piwik no script img

Konsequenzen aus dem Ende des Terrorismus

■ Zehn Thesen

DOKUMENTATION

I. Der Terrorismus hatte seinen historischen Entstehungsort in der Endphase der Studentenbewegung. Terroristische Gruppen gab es in allen Industrienationen. Besonders scharf ausgeprägt waren sie in den Ländern mit nationalsozialistischer oder faschistischer Vergangenheit. Anders als in anderen Ländern aber hat die herrschende Politik der Bundesrepublik nie versucht, politische Lösungskonzepte zur Beendigung des Terrorismus zu entwickeln in der Phase, wo sie möglich wurden. Spätestens seit dem weltweiten Aufkommen der Friedensbewegung und der demokratischen und Ökologiebewegung war die völlige gesellschaftliche Isolierung des Terrorismus entschieden. War das Konzept, durch eine gewalttätige und mörderische Militanz Massenaufstände auszulösen, von Anfang an unsinnig, so bestand spätestens seit Anfang der 80er Jahre die Notwendigkeit, auch mit politischen Strategien für die Beteiligten einen Ausstieg aus den terroristischen Gruppen zu ermöglichen und gleichzeitig eine gesellschaftliche Isolierung von einem möglichen Sympathisantenspektrum zu erreichen.

II. Die „Rote-Armee-Fraktion“ und die „Bewegung 2. Juni“ hatten gesellschaftliche Beachtung weniger wegen ihrer Gewaltstrategien und Morde errungen, als wegen der durch sie ausgelösten staatlichen Gegenstrategien: die Terroristengesetze, die isolierenden Haftbedingungen, die Einschränkung der Verteidigerrechte. Erst in der Haft wurden die Mitglieder der RAF zu einem Mythos. Wer den Terrorismus bekämpfen wollte, mußte versuchen, diesen Mythos aufzulösen. Deswegen haben Christa Nickels und ich im Januar 1985 den ersten Versuch gemacht, mit inhaftierten Mitgliedern der RAF zu sprechen. Heute stellt sich heraus, daß genau dieses der Zeitpunkt war, an dem ein erheblicher Anteil der Gruppe sich längst einen Ausstieg aus eben dieser Gruppe gesucht hatte, sei es in der DDR, sei es anderswo.

III. Damit ist die These widerlegt „Wer einmal Terrorist ist, will es immer bleiben“. So wie der Terrorismus in seiner Entstehung gesellschaftlich bedingt war, so ist er auch für die einzelnen Beteiligten offensichtlich nur für eine kurze Lebensetappe überhaupt lebbar gewesen. Die meisten Mitglieder der Gruppe haben offensichtlich die Realität ihrer Taten selber nicht ausgehalten. Grundsätzlich gilt dies auch für die inhaftierten Mitglieder der RAF.

IV: Spätestens seit dem Jahre 1985 waren auch die Sicherheitsdienste und die Justizminister darüber informiert, daß es in erheblichem Umfang aussteigewillige Gruppenmitglieder gab, ob sie sich nun in der DDR oder anderswo aufhielten. Zu fragen ist, warum nicht seit dieser Zeit intensiv über Angebote nachgedacht wurde, sich den deutschen Behörden zu stellen beziehungsweise den Ausstieg aus der Illegalität zu vollziehen.

V: Dabei ist es unerheblich, ob die Sicherheitsbehörden fest von einem Verbleib in der DDR überzeugt ware, also die DDR faktisch als Aussteigerland akzeptierten. Im Ergebnis ist in der DDR etwas realisiert worden, was in der BRD politisch verhindert wurde: die gesellschaftliche Befriedung (Klaus Hartung).

VI. Der Grund, warum sich die Betroffenen nicht der westdeutschen Justiz gestellt haben, liegt offensichtlich in der Praxis der Terroristenprozesse in diesen Jahren und in den äußerst harten Urteilen (zwei- bis dreimal lebenslänglich), die in dieser Zeit ausgesprochen wurden. Zu erinnern ist dabei besonders an die Urteile gegenüber dem Aussteiger Peter-Jürgen Boock und an Irmgard Möller, die inzwischen seit 18 Jahren inhaftiert ist.

VII. Die Zeit des Terrorismus als einer politisch motivierten mörderischen Kriminalität von illegalen Gruppen ist vorbei, was bleibt, ist „normale“ Gewaltkriminalität, die bekämpft und geahndet werden muß wie andere Morde und Verbrechen auch.

VIII. Aus dieser Einschätzung entspringt die politische Konsequenz, daß sämtliche Sondergesetze für den Terrorismus abgeschafft werden können und müssen: der § 129a, die Einschränkung der Verteidigerrechte, die Kontaktsperre, die Sonderhaftbedingungen für inhaftierte RAF-Mitglieder.

IX. Ganz entschieden lehnen wir die Kronzeugenregelung ab. Sie ist nicht nur in ihrer Anwendungspraxis rechtstaatlich hochproblematisch und erzeugt (wie das Beispiel Italien zeigt), problematische Aussagen, wie führt auch in ihrer Wirkung nicht zur Auflösung der Gruppe, sondern zu einer neuen Gruppensolidarität.

X. Für die an die Bundesrepublik ausgelieferten ehemaligen RAF-Mitglieder, fordern wir normale Prozesse, die von der Unschuldsvermutung ausgehen, Straftaten nur nach individuellem Strafmaß ahnden und die Möglichkeiten von Halbstrafe und Begnadigungen ausdrücklich einschließen.

Antje Vollmer

Die Autorin ist Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen in Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen