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Tanz den Osten!

■ Ein Streifzug durch Ostberliner Diskotheken

Von

GUNHILD SCHÖLLER

ine kalte blau-rote Leuchtschrift hängt über der kleinen Tanzfläche: „Test the West - schmeckt super“. Samstag nacht wird es eng im „Yucca“, einer auf chic gemachten Diskothek am Prenzlauer Berg. Trotzdem muß neben der Tanzfläche ein weißer Sonnenschirm mit „West„-Signet überflüssig herumstehen. „Let's go West“ - wie sehr dieser läppische Glimmstengel mit seinem Slogan das Lebensgefühl der jungen Menschen in der DDR verkörpert, habe ich erst in dieser Disko-Nacht wirklich verstanden. Tanzen gehen „im Osten“ dieses Vergnügen sollte man sich gönnen, solange es „den Osten“ noch gibt.

Männer stehen herum an der kleinen Tanzfläche des „Yucca“. Große, kleine, bläßliche, feiste, aufgedunsene, frische, blonde, schlanke, so nebenbei vorbeiblickende Männer. „Touch me“, quengelt die Kleinmädchenstimme breit aus der Box aber da läuft nicht viel im „Yucca“. Der mittlere Angestellte mit frisch blondiertem Haar und neuem Nappalederanzug hält, an den Tresen gelehnt, nur sein Bierglas fest. Und auch der Intellektuelle mit leicht schütterem Haar blickt nur skeptisch durch die Brille. „See my body“, bittet das nächste flache Stimmchen. Das ist immerhin angesagt in einer Diskothek. Aber als ich zurückblicke, da schauen diese Augen blitzschnell nach unten weg.

Seit neun Jahren gibt es das „Yucca“ in der Wisbyerstraße. Von Anfang an war es in privatem Besitz. Was sich verändert habe seit der Öffnung der Mauer, frage ich den Türsteher und Garderobenmann. Was für dämliche Fragen er die ganze Zeit beantworten müsse, schnoddert die Berliner Schnauze, „jar nüscht“ sei anders als vorher. Wahrscheinlich antwortet er ehrlich.

Kein bemüht-cooles Ambiente, sondern eine Tanzhalle zum sich mal richtig „Abhotten“ - das ist das „Cafe Nord“ in der Schönhauser Allee. Hier verbindet sich der betörende Charme einer HO-Gaststätte mit einem fetzigen Tanzboden. Die obligatorischen Polstersitzgelegenheiten auf Metallgestell, der dunkelbeige PVC-Fußboden und die hellbeige Mustertapete sind gnädig in rotes und gelbes Licht getaucht. In der Mitte bleibt ein großes Rechteck unbestuhlt - das ist die Tanzfläche. Und dann: Mitten auf der Bühne, voll im Licht der Scheinwerfer - der DJ. Ein bißchen zu dick und mit zu viel Pomade im schwarzen Haar, mit dünnem Schnäuzer und breitem Grinsen thront er über allem. Er ist der King. Zu jeder Platte ein flotter Spruch (der Witz geht immer leicht daneben), versprüht er gute Laune und hat direkten Draht zum Publikum. Das läßt sich gerne von ihm einheizen. Zwei junge Frauen tanzen spielerisch den erotischsten, raffiniertesten Tanz dieses Abends. Ein paar junge Männer zucken verträumt vor sich hin. Eine Clique erobert die Tanzfläche, man rempelt sich freundschaftlich an, feixt und lacht.

Das Publikum ist jung im „Cafe Nord“, man kennt sich, kommt als Paar oder in der Gruppe und hat besonderes Styling (noch?) nicht nötig. Leicht gebeulte Jeans und undefinierbares Schuhwerk - das ist die Regel. Einige Mädels experimentieren mit Sexy-Oberwäsche - einer blonden rutscht der schwarze Mini fast über den Hintern, sie quält sich mit schwarzen Lack-Stöckelschuhen und läßt das weiße Hemdchen wenig dezent über die Schultern fallen.

Da trifft mich ein Blitz. Erschrocken fahre ich hoch von meinem HO-Polsterstuhl. Ein 20jähriger im neuen glänzenden Viskose-Sakko lächelt schüchtern-entschuldigend und deutet auf die 18jährige, die schräg hinter mir an einem Tisch sitzt. Er hat ja bloß seine Freundin in der Disko fotografiert. Nun steht sie auf im dunklen, fast knöchellangen Rock, lächelt ihn dankbar an. Beide setzen sich und prosten sich zu. Verlobungsfeier im Cafe Nord? Aber kein Sekt in den Gläsern, sondern Cola. Das Glas für 2,10 Mark.

as „Cafe Nord“ hat mein Herz im Sturm erobert. Hier wird getanzt und gelebt, und ich könnte den Jungen knutschen, der „Entschuldigung“ sagt, als er mich an der Bar (aus Versehen!) berührt - ungewohnte Höflichkeit. Erschrecktes Bedauern, als ich fast nebenbei erfahre, das „Cafe Nord“ sei vor wenigen Wochen verkauft worden. 25 Jahre lang war es ein HO-Betrieb - droht diesem Tanzboden mit all seinem Charme jetzt der Garaus? Aber der neue Besitzer, der seit 20 Jahren hier arbeitet, gibt nur unwirsch zurück, die Klos, die Bar und der Fußboden müßten neu gemacht werden. „Sehnse det nich, is doch alles kaputt!“ Ansonsten würde „nüscht“ verändert. Hoffentlich.

Nachts um zwei kommen wir in die Wilhelm-Pieck-Straße. Aber da hat das „Jojo“, ein Tanzladen und bewährter Szenetreff in einem Jugendklub, schon zu. Schade, dann bleibt nur noch das neue, das aufgemotzte „Jojo“. 14 DM für einen Verzehrbon muß man löhnen, um diesen Glittertempel mit Diskothek und Nachtcafe betreten zu dürfen. (Im „Yucca“ ist der Eintritt frei, im „Cafe Nord“ zahlt man fünf DM.) Unter zehn DM ist ein Drink an der Bar nicht zu haben.

Anmache: Da stehe ich und überlege noch ruhig, was ich will, schaue mal die Flaschen, mal die Männer an, als plötzlich eine Hand auf meinem Hintern liegt. Schnell streift sie über die Hüfte nach vorn, und zum Vorschein kommt ein feister Blonder: „Hast du ein Zweimarkstück?“

„Nein.“ Das ätzend-unvergeßliche Schimpfwort, das wie eine Ohrfeige klatscht, fällt mir in solchen Situationen leider nie rechtzeitig ein.

Zwei 20jährige, die offensichtlich Zweimarkstücke hatten und damit aus dem Automaten, der nur damit funktioniert, ihre „West“ bereits rauslassen konnten, nesteln umständlich an der Schachtel herum. Schließlich hält jeder glücklich und ungelenk die jungfräuliche Zigarette zwischen Mittel- und Zeigefinger. Mit einem Ruck ziehen beide ein Feuerzeug aus der Tasche. Einer hält dem anderen die Flamme unter die Nase. Ich lache.

Das hätte ich besser nicht gemacht. Der eine blickt mich von unten lächelnd an. Oh Gott, jetzt bietet er mir gleich eine an und sagt „Test the West“. Entsetzt wende ich mich ab und meinem Begleiter auf der anderen Seite zu.

Die Lightshow stimmt im „Jojo“, der Sound ist gut, das gewienerte Parkett eignet sich hervorragend zum Tanzen wenn nur dieser DJ nicht wäre. Seine Sprüche plätschern qualvoll dümmlich dahin zwischen diesem Brei aus Schlager -Softpop-Disko-Sound. Legt er aus Versehen mal ein starkes Stück auf, quatscht er es garantiert anschließend tot.

Das „Jojo“, erst im April ganz neu eröffnet, kommt zu spät. Konzipiert zu einer Zeit, als der Westen, nur wenige hundert Meter weiter hinterm Checkpoint Charlie, unerreichbar war, bleibt heute nur die perfekt-kalte Kopie des westlichen Unterhaltungsstils. Dafür erntet man heute keine bewundernden Blicke der Gäste aus dem „befreundeten Ausland“ mehr, und auch der Stolz und die freudige Dankbarkeit des Staatsvolks bleiben aus. Heute gibt es „West“ aus dem Automaten und gähnende Langeweile, verbreitet von Kindern zu reicher Eltern.

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