piwik no script img

Grüne Himmel am Bahnübergang

■ Franz Radziwill . Aquarelle - Zeichnungen - Druckgraphik 1913-1973 in der Galerie Saalbau

Im Hintergrund balancieren auf gewundenen Wurzeln schlanke Nadelbäume am Rande eines wuchtigen Sandsteinfelsens. Unter ihnen tost ein Wildbach durch die dunkle Schlucht. Das Licht flirrt nur in der Ferne, dort, wo der Betrachter nicht ist und so schnell nicht hinkommen wird.

Die romantische Landschaft ist nur Bild im Bild. Links neben ihr steht der Künstler, nicht etwa ein Genie mit Hut und Umhang, sondern ein Bauerntölpel, wie er im Buche steht. Die Gesichtszüge wollen seinem eierförmigen Kopf entgleiten: Die rötlich angehauchte Kartoffelnase senkt sich über feuchtglänzende, wulstige Lippen, die ein wenig auseinanderklaffen, um den Blick auf die Zungenspitze freizugeben. Unter den schweren Lidern quält sich ein Blick nach vorne ins Leere. Rechts und links stehen zwei Ohren ab, durch die der Mond scheinen könnte, wenn sie nicht so ungewaschen aussähen. Auf der glatten Stirn scheint ein Fragezeichen zu stehen. Ein strähniger Topfschnitt rundet die Erscheinung ab, die unpassend zum Werk einen grobgeringelten Pullover über weißem Hemd mit Schlips trägt. Nebenbei: Eine Reißschiene hält der Mann wie eine Gitarre in den Händen.

Bei dem Unglücklichen handelt es sich um Franz Radziwill. Otto Dix malte das Bildnis seines norddeutschen Kollegen, als der während eines Stipendiums in Dix‘ Dresdner Atelier malte und ansonsten die Romantiker, besonders Friedrich und Carus, studierte. Davon hängen in Dresden ja genug. Über das wenig schmeichelhafte Porträt schrieb Dix-Biograph Löffler: „Nach den attraktiven, Würde ausstrahlenden Repräsentationsgesichtern Danzigs gibt er dem Malerkollegen, müde dieser Überhöhungen, mit sichtlichem Vergnügen ein etwas dümmliches Gesicht.“ In Dix‘ Arbeit steckt aber mehr als gemütlicher Spott. Zutage tritt ein Zwiespalt, in dem Radziwill Zeit seines Lebens steckte, nämlich der zwischen moderner Sachlichkeit und einem Naturverständnis, das eben von jenen Romantikern beeinflußt war. Die Malerei mußte den Spagat machen.

Von dieser Anstrengung zeugt auch die Ausstellung Franz Radzi- will . Aquarelle - Zeichnungen - Druckgraphik 1913-1973 im Saalbau von Neukölln. Dicht an dicht hängen die kleinen Formate in den drei Zimmern an der Karl-Marx-Straße. Jedes Bild buhlt um Aufmerksamkeit, jeder Rahmen ist anders. Verwirrung tritt aber nicht ein, denn die Menge ist überschaubar und zudem chronologisch geordnet. Vier thematische Schwerpunkte schälen sich beim Betrachten heraus und erfahren die zwölf Wände entlang ihre Veränderungen: Menschen, Strandlandschaften, Berge und Architektur.

In seiner Dresdner Zeit zeichnete Radziwill skurril -unheimliche Porträts, deren Titel sie nicht heimeliger wirken lassen: Ein nur mir bekannter Dresdner, 1927. Seine ersten Menschen leben noch von einem zärtlichen Blick aufs Milieu, wie man ihn von Zille und Trier kennt. Später werden die Gesichter leerer, die Körper beliebiger, bis die Menschen fast ganz von den Blättern verschwinden. Wenn nicht gerade das Töchterchen aus zweiter Ehe oder die Mutter auf dem Totenbett privatim festgehalten werden.

1927 bildete Radziwill den oberen Lauf der Elbe nördlich von Dresden bei Pirna ab. Rechts und links recken sich fremd und abweisend die Sandsteinfelsen. Im Tal am Wasser stehen neben schiefen, strohgedeckten Häusern aus vergangenen Jahrhunderten die Schlote irgendeiner verarbeitenden Industrie, die sich im Tal niedergelassen hat. Über den Fluß setzt eine Barke voller Männer mit Hüten, die sich völlig anachronistisch ins Bild verirrt zu haben scheinen. Radziwill hat sie ganz klein gehalten. Unter den unwetterverkündenden Wolken, die sich über dem Gebirge zusammenziehen, wirken sie noch winziger. Trotzdem ist die Natur nicht erhaben, der Mensch in ihr nicht unbedeutend. Denn Radziwills Berge sind nicht mehr prächtig. Die Spuren der Menschen, die Schlote, haben sich schon zu sehr in die Landschaft hineingefressen.

Den Blick in die Ferne versperrt eine Brücke. Dieses „Element der Versperrung“, sei es nun Brücke, Mauer oder Fluß, taucht in Radziwills Bildern immer wieder auf, oft kombiniert mit hochaufragenden architektonischen Gebilden, in denen auch der letzte Schornstein noch klar zu erkennen ist. Der dabei entstehende merkwürdige Schein von Realität ließ Kunsthistoriker Radziwill in die Schublade „Magischer Realismus“ stecken - schließlich scheinen auf seinen Gemälden immer merkwürdig rote Sonnen, stürzen Flugzeuge ab etc. Die Etikettierung des Künstlers hängt ansonsten vom ideologischen Vorzeichen ab. Man findet ihn auch schon mal unter „linksbürgerlicher und proletarisch-revolutionärer Kunst in Deutschland“.

Die Ausstellung im Saalbau kümmert sich wenig um Schubladen. Was hierhin ausgeliehen und aufgehängt wurde, zeugt mehr von der Sehnsucht des Malers weg von den Städten und zurück in die Heimat. Jegliches unheilvolles Gewusel auf dem Pirnaschen Aquarell ist in den Bildern vom Norden verschwunden. Radziwills Heimatdorf Strohausen ist wie die Strände der Umgebung von Dangast in klaren Linien gezeichnet. Auf einmal versperrt nichts mehr den Blick. Eines der beeindruckendsten Bilder, Ausfahrende Fischkutter, läßt unbekannte Meereswesen über dem Wasser schweben und die Fischkutter zu einem geheimnisvollen Punkt am Horizont ziehen.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Wasserbilder immer phantastischer. Fische schweben am Himmel, Wellen vollführen tollkühne Sprünge. Das Meer lebt auf eine Art, die der Mensch nicht mehr versteht. Die Manifestationen der Zivilisation dagegen werden bei Radziwill immer makabrer. Neben der Konstruktion für den Betonguß verwandelt sich das Baugerüst zum Galgen. Radziwill lebt, was er malt: Er wird Hüter des Landschaftsschutzgebiets bei Dangast. Damit hat er den Konflikt zwischen Stadt- und Landleben entscheiden wollen, was nichts daran ändert, daß ihn die modernen Städte wieder einholen werden, diesmal in Form herausströmender Urlauber.

Die Mystifizierung der Natur erfährt ihre Entsprechung in der Farbgebung. Über der Berglandschaft leuchtet eine kullerrunde blaßrote Sonne, später werden die Himmel grün, die bizarren Figuren, die durchs Bild schweben, immer bunter. Wie wichtig die Farbe für den Maler war, versucht im Saalbau die Präsentation von zehn farbigen Radierungen Radziwills in einem gesonderten Raum zu demonstrieren. Was unter dem Einfluß der „Brücke“ in großzügiger Flächenkomposition entstand, bedurfte für Radziwill noch der Farbe. Und tatsächlich zeigt erst die aquarellierte Fassung der Druckgraphikmappe die Perfektion der Bilder.

Es fällt auf, daß die Zeit zwischen 1933 und 1945 nur mit drei Zeichnungen in der Ausstellung vertreten ist. Radziwill, der erst 1931 auf Grosz‘ Anraten Mitglied der Novembergruppe geworden ist, trat 1933 in die NSDAP ein und übernahm die Professur Paul Klees an der Akademie Düsseldorf. Aus dieser Zeit stammt sein langweiligster, penibelster Frauenakt. 1935 wird Radziwill wegen „pädagogischer Unfähigkeit“ entlassen, 1938 aus der Partei und der „Reichskammer für Bildende Künste“ ausgeschlossen, was einem Ausstellungs- und Arbeitsverbot gleichkam. 1933 war Radziwill noch mit zwei Bildern an einer von Eberhard Hanfstaengel anläßlich des 10. Jahrestages von Hitlers Putschversuch in München organisierten Ausstellung von Kriegsbildern vertreten, mit Cambrai und Narocz. Im Saalbau ist nur jener Mädchenakt zu sehen, eine Klosterruine Hude von 1938 und das Porträt von Wilhelm Niemeyer 1943. Die dem Bestand des Radziwill-Hauses in Dangast entliehenen Exponate sind erst wieder zahlreich zur Nachkriegszeit.

Franz Radziwill wollte seine Ruhe: einen Strand ohne Touristen, wenn Touristen, dann ohne Autobusse; und Karrieremenschen wie den verkniffenen Vollbeschäftigten (1972) lehnte er ab. Auf Radziwills Selbstporträt aus dem Jahre 1960 ist aus dem dümmlichen Burschen von Dix ein mißtrauischer älterer Mann geworden. Die Haare hängen wirr herunter, und skeptische Falten haben sich auf der Stirn und um den Mund gebildet. Doch die Schultern hängen immer noch wenig kampfeslustig herunter, und der Blick geht immer noch gleichzeitig in die Ferne und nach innen.

Claudia Wahjudi

In der Galerie Saalbau bis 31.8.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen