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Schöne Perspektiven für Europa

■ Die Freisprüche von Bologna zeigen den Zustand von Politik und Justiz in Italien

Das Entsetzen, mit dem Italiens Öffentlichkeit die Freisprüche im Prozeß wegen des Attentats von Bologna von 1980 aufgenommen hat, ist nicht geheuchelt. Und dennoch kann man unmöglich umhin, gerade dieser Öffentlichkeit und dieser Presse ein Gutteil der Verantwortung für diesen und dutzende anderer Skandale anzulasten. Daß es für alle, ausnahmslos alle Bombenattentate - beginnend mit dem Anschlag auf die Landwirtschaftsbank von Mailand 1969 (16 Tote) - keine einzige Verurteilung gab, daß Vorgänge wie der Abschuß einer Linienmaschine 1980 mit 81 Opfern bis heute offiziell ungeklärt sind, daß von den Mitgliedern der 1981 aufgeflogenen kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“ niemand hinter Gittern sitzt und sogar deren Oberboß Licio Gelli frei und fröhlich wieder seine Fäden zieht - all das ist nicht nur, wie man's so gerne klischiert, die Schuld der sogenannten Verantwortlichen, der Politiker, der Richter.

Ein Volk, das sich 40 Jahre einen so skandalumwitterten Politiker wie den derzeitigen Regierungschef Giulio Andreotti leistet, muß sich nicht wundern, wenn auch die mittleren und unteren Ebenen nicht weniger korrupt sind. Die Macht der Andreottis beruht auf ihrer Fähigkeit, einerseits eine feste Klientel an sich zu binden, indem sie wichtige Stellen mit ihren Leuten besetzen, seien diese dafür qualifiziert oder nicht, und andererseits die Gegner erfolgreich gegeneinander ausspielen. Dieses System funktioniert bis hinunter zum Dorfbürgermeister, zum Gesundheitsamt oder zur Stadtreinigung. Und dies ist besonders fatal im Polizei- und Justizapparat. Da es keinen Bürgerwiderstand gegen dieses System gibt, ist mittlerweile auch die Rechtspflege von der Ermittlung bis zum Urteil längst von jedem Gedanken an Gerechtigkeit oder auch nur an Auflärung unendlich weit entfernt.

Die Prozesse wegen der Bombenattentate der letzten 20 Jahre endeten entweder mit Totalvernebelung oder mit harten Strafen in erster Instanz, und kehrten sich ins Gegenteil, je nach dem Zeitpunkt, an dem die Revisionsinstanz ihr Urteil sprach. In Zeiten von Enthüllungen über angebliche Verbindungen der ehemaligen Ostblockländer mit dem Linksterrorismus scheint auf der rechten Seite Blindheit angesagt zu sein. Und so werden noch so präzise Ermittlungen wie die der Bologneser Anklage zur Makulatur erklärt.

Italien hat derzeit die Präsidentschaft in der EG. Im Dezember werden unter seiner Ägide die Weichen für die politisch-rechtliche Vereinheitlichung der EG-Staaten gestellt. Schöne Perspektiven für Europa.

Werner Raith.

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