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Die Nasa kriegt keinen mehr hoch

■ Die US-Weltraumfahrt hangelt sich von Mißerfolg zu Mißerfolg

Aus Washington Silvia Sanides

Beste Laune herrschte am Sonntag auf dem Rasen vor dem Besucherzentrum des Nasa-„Goddard Space Flight Center“ bei Washington. An die 50 Raketen starteten dort trotz dichter Wolkendecke innerhalb von zwei Stunden, hübsche Modellraketen aus Pappe und Balsaholz. Phönix, Trident, Recruiter, Iris, und wie sie alle so schön heißen, schmückten den grauen Himmel nach „vollendeter Mission“ mit ihren bunten Mini-Fallschirmen. Fehlstarts wegen wackeliger Kontakte erhöhten die Freude der Fans. „Das läßt sich mit etwas Spucke beheben“, witzelte Showleiter Allen Williams.

Da haben es die Nasa-Profis jenseits des Besucherzentrums schwerer. Die Luft in den Kontollräumen des Goddard Space Flight Center ist dieser Tage bestimmt so heiß wie die Augustschwüle draußen. Im Goddard Center sitzt die Kontrollmannschaft des Hubble-Teleskops, weltbekannt für seine trübe Optik. Außerdem bereitet die Tatsache, daß nunmehr zwei Raumfähren am Erdboden gestrandet sind, einigen Kummer. Hinzu kommt eine neue Studie zum Weltraumlabor. Ergebnis: So geht es nicht! Das „Design“ muß gründlichst verändert werden. All das könnte nicht zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Der Kongreß ist damit beschäftigt, die Gelder fürs nächste Jahr zu verteilen. Senator Albert Gore ließ seinem Unmut über die Mißwirtschaft der Raketenbauer freien Lauf: „Nasas Augen sind größer als ihr Bauch. Wir schulden es dem Steuerzahler, rauszubekommen, was schief gegangen ist“. Die Geldgeber denken wohl auch an Harvard-Astronom Clifford Stoll. Der nannte die Hubble -Katastrophe eine der schlimmsten Ereignisse, „die der Astronomie widerfahren sind, seit der Papst Galileo aufhing.“

Nun soll ein vom Weißen Haus einberufener „brain trust“ die Nasa unter die Lupe nehmen und in der Bevölkerung „Enthusiasmus und Vertrauen“ für die Raumfahrt entfachen. Das ist eine gewaltige Aufgabe, zumal die Amerikaner dieser Tage nicht nur für die Nasa-Misere, sondern für eine Menge anderer Pleiten zur Kasse gebeten werden. Die jetzt aufgedeckten Hintergründe der Hubble-Leiden werden kaum Enthusiasmus für weitere Raumfahrtprojekte aufkommen lassen. 1,6 Milliarden Dollar hat das Renommierstück gekostet, und nun läßt es sich nicht scharf stellen. Schuld scheint der Hauptspiegel des Teleskops zu sein. Der Wunderspiegel, lange als „Kronjuwel“ der Nasa bejubelt, hat einen Durchmesser von 2,4 Metern und ist zu 25 Prozent perfekter geschliffen als die Bestimmungen es verlangten. Doch besser als perfekt hilft nichts, wenn an anderer Stelle geschludert wird.

Die Schlamperei erlaubte sich die Firma „Perkin-Elmer“ bei der Überprüfung des Spiegels. Getestet wurde mit einem „null corrector“, einem optischen Gerät, das mit Hilfe eines reflektierten Laserstrahls Fehler im Spiegel hätte aufdecken sollen. Der zunächst verwendete „corrector“, dies ergaben jetzt die Untersuchungen, fand sogar einen Defekt. Daraufhin ersetzte man das Gerät durch ein moderneres, angeblich besseres, und das testete den Hubble-Spiegel prompt fehlerfrei. Die Spiegelfabrikanten waren's zufrieden. Nun sieht es ganz so aus, als ob „null corrector“ Nummer zwei selbst defekt war.

Unterdessen läuft die Suche nach Schuldigen auf Hochtouren. Perkin-Elmer-Mitarbeiter behaupten, die Nasa sei von den widersprüchlichen Testresultaten unterrichtet worden. Dort jedoch will niemand etwas davon gehört haben. Die Präsenz von Nasa-Mitarbeitern bei Perkin-Elmer war eingeschränkt, weil die Firma geheime Aufträge für das Verteidigungsministerium ausführt. „Dies behinderte den Informationsfluß“, klagte jetzt ein Nasa-Mitarbeiter - zu spät. Nun bleibt den Hubble-Optikern nichts anderes übrig, als das Teleskop und seine Kameras im Weltraum mit einer Art Kontaktlinse auszurüsten. Das soll 1993 geschehen, vorausgesetzt die Raumfähren heben bis dahin ab.

Doch auch das ist keineswegs sicher. Sowohl Columbia als auch Atlantis zeigten in den letzten Monaten Lecks in der Treibstoffzufuhr. Ähnliches war der Raumfähre Challenger unmittelbar vor ihrer Explosion widerfahren. Erleichtert stellten die Experten nun fest, daß es sich um unterschiedliche Defekte handelt, die Fehler also nicht in der Grundkonstruktion der Fähren liegen. William Lenoir, Nasa-Vizechef für Raumfahrt, bemerkte wenig optimistisch zu den sich häufenden Problemen: „Wir arbeiten mit einer alternden Raumfährenflotte“. In Ehren vor sich hinrosten dürfen die Fähren indes noch lange nicht. Schließlich sollen sie ab 1995 das Weltraumlabor Freedom Stück für Stück in etwa dreißig Fuhren in den Weltraum befördern. Doch niemand glaubt recht daran. Dafür sorgt eine neue Nasa-Studie, derzufolge künftige Astronauten jährlich etwa 3.700 Stunden für Wartungsarbeiten an der Freedom frei im Weltraum verbringen müssen. Allein 6.200 Stunden beträgt die Ausflugszeit vor der Inbetriebnahme, wenn „noch niemand da oben ist“, stellte Studienleiter William Fisher ernüchtert fest. Auch die Nasa weiß, daß sie ihre Astronauten nicht so lange der gefährlichen Strahlung und vorbeiflitzenden Geschossen im Weltraum aussetzen darf. Die Laborarchitekten sind nun beauftragt, ein einfacheres Design zu entwerfen.

Trotz der desolaten Situation wollen Bush-Administration und Nasa das Träumen nicht lassen. Ob Kongreß und Steuerzahler die Höhenflüge weiter unterstützen, scheint fraglich. An einem Punkt jedenfalls haben sie die Sternengucker schon auf den Boden zurückgeholt: Bushs großartiger Plan, Menschen wieder auf den Mond und bis zum Jahr 2019 auf den Mars zu katapultieren, ist vorerst gescheitert. Das Repräsentantenhaus strich die vorgesehenen 188 Millionen Dollar auf null.

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