piwik no script img

638027000000 Personenkilometer im Jahr 2010

■ In 20 Jahren stauen sich 37 Millionen Autos auf dem engsten Straßennetz der Welt / Gruselige Prognose des DIW

Berlin (taz) - Prognosen zum Autoverkehr haben eines gemeinsam: Sie sind immer falsch. Allenfalls die kühnen Vorhersagen des Energieverbrauchs können mit den regelmäßig und heftig danebenliegenden Hochrechnungen über die weitere Entwicklung der Auto-Seuche noch mithalten. Die Energieexperten lagen immer zu hoch, die Autozähler immer zu niedrig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ist immerhin so ehrlich, seinen neuesten Blick in die Zukunft des Autos mit dem Eingeständnis des Scheiterns zu beginnen: Die vor genau zehn Jahren von demselben Institut errechnete Zahl von „PKW-Fahrleistungen“ für das Jahr 2.000 sei schon 1988 erreicht worden, schreiben sie selbstkritisch. Mit anderen Worten: Was die Bundesdeutschen in 20 Jahren hätten schaffen sollen, haben sie spielend in nur acht Jahren erledigt. Gründlicher kann man sich nicht mehr täuschen. Doch nach den Gründen für die chronisch unterschätzte Autoliebe mag man beim DIW nicht lange fragen. Man macht sich lieber an die nächste Vorhersage. Und die fällt erneut eher milde aus. Die Wachstumskurve neigt sich noch relativ versöhnlich dem Jahre 2010 zu. Und trotzdem: Die jetzt vom DIW vorgelegte „Status quo-Projektion des Personenverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland bis 2010“ lehrt einen auch in ihrer moderaten Fassung noch das Gruseln. Von heute 30 Millionen Autos wird der Bestand bis 2010 auf 37 Millionen ansteigen. Heute besitzen 660 von 1000 fahrfähigen Bundesbürgern eine eigene Kiste, im Jahr 2010 werden es 775 sein. Und da, so die Annahme der DIW-Forscher, sowohl Einkommen wie Freizeit weiter zunehmen, werden mehr Autobesitzer mit mehr Autos auch mehr fahren. Unter dem Strich heißt dies: „Die PKW-Fahrleistung wird unter den Status-Quo-Bedingungen dieser Projektion um 30 Prozent höher sein als 1987.“

Die Hochrechner haben bewußt keine Wende im Verkehr angenommen, sondern die „tradierten Muster für die Wahl der Verkehrsmittel“ als bestimmend vorausgesetzt. Der geplante weitere Ausbau des Straßennetzes gehört ebenso zu den Prämissen wie der Ausbau von Bundesbahnstrecken, von U-Bahn und S-Bahn als Konkurrenz zum Auto. Ansonsten wurden vor allem die Mobilitätsraten von einzelnen „soziodemographischen Personengruppen“ (z.B. Schüler, Studenten, Erwerbstätige, Dienstreisende, Einkaufende) ermittelt und mit dem Bevölkerungswachstum verrechnet. Ein Beispiel: Bis zum Jahr 2010 wird die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber 1987 um fünf Prozent ansteigen. Der Schwund der Arbeitstage (35-Stundenwoche) reduziert den Anstieg des Berufsverkehrs aber wieder auf 3,5 Prozent. Der höhere Anteil von PKW-Besitzern unter den Berufstätigen treibt diese Wachstumszahl für den PKW-Berufsverkehr wieder auf über 20 Prozent. Beim Einkaufsverkehr sorgt schon das Bevölkerungswachstum für 5,2 Prozent mehr Fahrten. Den höheren Motorisierungsgrad dazugerechnet und die Annahme, daß der Konsum ein „wesentliches Ziel der Lebensgestaltung“ bleibt, prognostizieren die Berliner Wissenschaftler allein auf diesem Sektor insgesamt 18,2 Prozent mehr Autoverkehr, und: „Rückgänge bei allen anderen Verkehrsarten“.

Im Urlaubsverkehr werden zwar dem Flugzeug die höchsten Zuwachsraten von heute 21 auf 30 Prozent Anteile bescheinigt, aber das Auto bleibt bei Urlaubsreisen Verkehrsmittel Nr.1. Schon von 1976 bis 1987 war der Auto -Urlaubsverkehr als stärkster expandierender Sektor um satte 27 Prozent gestiegen. Bis 2010 soll er nochmals „abgeschwächt“ zulegen, sagen die DIW-Experten. Exakt 11 Prozent mehr Auto wird für den übrigen Freizeitverkehr außerhalb des Urlaubs prophezeiht. Mehr als ein Drittel aller Verkehrswege im Personenverkehr entfallen laut DIW -Analyse schon heute auf diese „Freizeitmobilität“ (Kino, Kozerte, Sport, Kneipe, Ausflüge). Noch mehr Freizeit und anhaltende Mobilitätssucht sorgen dafür, daß dieser Trend ungebremst fortgesetzt wird.

Verschärft wird die Auto-Lawine noch durch einen anderen unheilvollen Trend: Wegen der immer höheren Motorisierung sitzen in immer mehr Autos immer weniger Personen. Und die wenigen fahren immer weitere Strecken.

Wenn das Auto zulegt, schreiben die übrigen Verkehrsmittel rote Zahlen - könnte man meinen. Die DIW-Prognose differenziert hier. Der Trend: Starke Verluste im Öffentlichen Personennahverkehr korrespondieren mit Zuwächsen im Fernverkehr der Bahn durch den Ausbau der Schnellbahnstrecken. Das Flugzeug expandiert, Radler und Fußgänger stagnieren. Ihre Verluste durch den ungebrochenen Motorisierungsschub werden vom Bevölkerungswachstum gerade egalisiert.

Resümee des DIW: Durch die „Zunahme der PKW-Fahrleistung um 30 Prozent“ werden die „vom PKW verursachten Belastungen durch Flächenverbrauch, Lärm, Unfälle und Schadstoffemissionen zunehmen. Entlastungen durch technische Verbesserungen sind nur in Teilbereichen möglich.“ Verkehrspolitik und Verhalten der Bevölkerung, so die pessimistische Annahme der Berliner Wissenschaftler, werden sich „nicht grundlegend ändern“. Die „Verkehrspolitik des Bundes und der EG weisen in diese Richtung, so daß der hier vorgelegten Status-Quo-Projektion eine recht hohe Eintrittswahrscheinlichkeit zuzumessen ist.“

Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen