptika Behandelten wurden gezwunen, Asbestdichtungen zu verpacken. Erst auf Intervention des Grünen Abgeordneten Dr.Kestel zog BMW „diese Arbeiten sofort nach Bekanntwerden der aufgetretenen Mißverständnisse“ von Straubing ab. Die Zombies hatten jahrelang arg- und schutzlos mit den gefährlichen Materialien hantiert.
Im Januar dieses Jahres erreicht den Petitionsausschuß des Bayerischen Landtags, der sich seit Jahren mit Briefen verzweifelter Häftlinge auseinandersetzen muß, eine Petition mit 338 Unterschriften aus der JVA Straubing. Die Gefangenen begehren Schutz vor den Willkürmaßnahmen der Anstaltsleitung. Gefangenensprecher, sofern sie sich nicht stillschweigend in die Gewaltverhältnisse gefügt hätten, seien ohne Begründung abgesetzt worden. So Walter Huber, der zudem in den Arrest geschickt wurde, weil er den „Anstaltsfrieden“ gefährdert haben soll. Er hatte versucht, eine Erklärung zum Pharmakamißbrauch an den Landtag weiterzuleiten. Auch Jürgen Zimmermann wurde bezichtigt, Abgeordnetenpost mißbraucht zu haben, und wurde deshalb seiner Funktion als Gefangenensprecher enthoben.
Zynisch wie kaum einer der von ihrer Behörde Verwahrten ließ Justizministerin Berghofer-Weichner verkünden, es sei wohl die Wetterlage daran schuld oder der Nachahmungstrieb, als sich zu Jahresbeginn vier Gefangene in Straubing strangulierten. (Am 19.Juni nahm sich ein weiterer Häftling das Leben, d.Red.) Mit Hosengürtel, Hemd oder Stromkabel hatten sie sich aufgeknüpft. Ein Türke dabei, der vor seiner drohenden Abschiebung auf einen Baum geflüchtet war, der dann - vollzugslogisch - abgesägt wurde. Verdrängend, daß die Todesrate auch zu seinen Lasten geht, spricht Anstaltsleiter Otto von „Bilanzselbstmorden nach einem verpfuschten Leben“.
Mit den Todesmeldungen erreichen den Petitionsausschuß Briefe, und dutzende Pillen der neuen Anstaltsdroge liegen bei. Der Beweis, daß dafür auch ein Schwarzmarkt besteht. Es handelt sich um „Leponex“, das nun in vielen Fällen statt Dapotum D von dem frisch ins Amt gesetzten jungen Psychiater Schwarz (Spitzname: Pontifex Leponex) verabreicht wird.
Leponex ist ein umstrittenes Produkt der Nürnberger Pharmafirma Wander. Wander-Abteilungsleiter Bodo Wahlländer bestätigte, daß es in den Jahren 1975 und 1976 bei der Anwendung von Leponex „in Mitteleuropa 25 Todesfälle gegeben hat“. Trotz intensiver Prüfungen sei übersehen worden, daß Leponex die Blutzellen schädigen und die Immunabwehr schwächen könne.
Der Vorschlag der Firma an das Bundesgesundheitsamt, das Mittel vom Markt zu nehmen, sei am „Widerstand der führenden Psychiater“ gescheitert. Leponex dürfe „nur bei eindeutiog schizophrenen Patienten mit intaktem Blutbild“ zum Einsatz kommen. Nur sechs von 10.000 Menschen sind für eine solche Therapie geeignet. Warum im Straubinger Gefängnis prozentual viel mehr Gefangene mit diesem Medikament behandelt werden, konnte sich Wahlländer nicht erklären.
Als sich der Petitionsausschuß unter Vorsitz des SPD-Mannes Sepp Klasen in die Anstalt begeben will, um die Vorwürfe gegen Anstaltsleitung und Arzt zu prüfen, verhängt die Justizministerin ein Besuchsverbot. Die Parlamentarier hätten kein Recht, mit den Gefangenen vertrauliche Gespräche zu führen. SPD und Grüne drohen mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Hektische Aktivität hinter den Kulissen. Bernd Rosenberg, der die Leponex-Pillen an den Landtag geschickt hat, wird in die JVA Straubing verlegt. Huberus B., der in Straubing die Pillen gekauft hatte, kommt in die JVA Diez. Dieter Zlof, der die Massenpetition formulierte, wird in einer Blitzaktion in die schwäbische Anstalt Kaisheim verschleppt. Erlaubtes Gepäck: eine Zahnbürste.
Unter Drohungen ein
vorformuliertes Papier
unterzeichnet
Als Behinderung des Untersuchungsausschusses werten die Grünen auch die Tatsache, daß die Mehrzahl der Gefangenen, die in Straubing mit Leponex behandelt wurden, von dort eiligst abtransportiert worden seien. Andere Häftlinge, die sich dem Untersuchungsausschuß als Zeuge angeboten hatten, wurden unter Drohungen genötigt, „ein vorformuliertes Papier“ zu unterzeichnen, mit dem sie dem Ausschuß Einsicht in ihre Akten verweigern. Einer überwindet seine Angst und schreibt an den Landtag: „Obwohl mir im Nachhinein klar wurde, daß ich dieses Papier nicht hätte unterschreiben sollen, war im Moment meine Angst vor stationärer Behandlung im Haus III (die Psychiatrie) so groß, daß ich meine Unterschrift gab. Dies ziehe ich hiermit ausdrücklich zurück und bitte den Untersuchungsausschuß, Einsicht in meine Akten zu nehmen.“
Wer, jenseits der Mauern, ermißt, was es einen Lebenslänglichen kostet, die Wahrheit zu sagen? Ganz und gar, auf Gedeih und Verderb ist er dem Spruch der Behörde ausgeliefert, die entscheidet, ob er den Lebensabend in Freiheit verbringen darf.
Als Drohung gegen „Vollzugsstörer“ ragt abseits im Gelände, eigens
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eingemauert, Haus III, die Psychiatrie, Refugium des Pontifex Leponex Dr.Schwarz. Auf dem Dach, pervers und pittoresk, ein vergoldeter Posaunenengel. Man denkt an das Jüngste Gericht. Auch Häftlinge aus anderen Anstalten werden hier versorgt. Zwei bis drei Fuhren beobachten Gefangene aus der gegenüberliegenden Druckerei.
Die Psychiatrie ist kein Krankenhaus. Der Name täuscht. Weiße Kittel verbergen die Uniformen der Wärter. Wieviele Gefangene waren ausgeliefert an Dapotum D, Haldol, Haloperidol, Neurocil und Leponex? Wieviele Schicksale wurden in diesem Haus III entschieden? Die Justiz räumt nur ein, was sich ohnehin nicht bestreiten läßt. Ein paar Alibipatienten werden dem Gutachter vorgestellt und im Beisein von Dr.Schwarz vernommen. Professor Lauter kritisiert den Anstaltspsychiater sehr zart. „Eine therapeutische Leidenschaft“ billigt er ihm zu, „die manchmal über das Ziel hinausschießt.“
Was der Gutachter zu Gesicht bekommt, ist wenig genug. Die Akten wandern wie die Opfer, und die sind über den gesamten bayerischen Vollzug verstreut. „Es hilft ja doch nichts“, sagen sie und sind müde, sich zu wehren. Angst haben sie vor der nächsten Spritze. Daß der Anstalt
psychiater Schwarz sich vor dem Untersuchungsausschuß in den Fallstricken seiner eigenen Sätze verheddert und ihm die Wahrheit aus der Maultasche fällt, als er sagt: „Die armen Geisteskranken, wenn sie vor mir stehen und jammern: 'bitte keine Spritze‘, dann sehe ich doch, daß sie aufgehetzt sind.“
Duschen in Gegenwart von vier Wärtern
Das Bad nach der Ankunft in der psychiatrischen Abteilung. Duschen in Gegenwart von vier Wärtern. Lysol über den Kopf gegossen ätzt die Schleimhäute, brennt die Augen. Rempeleien, mit denen gewöhnlich das Abspritzen eingeleitet wird, muß man mit äußerster Ruhe über sich ergehen lassen. Hat man gute Nerven, einen zuverlässigen Anwalt oder sonst intakte Beziehungen nach außen, stehen die Chancen nicht schlecht, von der Chemie verschont zu bleiben.
Auf dem Weg in die Trockenzelle stoßen sie ihre Schlüssel in den Rücken, zwischen die Rippen des Delinquenten. Ruhe bewahren. Auf Beschimpfungen nicht reagieren. Die Zelle ist völlig gekachelt, versiegelt, ein schalltoter Raum. Ein summender Ventilator bläst Atemluft herein. Panzerglasfenster. Spiegelglatt polierter Boden. Eine Pritsche, auf zwei Betonsockeln gelagert, drückt sich bescheiden gegen die hohe Wand. Neonlicht bei Tag und Nacht.
Am zweiten Tag erstmals für eine Stunde in den Hof. Die Patienten sind mit den Wirkungen der ihnen verpaßten Drogen beschäftigt. Kaum jemand ist ansprechbar. Um den geschorenen Rasen auf den Betonwegen trippeln die Zombies um die Runde, wie von unsichtbaren Schnüren gezogen, den Blick starr auf den Boden geheftet. Sie kommen aus Bamberg und Traunstein, aus Regensburg oder Garmisch-Partenkirchen. Sie sind „psychisch auffällig“ gewesen, haben „eine drohende Haltung eingenommen“, das „Zelleninventar zerschlagen“, haben die kleinlichen und dümmlichen Schikanen des bayerischen Vollzugs nicht mehr ertragen können.
Georg bekommt seit einem halben Jahr Spritzen. Momentan geht's ihm „ein bißchen besser“. Bald ist die nächste Portion Dapotum D fällig. Er habe, erzählt er, sich mit einem Kollegen über das Kamasutra unterhalten wollen. „Der Trottel meinte, ich wollte was Sexuelles von ihm und hat mich angezeigt.“ Georg macht ein entrüstetes Gesicht. Ein Wärter gesellt sich hinzu, zielt mit dem Finger auf ihn: „Jetzt reißt er das Maul auf, aber wenn wir mit der Spritze kommen, dann ist er still wie ein Mäuslein.“ Georg schweigt.
Daneben, auf der Rasenkante, sitzt Hans. Ein magerer Jüngling. Wurde an der Grenze beim Heroinschmuggel verhaftet. Leidet unter dem Entzug. Die Kripo kam und wollte die Namen der Auftraggeber wissen. Hans hat geredet. Nun bekommt er ein Mittel, das ihm die Schmerzen nimmt. Die beiden Hausarbeiter in dem völlig vom normalen Anstaltsbetrieb abgeschotteten Haus III werden weggeschlossen, wenn es gilt, „kritische Fälle“ zu behandeln. Schreie hören sie immer wieder, vor allem abends und nachts. Warum geschrieen werde, nein, das wüßten sie nicht, könnten es sich aber denken. Im übrigen: Kein Kommentar.
Norbert Scheuerer aus der JVA Amberg ist seit Oktober letzten Jahres in Behandlung. Kleine, flache Schnitte auf der Brust hatte er sich zugefügt. Der blutlose, gespenstische Schmerz des Eingesperrtseins sollte sich endlich zeigen. Ein Gespräch hätte ihm vielleicht geholfen. Statt dessen wurde er zum Arzt bestellt, wo vier Wärter warteten, ihn fesselten und nach Straubing schafften. Er weigert sich, Medikamente zu nehmen und wird gewaltsam gespritzt. „Das brauchst du nicht zu wissen“, heißt es, als er erfahren will, was ihm verabreicht wird. Es macht ihn kaputt. Er will laufen, aber wenn er läuft, will er sich setzen. Wenn er spricht, sind es immer nur ein paar Worte, bevor er mit hängenden Armen wieder losmarschiert.
Wieder in Amberg, verweigert Norbert die vom Psychiater Schwarz angeordnete Spritze. Zweimal wird er deshalb nach Straubing transportiert. „Du alter Medikamentenverweigerer“, habe Dr.Schwarz in Straubing zu ihm gesagt. Und dann sei er wieder gewaltsam gespritzt worden.
Die Verschleppung in die Psychiatrie hält man von seiten des Personals diverser Anstalten für eine wirksame Drohung. Ludwig Gess, der sich mehrmals mit Kopfschmerzen beim Amberger Anstaltsarzt meldete, mußte sich anhören: „Wenn Sie noch einmal kommen, lasse ich Sie nach Straubing bringen.“ Mario Plesz, fünfmal in der Straubinger Psychiatrie, hat mit etlichen Tics zu kämpfen, die ihm von der „Behandlung“ geblieben sind. Auch er wurde vom Amberger Anstaltsarzt, der ihn im Warteraum rauchen sah, bedroht: „Da steht 'Rauchen verboten‘. Wenn Du nicht gleich die Zigarette ausmachst, kommst Du nach Straubing. Du kannst nicht lesen? Du bist verrückt.“
So etwas gehört zum typischen Ablauf in den Zulieferanstalten. Erich Kick, der von Amberg nach Straubing gekarrt wurde, kam als Wrack zurück, als ein Zombie. Briefe von Häftlingen, die ihren Angehörigen davon berichten wollen, werden von der Zensur beschlagnahmt.
Die von Straubing herbeigeschafften Zeugen für den Untersuchungsausschuß waren drei Tage auf dem Transport. Sie müssen es sich gefallen lassen, vom Ausschußvorsitzenden Otto Leeb (CSU) das Wort und das Thema beschnitten zu bekommen. Fragen stellt die CSU, die als Regierungspartei mit vier Sitzen (gegenüber dreien der Opposition) den Ausschuß dominiert. Die Zeugen beklagen sich über Schikanen wegen ihrer Aussagebereitschaft. In Straubing seien ihnen nur zehn Minuten gegeben worden, um ihre Unterlagen zusammenzupacken. Ihnen wurde keine Zeugenladung zugestellt. Zusammengepfercht habe man bis zu acht Stunden in fensterlosen Bunkern sitzen müssen. Während dieser Zeit hätten sie nichts zu trinken bekommen.
„Elf Jahre Gefängnis studiert“
Otto Leeb ist an Nebensächlichem nicht interessiert. Die Fragen bezeichnen seine Methode, nach Möglichkeit nichts Untersuchenswertes finden zu müssen. Schließlich hat die Ministerin bereits festgestellt, daß es keine Beanstandungen geben könne. Zurückgekehrt nach Straubing, werden die Radiogeräte der Zeugen konfisziert, Schriftstücke beschlagnahmt, Disziplinarverfahren eingeleitet.
Dieter Zlof, aus der JVA Kaisheim in den Münchener Justizpalast transportiert - wo der Ausschuß aus Sicherheitsgründen tagt -, gibt sich bei seiner Vernehmung locker. „Sie haben nicht jeden Tag Gelegenheit, einem Vollzugsfachmann gegenüber zu sitzen, der elf Jahre Gefängnis studiert hat.“ Es ist eine öfffentliche Anhörung. Das Publikum lacht. Der Zeuge spricht von Psychoterror und daß der Vollzug, das gepriesene „Erziehungskonzept“, aufgebaut sei auf Intrige, Verrat und Denunziation. Er fürchtet, wegen seiner Aussage weiteren Repressalien ausgesetzt zu werden und ersucht den CSU-Mann Leeb um Schutz. „Sie haben Ihre Bürgerpflicht wahrgenommen, ich gehe davon aus, daß Ihnen dadurch keine Nachteile entstehen.“
Im Keller obsiegt der Korpsgeist der Wärter. Dieter Zlof werden die Hände so hart ins Eisen gelegt, daß sie ihm mehrere Tage taub und „total angeschwollen“ sein werden. Die Münchener Anstaltsärztin hat die tiefen Einschnitte an den Gelenken begutachtet und „Störungen der peripheren Sensibilität“ attestiert.
Der Straubinger Anstaltsleiter wird seiner Zeugenaussage wegen nicht malträtiert. Doch sieht er sich als das eigentliche Opfer. Graue Haare hätte er bekommen im Dienst. Ständig versuchten die Gefangenen, ihn „aufs Kreuz zu legen“. Otto ist karrierebewußt. Deshalb verschweigt er, daß er Gefangene arretieren läßt, wenn sie mit Wasserfarbe eine Sonne aufs Zellenfenster malen oder die Neonröhre ihrer Zelle mit Papier umkleiden.
Disziplinarstrafen gibt es auch, falls jemand wagt, sich vom Nachbarn das Radio zu leihen. Verschwiegen wird auch, daß Gefangene vor dem lautlosen Terror des Arrests Messer oder Glasscherben schlucken, weil es ihnen als das geringere Übel erscheint, erstmal operiert zu werden. Dem Arrest entgehen sie deshalb nicht. Otto sieht seine Anstalt jetzt als „ein Kessel, der unter Hochdruck steht“. Schuld daran seien die Grünen und ihre Hetzkampagne, deren sich die Justiz erwehren muß.
Am 26.Juni lehnt die CSU-Mehrheit im Ausschuß jede weitere Zeugenanhörung ab.
Norbert Scheuerer, derzeit noch in Zwangsbehandlung, wird im August aus Amberg entlassen. Weil ohne Zimmer und Verwandtschaft, will ihm eine christliche Gemeinschaft, die sich um ehemalige Strafgefangene kümmert, Wohngelegenheit geben. Eine Bedingung ist dabei. Er muß eine Einverständniserklärung unterschreiben: “... daß Du in regelmäßigen Abständen ein Medikament gespritzt bekommt, das Dir helfen soll, Dich innerlich zu stabilisieren.“ Die Erklärung möge er gleich in der Anstalt abgeben.
(*) Der Autor war von 1987 bis 1988 in Straubing inhaftiert, wurde dann in die JVA Kaisheim und weiter nach Amberg verlegt. Er darf nicht an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen, wurde zur Einschüchterung zweimal in die Psychiatrie verschleppt. Verurteilt zu neun Jahren Haft, weil er mit Spielzeugrevolver zwei Banken, ein Juweliergeschäft überfiel. Schreibt seit seiner Inhaftierung. 1989 wurde er mit dem Ingeborg-Drewitz -Literaturpreis ausgezeichnet.
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