: Hier können Kinder wenigstens im Freien spielen
■ Heizung mit Erdwärme in Brandenburg, Prenzlau und Waren / Finanzierung jetzt unsicher / „Es gibt einen Kampf um das Überleben der Geothermie“ /
Von Reinhard Borgmann
August Kraus ist schon seit 1984 dabei. In diesem Jahr ging das geothermische Heizkraftwerk in Waren am Müritzsee in Betrieb und versorgt seitdem störungsfrei über 860 mecklenburgische Wohnungen, eine Schule, elf Einfamilienhäuser und einen Kindergarten mit Heizenergie und Warmwasser.
„Hier können die Kinder wenigstens im Freien spielen“, berichtet der technische Leiter der Anlage. „Gehen Sie mal zu den anderen Heizwerken in der Stadt. Dort arbeiten die noch mit Braunkohle. Da liegen die Briketts auf dem Bürgersteig, und wenn der Wind ungünstig steht, bläst er einem den Schwefeldreck direkt ins Gesicht.“
Herr Kraus ist von den Vorteilen seiner Heizanlage überzeugt. Seinem Improvisationstalent und dem Engagement der anderen Kollegen ist es zu verdanken, daß die Bewohner des Stadtteils Waren-Papenberg nicht ganz der DDR-üblichen Luftverschmutzung ausgesetzt sind.
Hier wird die Wärme von Thermalquellen genutzt, die sich in porösen Gesteinsschichten in 1.500 Metern Tiefe unter der Stadt befinden. Dort fließt ein Tiefenwasser, das das ganze Jahr über eine konstante Temperatur von 60 Grad Celsius hat. Diese Quelle wurde angebohrt und durch ein Rohrsystem mit der kommunalen Heizzentrale verbunden. Mehrere Wärmetauscher übertragen dort die Hitze aus der Erde auf das Fernwärmenetz des Ortes. Das abgekühlte Tiefenwasser läuft über eine zweite Bohrung in die gleiche Gesteinsschicht zurück.
Die ökologischen Vorteile dieser Anlage liegen auf der Hand: Es handelt sich um ein geschlossenes System, aus dem keine schädlichen Gase und festen Stoffe nach außen dringen. Dem Thermalwasser wird lediglich Energie entzogen. Selbst wenn ein Leck entsteht, können keine giftigen Materialien entweichen: In dem Kreislauf zirkuliert nur eine hochkonzentrierte Kochsalzlösung. Der Wärmeentzug für den Boden ist minimal: Langfristig wird das abgekühlte Wasser vom heißen Kern der Erde wieder aufgeheizt. Auf dem Gebiet der DDR sind bereits jetzt drei geothermische Heizzentralen dieses Typs - in Waren, Neubrandenburg, Prenzlau - mit einer Anschlußleistung von 22 Megawatt in Betrieb.
Doch die Zukunft weiterer Anlagen, etwa in Schwerin und Stralsund, ist unsicher: Ab 1.Januar 1991 läuft der Vertrag aus, mit dem bisher von staatlicher Seite die Niederbringung neuer Bohrungen finanziert wurde.
Dieser „Suchfonds“ deckte bisher das Risiko ab, das durch Fehlbohrungen hätte entstehen können. Wenn, wie geplant, demnächst die Verantwortung für die Energieversorgung in kommunale Hände übergeht, wird die Finanzierung schwierig. Die Gemeinden werden kaum in der Lage sein, die teuren Bohrungen zu bezahlen und auch noch die Risiken von Fehlschlägen abzudecken.
„Es gibt einen Kampf ums Überleben der Geothermie“, sagt Peter Seibt, Forschungsdirektor des ehemaligen volkseigenen Betriebes, der seit dem 1.Juli in eine GmbH umgewandelt ist. Schon jetzt mußten aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheit die Hälfte der Beschäftigten entlassen werden. „Wenn erst einmal neue Aufträge ausbleiben, werden auch die kompetenten Fachleute abwandern, das Know-how wird verschwinden, und die westlichen Konzerne werden die Lücken mit konventionellen Heizwerken schließen.“
Dies wäre dann das Aus für die Geothermie in der DDR. Dabei sollte diese regenerative Energiequelle eigentlich hervorragende Zukunftschancen haben: Beim bisherigen Stand der Technik könnten damit 600 bis 1.000 Megawatt Heizenergie für den Norden der DDR zur Verfügung gestellt werden und damit die Abhängigkeit des Landes von der Braunkohle zumindest in einem Teilbereich der Energieversorgung verringern. In der Entwicklung leistungsfähiger Wärmepumpen, die bei hohem Leistungsbedarf im Winter oder bei niedrigeren Thermalwassertemperaturen für die entsprechenden Grade in den Heizkesseln sorgen, ist die DDR technologisch führend: In der Bundesrepublik gibt es bisher keine vergleichbare Anlage.
Dabei sind Thermalwasservorkommen wie im Norden der DDR auch in der BRD reichlich vorhanden. Die warmen Tiefenwässer, deren Temperatur je nach Lage zwischen 40 und 100 Grad beträgt, sind bestens zur Gebäudeheizung, aber auch für industrielle und landwirtschaftliche Nutzungen geeignet. Die Wirtschaftlichkeit der bestehenden Anlagen könnte außerdem durch eine Verbesserung der Bohr- und Regelungstechnik mit westlichem Know-how erheblich gesteigert werden. Damit wären für den bisher von den Marktmechanismen verschonten Geothermiebetrieb die ökonomischen Voraussetzungen gegeben, diese Heizform auch in der Bundesrepublik einzuführen.
Doch gegen den umweltfreundlichen Exportartikel haben sich in der BRD längst andere Energieträger formiert. Hier versucht man durch aufwendige Filtertechniken der Verbrennung von Kohle oder Öl einen umweltfreundlichen Touch zu geben, anstatt auf eine regenerative Energiequelle umzusteigen. Gegen die Nutzung der Erdwärme werden von westlicher Seite technologische Schwierigkeiten ins Feld geführt. Rüdiger Schulz, Geophysiker am Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung: „Unter Umständen ist hier das Thermalwasser wegen des höheren Salz- und Carbonatgehaltes nicht so gut geeignet wie in der DDR.“ Diese Argumente wollen die Thermalwasserexperten aus der DDR mit einer Referenzanlage auf bundesdeutschem Boden widerlegen. Gelingt es ihnen, die angeblichen Besonderheiten des westdeutschen Untergrundes in den Griff zu bekommen und auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen kostengünstig Heizenergie zu liefern, ist die Zukunft ihres Betriebes langfristig gesichert.
Für Heizwerker vor Ort, wie August Kraus in Waren -Papenberg, sind die Aussichten dennoch düster: Computergesteuerte Regelungsanlagen aus dem Westen werden in den nächsten Jahren ihre Arbeit übernehmen. Von den 15 Beschäftigten, die sich dort seit Jahren um den Aufbau und Erhalt der Anlage bemüht haben, wird dann keiner mehr benötigt.
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