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Vereinigte Kämpfer ziehen gen Wunsiedel

■ „Gedenkmarsch“ für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß / Kühnen: Das wird die „größte Veranstaltung der radikalen Rechten“ / Exaktes Timing trennt Gegenkundgebung der Linken vom Aufmarsch der Rechten

Aus Wunsiedel Bernd Siegler

Wunsiedel, Festspielstadt im Fichtelgebirge, „bietet als Stadt nicht nur eine Fülle von Sehenswertem, sondern etwas, was der erfahrene Tourist schätzt: Atmosphäre“ (Verkehrsamt der Stadt). Auch die 67jährige Rentnerin aus Uelzen in Niedersachsen weiß, was sie an der 10.000 Einwohner zählenden Stadt schätzt. Mindestens einmal im Jahr macht sie sich auf den Weg nach Oberfranken, um das Grab des Hitler -Stellvertreters Rudolf Heß zu besuchen. Diesmal hat sie fünf rosa Nelken für ihr Idol, dem sie als Kind einmal die Hand schütteln durfte, mitgebracht. „Er war ein Mann, der bereit war, für den Frieden sein Leben zu riskieren.“ Tief versunken steht sie vor dem Grab mit dem Ulrich-von-Hutten -Zitat „Ich hab's gewagt“ und betet.

Flagge zeigen

und abwarten

Letztes Jahr hat die Rentnerin begeistert am Gedenkmarsch von etwa 350 Alt- und Neonazis teilgenommen. „Das waren alles ordentliche und disziplinierte Menschen.“ Mit den Parolen „Du bist nichts - Dein Volk ist alles“ oder „Unser Zorn wird mächtig sein“ zogen die „anständigen Deutschen“ zum Gedenken an den „Märtyrer des Friedens“ in Dreier- und Viererreihen durch Wunsiedel. Auch in diesem Jahr will die 67jährige wieder dabei sein, wenn der ehemalige NPD -Kreisvorsitzende von Gütersloh und Herausgeber der Zeitschrift 'Wehr Dich‘, Berthold Dinter, zusammen mit dem Führer der Hamburger „Nationalen Liste“ und Kühnen -Vertrauten Christian Worch sowie einem „Volksbund Rudolf Heß“ aus München und einer „Nationalen Offensive“ aus Diedorf am 18.August zum „Marsch durch Wunsiedel“ blasen. Auch SPD-Bürgermeister Otto Rothe hat nichts dagegen, den Heß-SympathisantInnen den städtischen Volksfestplatz am Burgermühlweiher zur Verfügung zu stellen, zumal sie diesen, so ein Vertreter der Stadtverwaltung, im letzten Jahr ordentlich und sauber hinterlassen hätten. Rothes Vorgänger, Karl Walter von der CSU, hatte ebenfalls nichts unternommen. Seine „Art, Flagge zu zeigen“, war es, den Friedhof und das Kriegerdenkmal abzuriegeln. Seine Hoffnung, „wenn wir sie nicht beachten, machen sie sich lächerlich und verschwinden“, hat sich jedoch nicht erfüllt. Alljährlich um den 17.August herum wird Wunsiedel zum Wallfahrtsort für Alt - und Neonazis nicht nur aus der Bundesrepublik.

Legende

und Gerichtsakten

Damals am 17.August 1987 hatte Rudolf Heß im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis Selbstmord begangen. Seitdem blüht die Legende vom Mord an Rudolf Heß, geschürt von seinem Sohn Wolf-Rüdiger und dem ehemaligen Bayerischen Innenminister und Heß-Anwalt Alfred Seidl. Als bekannt wurde, daß Heß im Familiengrab in Wunsiedel beigesetzt werden sollte, belagerten Neofaschisten der verschiedensten Gruppierungen trotz eines Versammlungsverbots die Stadt und den Friedhof. Die Polizei nahm 84 Personen vorläufig fest. Heß wurde an einem unbekannten Ort beerdigt und erst im März 1988 nach Wunsiedel umgebettet.

Während das ganze Jahr über SympathisantInnen das Grab mit frischen Blumen versorgen, fand im August 1988 schließlich die erste „Heß-Gedenkkundgebung“ in der Fichtelgebirgsstadt statt. Das Landratsamt Wunsiedel hatte den Aufmarsch zunächst mit der Begründung verboten, dort würde „unverhohlen nationalsozialistisches Gedankengut“ verbreitet. Heß würde „wegen seiner bis zum Tod beibehaltenen Treue zum Nationalsozialismus als Symbol einer ungebrochenen Lebenskraft der NS-Ideologie und der erhofften einstigen Neuerrichtung des NS-Staates verherrlicht“ werden. Der Fall ging mit Erfolg für die Faschisten vor Gericht. Dank Organisator Dinter, der 1986 die rassistische „Deutsche Familienbewegung Idealverein“ aus der Taufe gehoben hatte und in seinem Blatt für die „Bürgerinitiative gegen Kriegsschuld und antideutsche Greuellügen“ wirbt, und dem einschlägig bekannten Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, Vorsitzender der rassistischen „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung“. Die politische Begründung des Landratsamt hielt jedoch vor dem Bayreuther Verwaltungsgericht und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nicht Stand. 150 Alt- und Neonazis, darunter Michael Kühnen, Thomas Brehl und Christian Worch, zogen daraufhin, begleitet von einem immensen Medienaufgebot, durch Wunsiedel. 21 wurden unter anderem wegen Uniformierung und Zeigen des sogenannten „Widerstandsgrußes“ festgenommen, die Polizei stellte Tränengas, Stichwaffen und Knüppel sicher.

Auch der Versuch des Landratsamtes, den „Heß-Gedenk -Aufmarsch“ 1989 zu verbieten, schlug fehl. Als Begründung sollte diesmal die vom Wunsiedeler „Arbeitskreis gegen alte und neue Nazis“ angemeldete Gegenkundgebung herhalten. Daß „zu erwartende Ausschreitungen und gewalttätige Aktionen aufgrund von Aggressionsanreiz beim Zusammentreffen beider gegensätzlicher Gruppierungen“ die öffentliche Ordnung gefährden würden, überzeugte jedoch das Verwaltungsgericht nicht.

Braune Brühe

in Wunsiedel

350 Rechtsextremisten kamen nach Wunsiedel, der Bundesvorsitzende der militanten „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“ (FAP), Friedhelm Busse, forderte auf der Abschlußkundgebung die Versammelten zum Kampf für ein Europa auf, „wofür unsere Kameraden der Waffen -SS gekämpft“ haben, „frei von der Wallstreet, frei von Sowjet-Judäa und frei von Tel Aviv“.

Bereits damals hatten Dinter und Worch bis 1995 den „Gedenkmarsch“ im Voraus in der „Stadt des Märtyrers“ angemeldet. In den neonazistischen Pamphleten, die für die diesjährige Demonstration werben, wird Heß als „Friedensflieger, der in alliierter Folterhaft zu Tode kam“, gefeiert. Er habe mit seinem Flug nach England verhindern wollen, daß „die europäische Kultur vernichtet“ werden würde, zudem sei er bis „zu seinem Opfertod ungebeugt und ungebrochen“ geblieben.

Vereinigte rechte Kämpfer

Unterstützung erhoffen sich die Heß-Organisatoren dieses Jahr aus der DDR, damit das Treffen noch „eindrucksvoller und machtvoller“ (Worch) wird. Derzeit wirbt der im Mai dieses Jahres vor einem Strafprozeß untergetauchte niedersächsische FAP-Landesvorsitzende Torsten Heise aus Göttingen auf seiner Tour durch Thüringen und Sachsen für Wunsiedel. In Ost-Berlin verteilt die „Nationale Alternative“ entsprechende Flugblätter, und auch Michael Kühnen mobilisiert in der DDR. Wunsiedel 1990 soll die „größte Veranstaltung der radikalen Rechten“ (Kühnen) werden, und Dinter hat die „Nationale Rechte“ aufgerufen, in Wunsiedel eine „Kampfgemeinschaft“ zu bilden. Bereits 1989 hatte er beklagt, daß „es leider ohne direkte Auseinandersetzung mit den Linken“ abgegangen sei. Das soll sich nun ändern. Ein Organisationskomitee mit „bewehrten Kameraden“ wurde gegründet, und man will den „roten Horden einmal zeigen, was Ordnung ist“. „Am 18.August gehören die Straßen von Wunsiedel uns.“

Gegendemonstration geplant

Genau das will der Wunsiedeler Arbeitskreis verhindern. Zu der Gegenkundgebung haben nach dem Bundesvorstand der Grünen nun auch nach anfänglicher Weigerung der bayerische Landesvorstand aufgerufen sowie verschiedenste örtliche Organisationen, von den Jusos über die Grauen Panther und Friedensinitiativen bis hin zu antifaschistischen Gruppierungen sowie zahlreiche Gruppierungen aus der südlichen DDR. Die Gegendemonstration startet um 13.30 Uhr am Volksfestplatz, zieht durch die Stadt und soll nach dem Willen des Ordnungsamtes um 16.00 Uhr wieder beendet sein. Bis dahin will die Polizei in Wunsiedel eintreffende Alt und Neonazis auf einem Parkplatz außerhalb der Stadt aufhalten. Während in der Luisenburg dann zum 100jährigen Festspieljubiläum „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß das Publikum bezaubert, beginnt um 16.30 Uhr auf dem Volksfestplatz der „Gedenkmarsch“ und sorgt für gespenstische Atmosphäre im Zentrum des Fichtelgebirges.

Kontakttelefon für die Gegendemonstration: 0911/226598, Mittwoch von 17 bis 21 Uhr)

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