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Wer hat noch nicht - FDJ-Akten?

■ Im Zentralgebäude der FDJ in Berlin lagern seit Tagen Müllcontainer mit Akten auf dem Hof Journalisten konnten sich bedienen / Wer garantiert in der DDR den Schutz persönlicher Daten?

Der Hof des Gebäudekomplexes der ehemaligen FDJ in Berlin, Unter den Linden 36, war an diesem Wochenende begehrtes Ziel diverser Journalisten. Hier lagern nämlich in großen Müll -Containern zum Teil vertraulich gekennzeichnete Akten der FDJ. „Aktenvermerk über das Kadergespräch“ steht über einem Stapel von Papieren, die in der taz auf dem Redaktionstisch gelandet sind, Karteikarten mit Eignungsbemerkungen hatte der 'Tagesspiegel‘ am Sonntag faksimiliert, der 'Morgen‘ hat sich die kompletten Kaderakten der 8. und 9. FDJ -Erntebrigade Werner Lamberz 1986/87 gesichert.

Die Unterlagen, die im kapitalistischen Westen strengstem Datenschutz unterliegen würden, hat die FDJ offensichtlich zusammen mit fabrikneuen Blauhemden, Ausgewählten Lenin -Werken und Zigarettenkippen in den großen Container geschmissen.

Am Sonntag war der Hof mit einem Stahltor verschlossen „Heute ist Sonntag, morgen ist wieder offen“, gab der Pförtner zur Auskunft. Am Montag im Morgengrauen war dann der eine Container abgeholt und auf die Kippe gebracht worden, der andere stand weiterhin zur Selbstbedienung offen da.

Mit der Brigade der Freundschaft war Peter R. etwa im Irak eingesetzt. Familienstand „ledig“ weist die Kaderakte aus. „Genosse seit 1979“ ist nachgetragen. Den Aktenvermerk unterzeichnete der FDJ-Genosse Bauermann. Auf einer anderen Kaderakte steht: „Ein Einsatz in der BdF der VR Angola kommt nicht in Frage“, und so weiter. Die achtlos weggeworfenen Akten geben zudem tiefen Einblick in das Finanzgebaren der FDJ. Da beschwert sich ein Jochen Kramer, daß seine Rechnungen nicht bezahlt sind, da informiert der Direktor des Kulturfonds der DDR den Genossen Günter Neumann, daß „im Interesse der Einhaltung der Plansumme für die Weimartage der FDJ“ eine Umbuchung von Kulturfondsmitteln auf Haushaltsmittel der Abteilung Kultur vorgenommen werden soll. Der taz liegt ein ausgiebiger Briefwechsel aus dem Jahre 1980 zu dem Bildband „Wir meistern die Zukunft“ vor.

Alles unwichtige Bagatellen, könnte man sagen, interessant vielleicht für eine Sittengeschichte der FDJ-Bürokratie. Der Fall, der per Zufall ans Tageslicht der Medien -Öffentlichkeit gelangt ist, zeigt jedoch etwas über den Umgang mit vertraulichem Datenmaterial. Wo überall sind Akten mit persönlichen Daten in den Apparaten gesammelt, die nun auf dem einfachsten und billigsten Wege „entsorgt“ werden? Nach westlichem Datenschutz-Standard ist schon das Geburtsdatum eine persönliche Information, die Dritte nichts angeht - wer fahrlässig damit umgeht, macht sich strafbar, dafür haben Bürgerrechtsgruppen im Westen gestritten.

Der Fall der FDJ scheint typisch zu sein. Die ehemals Verantwortlichen sind ihrer Ämter längst enthoben. Für die Vernichtung brisanter Daten, die ihnen persönlich auch unangenehm werden könnten, haben sie selbst gesorgt. Akten, die nur anderen unangenehm werden könnten, blieben in den Ecken liegen. Nun stand, so berichtet der Hausmeister, der Container im Hof - irgend jemand hat den Rest der FDJ-Akten einfach dazugeworfen. Und da liegen sie...

K.W.

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