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Darf Teddy Thälmann ewig leben?

■ Der Gedenkstätte für Deutschlands legendären KP-Chef Ernst Thälmann in Ziegenhals droht die Auflösung

Von Kordula Doerfler

Ziegenhals b. Berlin. „Empfehle den geehrten Vereinen und Klubs mein herrlich gelegenes Lokal. Für vorzügliche Küche, gutgepflegte Biere und Weine ist bestens Sorge getragen“ - so rühmt sich das Sporthaus Ziegenhals am Großen Zug, direkt am Crossinsee südlich des Müggelsees in bester Naherholungslage von Berlin gelegen. Die Empfehlung stammt allerdings aus dem Jahr 1931, der ehemalige Treffpunkt für Arbeitersportler wird heute von einer HO-Gaststätte betrieben. Das Lokal, das seit der Jahrhundertwende existiert, hat Tradition: Es diente über Jahre als Treffpunkt für Sozialdemokraten und Kommunisten, in zwei Nebenräumen liegt eine Ernst-Thälmann-Gedenkstätte, die 1953 zu Ehren des kommunistischen Widerstandskämpfers errichtet wurde. Sie erinnert an eine illegale Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, die am 7. Februar 1933 in den Räumen des Arbeiterlokals stattfand. * * *

Der kleine Ort Ziegenhals, der in den Jahren des Sozialismus vor allem Betrieben aus dem Süden der DDR als Erholungsort diente, liegt an einem sogenannten Dreiländereck: Die Bezirke Potsdam, Frankfurt und Berlin stoßen auf dem Grundstück der Gaststätte zusammen. Während das Lokal noch in Potsdam liegt, gehört der Uferstreifen schon zu Berlin. Thälmann nutzte seinerzeit diese Lage, um mit einem Boot an das gegenüberliegende Ufer überzusetzen und sich zunächst in Sicherheit zu bringen. Die konspirative Tagung sollte die Kommunistische Partei für den Widerstand vorbereiten und bedeutete in der ideologischen Ausrichtung eine Umorientierung. Thälmann, Chef der deutschen KP bis 1933, leitete das Treffen und hielt eine seiner wichtigsten Reden: Im Untergrund sollte auch mit Bauern und Handwerkern zusammengearbeitet werden, um die Nazis zu bekämpfen. * * *

Teddy Thälmann, wie ihn die Genossen liebevoll nannten, kandidierte in der Weimarer Republik zweimal gegen Hindenburg für das Amt des Reichspräsidenten, war viele Jahre lang Reichstagsabgeordneter und leitete von 1925 bis 1933 die Deutsche Kommunistische Partei. Nach elfjähriger Einzelhaft wurde er 1944 im KZ Sachsenhausen von der SS ermordet. Fotos hängen an den Wänden, faksimilierte Zeitungsberichte und Originale, dazwischen Zitate von Thälmann und die in sozialistischen Museen üblichen glorifizierenden Charakterisierungen. * * *

Durch eine Flügeltür gelangt man in den Raum, in dem die Tagung stattfand. In U-Form stehen hier noch die Originaltische und -stühle aus dunklem Eichenholz, an der Stirnwand prangt ein riesiges Thälmann-Bild, um das eine blutrote Fahne drapiert ist. Der Raum wirkt sakral und streng zugleich, mit allen Zeichen von Heroisierung - obwohl genau das nicht beabsichtigt sei, wie der Leiter der Gedenkstätte, Ernst Piel, beteuert. An den Wänden Porträtfotos der Teilnehmer, von denen viele in Konzentrationslagern umgebracht wurden, manche aber erst vor wenigen Jahren starben. Unter den Teilnehmern Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und seine Frau Lisa Ulbricht, Hans Beimler und Otto Franke. Früher seien im Jahr durchschnittlich 60.000 Besucher gekommen, erzählt der Leiter, seit der Maueröffnung seien es deutlich weniger. Ein einfaches Gästebuch erweist sich als wahre Fundgrube für die Beschäftigung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit: Sozialistische Denkmäler und Erinnerungsstätten sind ins Gerede gekommen, sozialistische Straßennamen haben kaum eine Chance, die Vereinigung zu überleben. Der Staat, der den antifaschistischen Widerstand für sich gepachtet hatte, existiert nicht mehr lange. Braucht man also noch solche Gedenkstätten, will man in Zeiten allgemeiner Verdrängung Museen für Kommunisten behalten? * * *

Die Mehrzahl derer, die sich ins Gästebuch eingetragen haben in den letzten Wochen, sind für den Erhalt. Die Begründungen reichen von Vergangenheitsbewältigung bis zu Heldenverehrung. „Für mich wird er ewig leben“, schreibt eine Besucherin aus dem Süden der DDR. „Nach 20 Jahren wieder ein Besuch in der Gedenkstätte. Ich hoffe, Euch noch in 20 Jahren besuchen zu können“, so ein Besucher aus West -Berlin. Die DKP aus Wuppertal freut sich darüber, „daß es hier noch Menschen gibt, die die Gedanken und Ziele des Genossen Thälmann weiterverfolgen“. Der bekannte Historiker Wolfgang Wippermann von der Freien Universität Berlin spricht sich für den Erhalt aus, eine Familie aus „Karl-Marx -Stadt“ fragt sich angesichts der „aufrechten Männer und Frauen“, ob alles umsonst gewesen sei, ob alle umsonst gestorben seien. Nicht jeder Eintrag glänzt durch Kenntnis der Geschichte: „Die KPD wurde erst im März 1938 verboten. Daher kann die hiesige Tagung am 7. Februar 1933 nicht illegal gewesen sein. Die Beschriftungen sind demnach historisch falsch. Tendenz: Verdummung der Bürger!“ glaubt ein Besucher erkannt zu haben. * * *

Nicht jeder, der hierherkommt, trägt sich ins Gästebuch ein, aber Diskussionen über Sinn und Zweck eine solchen Ortes und die deutsch-deutsche Geschichte entflammen sofort, Musterdialoge für den Umgang mit der Vergangenheit. „Ich war nie für Kommunisten, aber deswegen soll man das nicht einfach verschwinden lassen“, findet eine weißhaarige Münchnerin. „Und was hat Thälmann eigentlich mit Honecker zu tun?“ „Verbrecher, alles Verbrecher!“ erregt sich ein reichlich angetrunkener Ostberliner, „ich könnte sie alle von der Wand reißen...“ „Und was hätten Sie davon“, fragt die alte Frau zurück. „Das Gefühl, die einmal am Boden liegen zu sehen, sich einmal gewehrt zu haben.“ * * *

Der Leiter der Gedenkstätte, der Staatswissenschaftler Ernst Piel, fürchtet um den Bestand des Museums, die Stimmung im Land ist gegen solche Gedenkstätten. Zwei Dinge haben ihn unruhig werden lassen: Andeutungen im Rat des Kreises Königs Wusterhausen, daß das Museum aufgelöst werden soll, zum anderen die Pläne der DDR-Regierung, die HO-Ketten zu zerschlagen. Angeblich wird schon über den Verkauf an einen westdeutschen Hotelier verhandelt, der Chefkellner will davon aber nichts wissen. Die Vorzugslage direkt am See dürfte manchen westlichen Unternehmer interessieren weniger interessiert wird er an einem Museum für einen Kommunisten sein. Ernst Piel, Heimathistoriker und Experte für die Zeit des Nationalsozialismus, leitet das Museum seit sechs Jahren und war durch einen Zufall schon 1953 bei der Eröffnung durch Wilhelm Pieck dabei. Die Gedenkstätte geht zurück auf eine Initiative, die sich Thälmann-Kuratorium nannte und das Grundstück 1952 erwarb. Bis 1964 existierte die Initiative, im April dieses Jahres gründete Piel eine neue, um für den Bestand des Museums zu kämpfen. Sie hat derzeit etwa 60 Mitglieder in fünf Ländern. Piel hofft vor allem auf internationale Unterstützung und Protest und trifft sich regelmäßig auch mit westlichen Antifa-Gruppen. Am Eingang der HO-Gaststätte residiert der fast 60jährige in einem kleinen Büro, wo er Fotos und Schriften von Thälmann verkauft. Er betreut Schulklassen und Besucher aus dem In und Ausland und kennt die Geschichte des Ortes und des Widerstandes wie seine Westentasche. Obwohl über 30 Jahre lang in der SED - mit der er heute nichts mehr zu tun haben will, auch nicht mit ihrer Nachfolgepartei -, ist es ihm heute Hauptanliegen, „40 Jahre Lebenslüge des Sozialismus und die gesamtdeutsche Geschichte aufzuarbeiten“. Die Sorge um „sein“ Museum macht ihn ruhelos, sollte es geschlossen werden, sei das die „Tragödie seines Lebens“. Sein Gehalt bezieht er derzeit noch vom Staat, alle weiteren Ausgaben für das Museum wurden erst einmal gestrichen. Eintritt zu verlangen, weigert er sich kategorisch, denn es gehe in erster Linie darum, die Tradition des Widerstandes zu dokumentieren, nicht eine Stätte der Verehrung für Thälmann.

Die Gedenkstätte ist jeden Tag außer montags von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Sie liegt im Ort Ziegenhals an der Straße von Erkner nach Königs Wusterhausen und kann auch per Dampfer (Reederei Heinz Riedel oder Weiße Flotte) erreicht werden.

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