: Kein Schlaf, kein Traum
■ Das Tanztheater Rubato mit „Ithaka“ im Hebbel-Theater
Tagsüber jagen die Menschen hektisch nach dem Glück. Nachts im Traum aber weinen sie und verausgaben ihre Kräfte in blinder, schmerzhafter Rebellion.
Jutta Hell und Dieter Baumann vom Tanztheater Rubato lassen in ihrem neuem Stück Ithaka Stationen einer metaphorischen Lebensreise vorüberziehen. Wie abgerissene Pilger betreten sie mit schleppenden Schritten, summend und brummend, gebeugt und alt, am Anfang von zwei Seiten die mit Trümmersteinen übersäte Bühne. Am Ende ziehen sie wieder ihre Staubmäntel über und brechen gemeinsam auf, einen neuen Weg zu suchen, diesmal nicht mehr vom Gewicht des Anfangs belastet, als hätten sie nun eine drückende Vergangenheit abgestreift. Zwischen diesem Beginn und Ende entspinnt sich Geschichte nicht als kontinuierlicher Prozeß, sondern als Kette von Erinnerungen, Träumen und Hoffnungen, in denen sich die Bilder der sehnsuchtsvollen Suche, die Chiffren für Aufstieg und Fall wiederholen.
Geschichten vom Aufbruch des Menschen ins Unbekannte und seiner Suche nach Geborgenheit, von der Anpassung an gesellschaftliche Normen und der Verkümmerung der Sinne waren auch bisher der Stoff, aus dem das Duo Rubato seine Themen schöpfte. Die lebensphilosophischen Botschaften, die sie mit Tanz und Artistik, expressiver erdiger Gestik und stilisierten Alltagsbewegungen und mit Toncollagen aus spröder Exotik und Volksmusik transportieren, beanspruchen eine Allgemeingültigkeit, die sich schon verdächtig dem Wort zum Sonntag nähert. So können sie auch in Ithaka am Ende leider nicht auf ein Gedicht verzichten, das die existentielle Erkenntnis - formelhaft verkürzt: Der Weg ist das Ziel - in einer Art Schlußgebet verkündet. Ihr riskantes Spiel zwischen Ironie und Pathos, Anrührung und Distanzierung gerät diesmal oft aus der Balance und fällt auf die Seite sakral angehauchten Kitsches.
In Ithaka entwerfen Hell und Baumann Bilder, die auf verschiedenen Stufen der Geschichte und des Bewußtseins angesiedelt sind. Überzeitlich wirkt die mit Bruchsteinen markierte Trümmerszenerie, Ort einer untergehenden Epoche und eines neuen Anfangs. Hier verfallen ihre Körper das erste Mal einem abgehackten Maschinenrhythmus, und die mechanisch rackernden Glieder werden zur Chiffre für die Entfremdung des Menschen von seiner ursprünglichen Harmonie. Für diesen gewaltsamen Bruch zahlen sie mit der Zerstörung ihres Schlafes und ihrer Träume. Unkontrollierte Bewegungsimpulse schleudern und werfen ihre Körper auf, lassen sie hart auf die Erde stürzen.
Mit den Steinen bauen sie sich erste Reiche, markieren Grenzen und tanzen zu scheppernder, klingelnder asiatischer Festmusik eine rituelle Verteidigung. Besonders Jutta Hell liefert dabei Bilder eines scheinbar vorgeschichtlichen und unreflektierten Triumphgefühls. Auf ihrem wackeligen Steinberg in meckernden Gesang ausbrechend, wirkt sie geistig abwesend. Ihre verkrampften, asketischen und vielfach gebrochenen Bewegungen scheinen ohne Bewußtsein ihrer Form entstanden. Sie ertastet die Welt wie jemand, der noch nichts außer sich kennt. Doch mit diesem auf sich selbst bezogenen Körper blockt sie das Publikum ab; so wie ihre Bewegungen ohne die Kontrolle des Spiegels oder des Blicks des anderen entstanden zu sein scheinen, stoßen sie auch die Zuschauer zurück.
Die Geschichte wiederholt sich, zum Teil als Komödie, in einer modernen Zeit. Zwei mehrteilige rollende Schränke mit hohen schmalen Türen, Schließfächern ähnlich, werden zu Vehikeln durch den rasenden Alltag; sie genügen als Andeutung einer labyrinthischen Großstadtarchitektur, werden zu Symbolen des Besitzes und schließlich zu einengenden Zellen. Wieder geht es in einfachen Bildern, wie der Erkletterung des Schrankes, um die Verteilung von Macht und Positionen. In einer comichaften und überdrehten Szene, in der die klappernden Schranktüren sich unüberschaubar zu vervielfältigen scheinen, karikieren Hell und Baumann Großstadtklischees: die Beziehungslosigkeit des Lebens, die Hetze hinter vermeintlichen Zielen her, die trostlosen Kontakte. Dieser kurzen ironischen Sequenz folgen wieder, unterlegt vom surreal verfärbten Klang einer Spieluhr, bedrängende Bilder der Nacht, der Ruhelosigkeit und unerfüllten Sehnsucht.
Katrin Bettina Müller
Tanztheater Rubato zeigt Ithaka wieder vom 18. bis 23. September, dann im Saalbau Neukölln.
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