: Die approbierte Muse
■ Der Verein Opera Nova debütiert im Westberliner Hebbel
-Theater mit Mozarts „Finta giardiniera“
Von Stephan Reimertz
In einer Stadt, wo in den offiziösen Opernapparaten die Mozartpflege zur Mozartplage geworden ist - man erinnert sich der Zauberflöte in Charlottenburg, die so provinziell kein Duodezfürstentum der Metternich-Zeit gesehen hat, oder des Don Giovanni der in diesem Fall unfreiwillig Komischen Oper -, hofft man auf Gastspiele, Außenseiter und Privatinitiativen, die den Berlinern das Schaffen des vielleicht größten, aber verschollenen Opernkomponisten wieder näherbringen.
Die „Opera Nova“ etwa, ein Trupp nur junger Sänger, Musiker und Theatraliker, ist laut eigenem Statut ausgezogen, „Opernaufführungen, wie sie in der Routine des Repertoirebetriebes großer Häuser oft nicht möglich sind“, zu erarbeiten. Das Ensemble wie auch das begleitende „Neue Kammerorchester Berlin“ sind Gründungen heurigen Jahrgangs, die Aktiven von hüben und drüben, man probt deutsch-deutsche Musikkoedukation. Der Zuhörer ist gespannt auf einen neuen jugendlich-gesamtdeutschen Opernstil, einen ambitionierten Musikfrühling derer, die schon professionell, noch jung und begeisterungsfähig und noch nicht eingeebnet sind unter der Nudelholz-Dramaturgie der großen Häuser.
Die Opera Nova trat an mit Mozarts Finta Giardiniera. Ein mutiger Schritt: Die weichgezeichnete Dramaturgie und die zwischen Singspiel und Opera seria changierende Musik haben schon dramaturgische und musikalische Vollprofis zum Weinen gebracht. Und sicher ist es auch vielen Zuschauern während der (mit Pausen) 225jährigen Aufführungsgeschichte des Werks nicht anders ergangen. Doch die Opera Nova hielt sich fern von allen wacker gezimmerten Opernkisten, wie sie das Settecento am Fließband hergestellt hat, und der Vorhang des für jedes zimmerlautstarke Ansinnen ideal geeigneten Hebbel-Theaters hob sich für Mozarts Falsche Gärtnerin.
Wir befinden uns in einem idealischen Italien. So sichtbar an den auf Skizze stilisierten Kostümen. Für diese gelungenen hochbuffonesken Gewandungen und die exquisite, philosophisch leere Bühne zeichnen Kerstin Drechsel und Friederike Feldmann verantwortlich. Und da ist sie: Marchesa Violante, Gärtnerin unter dem Namen Sandrina und bürgerlich Daniela Bechly. Das Ensemblemitglied der deutschen Oper hält sich inkognito auf der Bühne auf, um den verlorenen Geliebten zu suchen, einen Grafen Belfiore, der später tatsächlich und gesungen von Jörg Hering im donjuanesken Schlafanzug auftaucht. Die beiden sind Verirrte in einem Liebeslabyrinth, durch das insgesamt sieben Personen während der (mit Pause) fast vier Stunden dauernden Aufführung irren, um am Ende in Konstellation dreier Paare und eines Angeschmierten - des gastgebenden Adeligen - in die auflösende Klarheit des letzten Aktschlusses zu treten. Ich verzichte darauf, die Handlung hier im einzelnen nachzuerzählen. Um sie nicht zu verstehen, genügt es, den Opernführer zu konsultieren. Der Grundgedanke ist leicht verständlich und lebensnah: Jede der Personen ist in eine andere verliebt. Aber die Story ist reines Achtzehntes, seinen Tiefsinn muß der Zuschauer selbst herantragen. Dem Ensemble der Opera Nova gelingt es, die Handlung verständlich zu transponieren, wenn auch auf seine Art und auf seine Ebene. Denn diese in ihren Verwechslungsspielen leicht verwechselbaren Dishuithieme-Figuren erweist eine solche Aufführung sehr bald als Typen des 20. Jahrhunderts.
Es ist sehr schwer, lebendiges, glaubwürdiges 18. Jahrhundert auf die Bühne zu stellen, und es gelingt vielleicht nur Künstlern wie Gudrun Sieber, die persönlich aus dieser glücklicheren Zeit der Aufklärung zu stammen scheinen.
Die 25- bis 35jährigen Opern-Novizen hingegen, die hier die Komödie eines 18jährigen Komponisten aufführen, sind von einer studentischen Blässe aus unseren 80er Jahren gefährlich angekränkelt.
Der Titelfigur fehlt es nicht an empfindsamem Pathos, aber die durchtriebene Naivität, die auch Eigenschaft der falschen Gärtnerin ist, geht ihr ab. Vielmehr strahlt sie unveränderlich durch den Abend - jene huldvoll-ambitionierte Biedermeier-Pädagogik einer Kunsthistorik-Elevin aus, wie sie heute in jedem Museum steht. Auch Dilek Gecer als Arminda gelingt es nicht, sich mit bewußt tantiger Beschwingtheit aus indignierter Nasenheberei herauszureißen. Die Kammerzofe Serpetta, vorgestellt von Itziar Real, hat das Staubwischen mindestens in Harvard gelernt. Nicht keck, sondern raunend und mahnend läuft sie durch die Handlung. Interessant: Don Ramiro, besetzt mit Gabriele Klein - ein mann-weiblicher Desperado in Schwarz wie aus der Linie 7 der Berliner U-Bahn.
Ich bin sicher, daß alle Darsteller - das gilt auch für Pär Linskog als Podesta und Mathias Schulz als Nardo - echte, engagierte, vor allem gebildete Sänger sind. Aber da beginnt das Problem: ihnen allen fehlt die hinreißende Simplizität, jede Unbefangenheit in der Darstellung. So bilden sich im dramatischen Ablauf immer wieder weiße Flecke, aufgeladene, aber unbestimmte Momente. Aber unversehens entsteht im Medium Mozarts das Porträt einer Generation: ihre ehrlichen Anliegen, ihre verhemmten Ambitionen und intellektuelle Zickigkeit.
Schulmäßig eckig begleitet das Neue Kammerorchester Berlin, Christoph Habel faßt die Tempi vorschriftsmäßig und daher für den Raum des Hebbel-Theaters zu schnell. Der psychologische Kontrapunkt im Instrumentalen, die ironischen Kommentare der Soloinstrumente werden überspielt.
Wurde hier die Chance zu einem im Gegensatz zu den institutionalisierten Spielstätten lebendig atmenden Musiktheater vertan? Vielleicht.
Eher jedoch zeigte ernsthafte Arbeit an einem Jugendwerk Mozarts das authentische Gesicht einer jungen Künstlergeneration: Züge voll Wissen und Wollen, aber dünnblütig und ohne rechte Durchschlagskraft.
Opera Nova im Hebbel-Theater: „La finta giardiniera„/„Die falsche Gärtnerin“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Konzeption und Gesamtleitung: Jakob Peters-Messer; musikalische Leitung: Christoph Hagel; Inszenierung: Alexander Paeffgen. 14., 15. und 16. Juli 1990, 20 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen