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„Die USA tragen zur Destabilisierung der Region bei“

■ Ghassan Salame, libanesischer Experte für die Golfregion, verteidigt den Irak nicht, aber versteht die Araber

INTERVIEW

Frage: Hat Saddam Hussein historisch fundierte Argumente, um die Invasion und nun auch die Annektion Kuwaits zu rechtfertigen?

Ghassan Salame: Die Grenzen der Region sind jung. Die Golfregion setzte sich einst - im irakischen, iranischen und saudischen Bereich - aus einer Vielzahl kleiner Stadtstaaten zusammen. Nur diejenigen haben überlebt, die sich unter den Schutz des Empire begeben haben. Was nun den Kuwait betrifft, so hat Scheich Mubarak 1899 die Macht ergriffen und sich über einen Geheimvertrag der Unterstützung Londons gegen das Osmanische Reich, dem Kuwait damals angehörte, versichert. Die Unabhängigkeit Kuwaits wurde in erster Linie nicht durch die Irakis bedroht, sondern durch die Saudis, die es 1920 angriffen und militärisch besiegten. Die Briten befahlen den Saudis sofort, sich zurückzuziehen. 1936-1937 intervenierten sie wieder, um noch einmal die Unabhängikeit Kuwaits zu retten, als gewisse kuwaitische Notabeln die Annäherung des Emirats an den Irak forderten. Zum letztenmal intervenierte London 1961, um sich - im Rahmen der Entlassung Kuwaits in die Unabhängigkeit - dem Annektionsversuch des irakischen Generals Kassem zu widersetzen. Es handelt sich nicht darum, die Position Saddam Husseins zu rechtfertigen, aber man muß zugeben, daß es historische Vorläufer gegeben hat.

Versucht Saddam Hussein, sich zum Verteidiger der Armen gegen die reichen Monarchien der Golfregion und gegen die westlichen Länder aufzuspielen?

Das liegt in der Luft, seit Saddam Hussein am 17. Juli auf den Tisch geklopft und den Emiraten und Kuwait wegen ihrer Überproduktion, ihrer Verletzung des Systems der OPEC-Quoten Repressalien angedroht hat. In der Region haben alle die Nase voll von der Konzentration der Golfreichtümer zugunsten ganz weniger Staaten und innerhalb dieser zugunsten der königlichen Familien. Der Gegensatz zu den armen und dicht bevölkerten Ländern wie Ägypten oder Jemen oder aufgrund des Kriegs verarmten Ländern wie dem Irak ist unerträglich. Als ein Land wie der Irak dann die Souveränität eines Landes wie Kuwait verletzte, war deshalb die erste Reaktion - und ich habe sie persönlich auch von vielen arabischen Intellektuellen gehört: „Bravo Saddam! Endlich wachen die Armen auf und endlich verlieren die Reichen ihren in Zürich, New York und anderswo angehäuften Reichtum, jetzt sollen sie bezahlen“.

Was halten Sie von der Erklärung des Vertreters der Arabischen Liga in Paris, Hamadi Essid, „die Ablehnung jeder Lösung des Nahost-Problems, des Palästina- und Libanon -Problems“ verleihe dem Irak „eine populäre Legitimität“?

Man hat den Eindruck, daß sich die ganze Welt auf Saddam Hussein stürzt, weil er das internationale Recht gebrochen hat. Die ganze arabische Welt aber, ob es sich um Anhänger oder Gegner Husseins handelt, sind über die internationale Reaktion empört. Denn die Region ist seit einem Vierteljahrhundert an systematische Verletzungen des internationalen Rechts gewöhnt, bei denen die internationale Gemeinschaft nicht einmal den kleinen Finger gerührt hat. Israel besetzt seit 23 Jahren Territorien. Iran besetzt straflos drei Städte, die den Vereinigten Emiraten gehören. In Libanon herrscht seit 15 Jahren Krieg, und Syrien und Israel intervenieren, wie es ihnen gerade paßt, ohne daß das Ausland reagieren würde. Und nun greift eines schönen Tages ein arabisches Land ein anderes arabisches Land an - das zufällig gerade ein Erdölproduzent ist -, und plötzlich mobilisiert sich die internationale Gemeinschaft einhellig gegen diese Aktion!

Sehen Sie eine Ansteckungsgefahr, was die Stabilität der benachbarten Regimes betrifft?

Die amerikanische Intervention in Saudi-Arabien ist in der gesamten Region ein Faktor der Destabilisierung. Indem sie in Saudi-Arabien intervenieren, laufen die USA Gefahr, das saudische Königreich selbst zu destabilisieren. Denn dieses bezieht einen Großteil seiner Legitimität daraus, daß es obwohl es prowestlich ist - seit der Schließung des US -Stützpunktes Dhahran nach Kriegsende nie die Stationierung westlicher Truppen auf seinem Territorium geduldet hat. Wenn es heute eine massive amerikanische Militärpräsenz duldet und sich den Argumenten und sicher auch Pressionen Washingtons unterwirft, bedeutet dies auch einen „Legitimitätsverlust“ der konservativen Länder der Region. Es wird unabhängig vom Ausgang der Ereignisse zu einem Machtzuwachs der antiamerikanischen Strömungen kommen. Denn die Amerikaner sind in der arabischen Welt allem voran die Unterstützer Israels, und ein Unterstützer Israels kann sich nicht leisten, ein arabisches Land zu besetzen, auch nicht, um es gegen andere arabischen Länder zu verteidigen.

Interview: Daniel Grammatico

Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Liberation, 9.8.90

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