: Kirchenasyl in Pforzheim für Abul
■ Kirchen und Verbände wehren sich gegen die Abschiebung einer kurdischen Familie / Die Familie Abul kann notfalls in einer Kirchengemeinde unterschlüpfen / Ansbacher Gericht nimmt die Nähe zur PKK wichtiger als die Spuren der Folter
Berlin (taz) - Während SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine die Beschneidung des Asylrechts fordert, quälen sich Flüchtlingsgruppen und Kirchenleute im baden -württembergischen Pforzheim mit der geltenden Asylrechtssprechung. Derzeit geht es ihnen vor allem darum, die drohende Abschiebung des Kurden Ali Abul, seiner Frau Zübeyde und ihrer sieben Kindern zu verhindern. Abuls Asylantrag ist vom bayerischen Verwaltungsgericht letztinstanzlich abgelehnt worden. Dem Ansbacher Gericht erst letzte Woche ist einer seiner Richter dabei erwischt worden, das Urteil in einer Asylangelegenheit bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens verfaßt zu haben - reichten die Belege für erlittene Folter Abuls nicht aus. Die Verfolgung von türkischen Kurden sei kein Grund für die Gewährung von Asyl. Zudem, so das Ansbacher Gericht, hat Abul die kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt. Die sei aber eine militante Organisation.
Diese Rechtssprechung ist nicht unumstritten. So hat das Bundesverwaltungsgericht in ähnlichen Fällen unterschieden, ob der Asylbewerber politische Ziele oder aber auch Gewaltanwendung unterstütze. Bei Abul ist der Fall, das weiß der Pforzheimer Dekan Hans Martin Schäfer ganz genau, eindeutig. Der kurdische Landwirt habe der PKK in seiner Heimat lediglich finanzielle Unterstützung zukommen lassen und distanziere sich glaubwürdig von Gewalt. „Man kann sich nur auf Seiten der türkischen Militärs oder der PKK stellen“, habe Abul dem Theologen erklärt. Neutrales Verhalten sei unmöglich. Obwohl er kein Mitglied der PKK ist, wurde Abul in den Jahren zwischen 1984 und 1986 mehrfach verhaftet und gefoltert. Breite Narben auf dem Rücken, ein von Gewehrkolben zertrümmerter Zeh - diese Indizien erlittener Folter machten auf die Asylrichter keinen Eindruck.
Ebenfalls unbeeindruckt zeigten sich die Ansbacher Juristen von dem, was Abul und seiner Familie nach der Abschiebung in der Türkei droht: Erneute Festnahme und erneute Folter. Pforzheimer Asylgruppen haben den Fall der 21jährigen Fatma Akkilinc noch gut in Erinnerung. Die junge Kurdin war im Februar dieses Jahres aus Pforzheim abgeschoben und unmittelbar nach ihrer Einreise auf dem Flughafen verhaftet worden. Verhöre unter Folter folgten.
Kirchenleute und Asylgruppen warten jetzt eine Petition ab, die Abuls Rechtsanwalt Bernd Schneider an den Stuttgarter Landtag gerichtet hat. Darin erinnert Schneider auch daran, daß Abuls Bruder Abdurrahman, ebenfalls Unterstützer der kurdischen Opposition, in Nordrhein-Westfalen als asylberechtigt anerkannt worden ist. Solange das Petitionsverfahren läuft, will auch der Leiter des Pforzheimer Amtes für öffentliche Ordnung, CDU-Bürgermeister Witwer, die Abschiebung der Familie Abul nicht zulassen.
Dekan Schäfer hat für den - eher wahrscheinlichen - Fall der Ablehnung dieser Petition angekündigt, daß die Kirche ihre Tore für die Kurden öffnet. Das Kirchenasyl finde innerhalb der betreffenden Melanchton-Gemeinde breite Zustimmung. Auch in der Pforzheimer Stadtkirche zieht man mit. Einmal schon haben die evangelischen Christen in Pforzheim Flüchtlingen Asyl geboten. Im Frühjahr schlüpfte eine Familie aus Bangla Desh unter das Kirchendach allerdings nur für zwei Tage, dann hatte sich ihr Schicksal zum Guten gewendet. Sollte die Familie Abul nun auf dieses Angebot zurückgreifen müssen, plant Schäfer keine „Versteckaktion“. Das Problem soll mit „großer Offenheit“ angegangen werden. Ob die zentrale Abschiebehörde in Karlsruhe es wagt, im christdemokratisch regierten Baden -Württemberg Polizisten für eine solch heikle Angelegenheit in die Kirche zu schicken? Es gibt zumindest ein Hamburger Beispiel, daß das Kirchenasyl genug öffentlichen Wirbel schuf, um eine Abschiebung zu verhindern.
Axel Kintzinger
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