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Der „Skandal“ im „Geheimbüro“

■ Wie Pfarrer Krüger und die Medien in die Bürokratenfalle stolperten

Ost-Berlins Innenstadtrat Thomas Krüger lud am Mittwoch in seine Diensträume, in denen früher die Stasi logierte. Alle kamen und sahen. Wohl nicht nur die taz glaubte, „das Ambiente“ erinnere an „Agentenfilme, die Story nicht minder“. So ähnlich auch die Kommentare im Fernsehen, das Bilder eines der elf „geheimen Nachrichtenbüros“ in den Ostberliner Bezirksämtern filmte: neben Fernschreiber, Telefon, Chiffrierkästen stand ein Panzerschrank. Obendrauf ein rotes Tischdeckchen mit Blumenvase und halb vertrockneten Kätzchen. Hinter diesem bis vor wenigen Tagen funktionierenden Ensemble witterte Stadtrat Krüger „eine Nachrichtenspinne der Stasi“, mithin einen „Skandal ohnegleichen“. Innenminister Diestel hingegen stellte gestern die Affäre in „einen direkten Zusammenhang zum Hauptmann von Köpenick“, dessen Geschick Berlin bereits einmal an den Rand einer Staatsaffäre führte.

Für den bürokratieunerfahrenen Pfarrer Krüger lag der Fall klar: seit 1983 habe die Stasi in den Rathäusern Nachrichtenbüros installiert. Aus diesen Zimmern seien - bis zur letzten Woche - verschlüsselte, geheime Verschlußsachen zum Roten Rathaus, Ministerrat und ins Innenministerium geschickt worden. Man wisse zwar nicht, was gesendet worden sei, aber die Gerätschaften samt Kaderbestand dienten der verdeckten Nachrichtenübermittlung bei „innenpolitischen Notständen“. Offenbar seien Rotes Rathaus und Bezirksämter „noch verwanzt“.

Da war sie endlich, die Geschichte, die die Fortexistenz der Stasi zu beweisen schien. Oder vielleicht doch nicht? Agentenjäger Krüger fand noch eine andere heiße Spur, die die PDS einem beinharten Verdacht aussetzt. Er wunderte sich über die „ungewöhnlich gut informierte PDS-Fraktion“ im Roten Rathaus, die „Detailkenntnisse aus vertraulichen Magistratssitzungen habe“. Daß Innenminister Diestel zu den Vorwürfen schwieg, liegt nicht etwa daran, daß er angeblich „erstmal einen halben Tag gelacht“ hat - man weiß ja, dem Mann ist in Sachen Stasi nicht zu trauen. Gestern nun präsentierte er seinen Kronzeugen, den vom Oberst zum Volkspolizei-Direktor zivilisierten Herrn Zimmermann. Dieser Mann, „Organisator der Chiffrier-Organe“, nahm Stellung zu den „Berichten in Fernseanstalten und Presseerzeugnissen über das Vorkommnis“. Die gemäß Anordnung des Ministerrates seit 1983 tätigen Chiffrierorgane hätten dem „Geheimnisschutz“ gedient und „den in der BRD üblichen Verfahrensweisen“ entsprochen. Welche Informationen die Planstelleninhaber der „Geheimbüros“, in denen nichts und niemand abgehört werden kann, übermittelten, wußte Zimmermann nicht. „Ich habe das ja nur organisiert.“ Allerdings habe das Innenministerium am 30. Mai '90 den Berliner Magistrat informiert und gefragt, ob jenes Kommunikationssystem aufrecht erhalten werden sollte. Der Magistrat antwortete nicht, Neuling Krüger stiefelte durch das Chaos seines Ressorts. Erst am 19. Juli habe der Magistrat, so Zimmermann, beschlossen, auf diesen Dienst zu verzichten. Ergo arbeiteten die Chiffreure bis dato. Schließlich hatte ihnen niemand gesagt, daß sie aufhören sollten. Aber was in aller Welt tippten die Beamtenseelen in die Tasten? Diestel: „Ich weiß es nicht. Aber wer die DDR kennt, weiß doch, daß da alles mögliche chiffriert wurde.“ Der Innenminister verzieh Stadtrat Krüger dessen große Worte vom „Skandal ohnegleichen“. Diestel wörtlich: „Einem Pfarrer sind gute Absichten, aber wenig Sachkenntnis zu unterstellen“.

Dem früheren Geistlichen verschlug es zunächst die Sprache. Aus der Magistratspressestelle war immerhin der neueste Stand der Recherche zu erfahren. Die Erkenntnisse decken sich mit denen des Innenministeriums: „Staatsgeheimnisse“ seien in den letzten Monaten in den Räumen weder abgesetzt noch dechiffriert worden. Aus den Bezirksämtern tickerte offenbar nichts weiter als die Bestätigung der technischen Empfangsbereitschaft - „oder mal ein Wetterbericht“.

Petra Bornhöft

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