: Linke Instinkte überprüfen!
■ Fred Halliday zu den neuen Koordinaten weltweiter Machtpolitik
INTERVIEW
taz: Die neue Situation im Nahen Osten scheint uns eine „neue Unübersichtlichkeit“ nach den klaren Fronten des Kalten Kriegs zu bescheren. Militärstrategen sprechen vom ersten „Konflikt mittlerer Intensität“. Einerseits gratulieren alle George Bush zu seiner gemäßigten und umsichtigen Reaktion auf die Krise, andererseits gibt es auch Stimmen wie die des 'Wall Street Journal‘, das bereits nach „fest stationierten Streitkräften mit einiger Durchschlagskraft“ ruft, von „der Gelegenheit, eine der weltweit konfliktträchtigsten Regionen zu befrieden“ spricht. Sehen Sie nicht die Gefahr der Entwicklung einer neokolonialistischen Haltung des Nordens - einschließlich der Sowjetunion - gegenüber dem „lästigen“ Süden?
Fred Halliday: Zweifellos nimmt die Gefahr autonom explodierender Konflikte in der Dritten Welt mit dem Ende des Kalten Kriegs in Europa zu. Die Länder der Dritten Welt müssen nicht mehr wie bisher fürchten, daß ihr Konflikt Teil einer Ost-West-Auseinandersetzung werden könnte. Das ist in verschiedener Hinsicht negativ. Sie verlieren zum Beispiel ihre Beschützer - und der Irak ist nicht zuletzt deshalb sehr verwundbar, weil er seine Schutzmacht verloren hat. Ein andres Beispiel ist der Konflikt zwischen Indien und Pakistan, wo wir möglicherweise sehr bald einen Krieg in Kaschmir haben werden. Es gab allerdings auch früher schon viele „Konflikte mittlerer Intensität“, aber die fanden eben unter den Auspizien des Kalten Krieges statt.
Heute tritt die Nord-Süd-Dimension deutlich zutage. Wir werden in Zukunft weitere konzertierte Aktionen des Nordens erleben, um derartige Konflikte aus offensichtlichem Eigeninteresse unter Kontrolle zu halten. Wo allgemeine wirtschafliche Interessen berührt werden, wie im Golf wegen des Öls, wird der Norden zunächst intervenieren, um zu verhindern, daß Saddam Hussein die Kontrolle über zwei Drittel der Welt-Ölreserven erlangt, und um zu versuchen, den internationalen Markt zu stabilisieren. Er wird auch wegen der Rüstungsindustrien intervenieren.
Darüber hinaus gibt es eine liberale und imperialistische Allianz, einen Konsensus dahingehend, daß die Großmächte einschließlich der Sowjetunion durch die Vereinten Nationen oder Aktionen in weitgehender Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen in der Dritten Welt die Polizeirolle spielen sollen. Bei solch einem Vorverständnis können sich die liberalen Anhänger der UN-Charta als Gegner des Kalten Kriegs und die Neoimperialisten bei Operationen zusammenschließen, die eindeutig in den Bereich der Aktivitäten unter Paragraph 7 der UN-Charta fallen. (Paragraph 7 handelt von „Friedens-Erzwingung“, also nicht nur von der Entsendung von Beobachtern, sondern von der Errichtung von Blockaden und der Entsendung von Truppen, um gegen einen Angreifer zu kämpfen. RoPa)
Sie halten also diese Form von liberalem Neoimperialismus für eine gute Sache?
Der konventionelle, antiimperialistische und gesunde Instinkt besagt, daß man dagegen opponieren muß, wenn der Westen und vor allem die USA irgendwo intervenieren. Und zweifellos ist die Liste der US-amerikanischen imperialistischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg in überwältigendem Maße reaktionär und repressiv einschließlich der letzten Invasion in Panama, die ebenso illegal war wie die irakische Invasion Kuwaits. Das liegt nicht etwa an einer moralisierenden oder mythischen Einschätzung der USA als dem „Reich des Bösen“. Im Gegenteil: Diese Einschätzung ist zurückzuführen auf das klare politische Urteil von den Fehlleistungen der US -Politik. Dabei gibt es durchaus Situationen, wo die Aktivitäten der USA in der Nachkriegszeit positiv zu bewerten sind. Das war der Fall etwa bei den Wirtschaftssanktionen gegen Großbritannien während der Suez -Krise oder den Sanktionsauflagen des amerikanischen Kongresses gegen Südafrika, die eindeutig zu der neuen Lage am Kap beigetragen haben.
Im Fall der Golfkrise gibt es meiner Meinung nach im Kern ein Anliegen, das die Intervention des Westens und speziell der USA rechtfertigt - trotz all der neoimperialistischen Rhetorik in den USA und der offensichtlichen Interessen kapitalistischer Unternehmen, der Ölgesellschaften, der Waffenindustrie: Es geht im Kern eben daraum, die Expansion eines im wahrsten Sinne des Wortes faschistischen Regimes zu verhindern. All dies abwägend, kann ich dem nur zustimmen. Ich war gegen die Unterstützung des Irak im Krieg gegen den Iran. Ich glaube, im Grunde hat der Westen damals den Irak ermutigt, bis hin zur Duldung der irakischen Invasion in den Iran. Der Westen hätte reagieren müssen, als der Irak im September 1980 im Iran einmarschiert ist. Damals tat er es nicht, heute ist das anders. Ich sage das nicht etwa, weil ich die Mullahs in Teheran oder den König in Saudi-Arabien unterstützen will, sondern aus politischen Gründen.
Mir scheint es nötig, von der moralisierenden Sichtweise Abschied zu nehmen, die alles, was von den USA ausgeht, automatisch zum Übel erklärt. Stattdessen müssen wir jede Situation immer neu und nach ihrem Kontext und Nutzen beurteilen lernen. Dabei weiß ich natürlich genau, daß so etwas dem Instinkt der Linken gegen den Strich geht.
Offensichtlich gibt es bei den Linken eine Aversion gegen militärische Aktionen allgemein.
Naja, aber in Wirklichkeit sind die Linken bei bestimmten Anliegen ja gar nicht gegen Sanktionen und militärischen Druck gewesen. Jahrelang haben sie - zu Recht - zu Sanktionen gegen Südafrika aufgerufen. Wenn es da auch noch militärische Aktionen gegeben hätte, wäre auch das sicherlich auf Zustimmung gestoßen. Genauso sehe ich die Dinge im Fall Israel, wenn es Sanktionen gegen die Besetzung der Golan-Höhen und der Westbank gegeben hätte. Die Tatsache, daß es in diesen Fällen keine militärischen Aktionen gegeben hat, muß ja nicht bedeuten, daß es im Fall Irak keine geben darf. Man sollte jetzt sagen: Gut, die Völkergemeinschaft, wie sie sich in den Vereinten Nationen abbildet, hat den Kalten Krieg überwunden. Jetzt sind sie offensichtlich bereit zu konzertierter, gemeinsamer Aktion. Also, dann zeigt uns etwas von dieser neuen Gemeinsamkeit, dann handelt jetzt auch, angesichts der israelischen Besetzung der Westbank ebenso wie der irakischen Besetzung Kuwaits, des Tiananmen-Platzes, der Apartheid und so weiter.
Interview: Rolf Paasch, Washington-Korrespondent der taz
Fred Halliday ist Professor für Internationale Beziehungen an der London School of Economics.
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