piwik no script img

Gracias! America!

 ■ Musik im amerikanisch-mexikanischen Grenzland

Von Christoph Wagner

Baggage/Equipaje“ - das Hinweisschild auf die Gepäckausgabe bei der Ankunft auf dem Flughafen zeigt uns zweisprachig den Weg. Der Busfahrer, der einen in die Innenstadt bringt „your operator“, wie auf einem Schild zu lesen ist - heißt Martinez, und an der Imbißbude im Zentrum gibt es neben dem üblichen „Junk-food“ auch Tacos und Burritos.

San Antonio, die Großstadt im äußersten Süden der USA mit über einer Million Einwohner, ist noch mehr als jede andere Metropole der USA, wo ja mittlerweile Spanisch zur zweiten Umgangssprache geworden ist, geprägt von zwei Traditionslinien: der angloamerikanischen und der hispanomexikanischen. Diese beiden Dominanten haben sich hier im südlichen Texas im Laufe einer zweihundertjährigen Geschichte - einem nicht immer friedlichen Prozeß der Auseinandersetzung, Annäherung und Verschmelzung - zu einer gemeinsamen Kultur vermischt, die man „Tex-Mex“ nennt und die dem bunten Vielerlei der Nationalitäten und Volksgruppen ihren Stempel aufdrückt. (Allein 36 verschiedene ethnische Gruppen leben in der weiteren Umgebung von San Antonio. Laut Statistik waren davon 1980 ein Viertel englischer Herkunft, ein Viertel spanischer, ein Fünftel irischer, 18 Prozent deutscher und 12 Prozent afrikanischer und sonstiger Abstammung.)

Ein Produkt dieser texanisch-mexikanischen Kultursymbiose sind die einheimischen Speisen. Unter Tex-Mex-Gerichten versteht man mexikanische Mahlzeiten, die durch eine andere Zubereitung in Texas verändert worden sind, wie etwa die Tex -Mex-Spezialität Tortilla, die ursprünglich aus gemahlenen Maiskörnern gemacht wurde, hier aber aus Mehl gefertigt ist. Ein anderes Merkmal der kulturellen Vermengung ist die Tex -Mex-Musik, ein regionaler Musikstil, der weit mehr ist als die bloße Kreuzung von amerikanischen und mexikanischen Musikelementen und der mit der Gruppe „Los Lobos“ mittlerweile weltweite Beachtung gefunden hat. Die Einheimischen nördlich der Grenze - „Tejanos“ oder „Chicanos“ genannt - sagen „Conjunto“ ( Ensemble) dazu. Südlich der Grenze hat man für fast dieselbe Musik die Bezeichnung „Norteno“ parat. In dieser über Generationen gewachsenen Volksmusik spiegelt sich die leidvolle Geschichte der Gegend dies- und jenseits des Rio Grande wider, einem riesigen, abgelegenen Landstrich ländlicher Prägung. Hier gibt das Akkordeon den Ton an. Begleitet wird es von einer Art Gitarre mit sechs Doppelsaiten, dem „Bajo Sexto“, sowie Baß und Schlagzeug. Das war nicht immer so. In der „Vor-Akkordeon-Zeit“, als die Ensembles noch in den Dörfern zum Tanz aufspielten, gab es Geige, Klarinette, Flöte, Trompete, Bajo Sexto und Gitarre.

Erst im späten 19. Jahrhundert kam die Ziehharmonika durch deutsche Einwanderer nach Monterey, dem industriellen Zentrum des mexikanischen Nordens, von wo aus sie sich schnell verbreitete und mit ihm die Salonmusik aus der Alten Welt: Walzer, Polkas, Quadrillen, Mazurkas, Schottische. Der stete Auswandererfluß nordwärts, nach Texas, auf der Suche nach Jobs, der durch die mexikanische Revolution mächtig anschwoll, brachte die Akkordeonmusik in den mexikanischen Süden. Darüber hinaus kamen starke Impulse aus den deutschen Siedlungen in Texas, wie New Braunfels und Fredericksburg, wo Anfang dieses Jahrhunderts mexikanische Einwanderer auf den dortigen Farmen arbeiteten. „Mein Vater hörte seine Musik den deutschen Farmern ab“, erzählt Santiago Jimenez senior, ein Pionier der Tex-Mex-Musik. Die Musik wurde zu dieser Zeit zumeist solo gespielt, denn es waren die Tänze der „gente pobre“, der armen Leute, und einen Musiker konnte man sich gerade noch leisten. Manchmal kam aber auch eine Trommel dazu, die „Tambora“, die später durch das Bajo Sexto ersetzt wurde.

In den dreißiger Jahren wurde die Kombination Akkordeon/Bajo Sexto durch den Kontrabaß ergänzt, und in den fünfziger Jahren komplettierte das Schlagzeug die Conjunto -Besetzung. Im Zuge der rasanten Verstädterung - heute leben achtzig Prozent der Texaner in größeren Städten - und unter dem Einfluß der aufkommenden Massenmedien Radio und Schallplatte begann sich ein typisierter Tex-Mex -Einheitsstil herauszukritallisieren, das „n-ta, n-ta, n -ta“, wie ihn Esteban Steve Jordan etwas abfällig beschreibt. Der Baß markiert die betonten Taktteile, während Schlagzeug und Bajo Sexto die unbetonten Zählzeiten hervorheben. Aus diesem Wechselspiel („n-ta, n-ta, n-ta“) entsteht der Drive, über dem die Quetsche mit großer Fingerfertigkeit filigrane Melodiepartikel spielt, die in stakkatohafter Form die Melodien der spanisch gesungenen Liedverse variieren. Vor allem die „German Polkas“ haben es den Chicanos angetan. Sie gehören zum Pflichtinventar des klassischen Conjunto-Repertoires, neben „Huapangos“, „Boleros“ und den beliebten „Rancheros“, den mexikanischen Cowboy-Liedern. Im Sommer ist in San Antone jeden Abend Tanz im Marktviertel El Mercado. Über dem glutheißen Asphalt drehen dann die Paare - eng umschlungen - ihre Runden. Man trinkt das berühmte „Lone Star„-Bier (die texanische Hausmarke) und wird von den Polkas in Stimmung gebracht, die man in Deutschland in der Nachkriegszeit in verkitschten Schlagerversionen kennt, als Marina, Marina etwa, oder Rosamunde, und die hier, schrill-schräg gespielt, ihre Tex-Mex-Auferstehung erleben. Wenn man Glück hat, kann man neben den jungen Bands, die mit Saxophon und Synthesizer der Tex-Mex-Musik Modernität einzubläuen versuchen, auch schon mal einem größeren Namen begegnen: „Los Dos Gilbertos“ oder dem Nachkriegspionier Ruben Vela.

Vorbereitet wurde der internationale Durchbruch dieses Regionalstils von zwei Rockmusikern, die der Musik des amerikanischen Südens eng verbunden sind. 1972 zog Doug Sahm, besser bekannt als Sir Douglas (Quintett), einen Musiker zu einer Schallplattensession heran (an der auch Bob Dylan teilnahm), der aus dem mexikanischen Viertel im Südteil von San Antonio stammt: Flaco Jimenez. Kurze Zeit später wurde Flaco („der Dürre“) festes Mitglied in der „Chiken-Skin-Band“ des Gitarristen Ry Cooder. Seither gilt er außerhalb von Texas als König des Tex-Mex-Akkordeons und als dessen musikalischer Botschafter in der Welt. Er ist der einzige Conjunto-Musiker, der regelmäßig größere Tourneen unternimmt - auch durch Europa. Wenn er außerhalb von Texas auftritt, verändert Flaco Jimenez, der aus einer alten Musikerfamilie stammt, sein Konzertprogramm. Er singt dann statt in spanisch auf englisch, „fügt ein paar Rhythm&Blues -Nummern ein und spielt neben den obligatorischen Schnulzen, die von enttäuschter Liebe erzählen, einen Song, Across the Borderline, den auch Bob Dylan im Repertoire hat und der den seelischen Ausnahmezustand der „wetbacks“ thematisiert, der „Naßärsche“, die täglich durch den Rio Grande illegal in die USA einwandern - auf der Flucht vor Armut einem ungewissen Schicksal entgegen.

Auch ältere Conjunto-Lieder hatten dieses zentrale Problem der Grenzregion zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten immer wieder aufgegriffen. Bei Valerio Longoria hieß es in einer Verszeile: „Um auf die andere Seite zu gelangen, zahlen manche mit Geld, andere mit ihrem Leben.“

Entgegen seiner Reputation, die er im Ausland genießt, ist Flaco Jimenez‘ Popularität in seiner Heimat eher begrenzt. Er kann keine Hits vorweisen und ist deswegen in keiner Jukebox vertreten. Das läßt den Marktwert sinken. Lee Martinez, der Labelchef von „Freddy Records“ kann solche Kunst nicht beeindrucken. Für ihn zählen allein die Bilanzen. „Wenn er hier reinkäme und fünfzig Dollar für eine neue Produktion haben wollte, würde ich ihn rauswerfen!“ poltert Martinez.

Die Tex-Mex-Szene im Süden der USA, in Nordmexiko und in den „Chicano-Communities“ der Großstädte wie Los Angeles, Chicago und New York hat ihre eigenen Stars. Salome Gutierrez, ein intimer Kenner der Materie und jahrzehntelang maßgeblicher Tex-Mex-Produzent (bis er sich vor ein paar Jahren in sein Plattengeschäft zurückzog), nennt Namen: Ramon Ayala, ein Musiker, den in Europa niemand kennt, bringt Tausende auf die Beine, hat Hit an Hit. Ebenso die „Norteno„-Gruppe „Los Tigres del Norte“, die Stadien füllt nicht nur mit leichten Liedchen, sondern auch mit Songs explizit politischen Inhalts. Ein Plattentitel lautet: Gracias! America... Sin Fronteras!

Diskographie:

Texas-Mexican Border Music, Volume 1-24 (Folklyric)

Conjunto! Texas-Mexican Border Music, Volume 1+2 (Rounder Records)

Flaco Jimenez - Arriba El Norte (Zensor)

Steve Jordan - El Huracan (Zensor)

Los Lobos ) La Pistola y el Corazon (Slash Records)

Los Tigres del Norte (Ry Cooder, Jim Dickinson, John Hiatt)

-Gracias! America... Sin Fronteras! (Profono/CBS)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen