piwik no script img

„Bagatellen“ - Schuhe für die Salondame

Lebens-Geschichten von Ernestine Zielke, Bremer Schauspielerin / Bisher unveröffentlichte Auszüge / taz-Sommer-Serie / Neunte und letzte Folge  ■  hierhin bitte die

Alte auffem Sarg

ICH mußte unbedingt Geld machen. Mein Mann (im folgenden MM) fand das Angebot auch sehr verlockend für mich. Ich brauchte ihm auch nichts abzugeben. Mit diesem Geld könnte ich mir Schuhe kaufen, die nicht so viel Krach machen auf der Bühne wie die selbstgeschnitzten Holzlatschen, wenn ich vorspreche. Bei der „Rose Bernd“ spiele ich barfuß, aber für eine Salondame brauche ich Schuhe. Vielleicht reicht es sogar noch für einen Pelzmantel - gebraucht - Kanin. Dann könnte ich die Lady Loxfield spielen.

Begabt waren viele, die von der Schauspielschule kamen, damals 1947/48. Theater gab es auch genug; sie schossen wie die Pilze aus dem Boden. Der Eintritt kostete 5 Mark und eineinhalb bis ein Brikett. „Wir heißen Euch hoffen“ spielten wir. Theaterfundus gleich null. Wer Garderobe hatte, konnte damit rechnen, die dazugehörige Rolle zu bekommen. Noch einmal: Begabung verstand sich von selber, aber Pelzmäntel waren knapp und einen Hauch von schäbiger Eleganz braucht man selbst als Hure in der Bettleroper. Also, was ist? Fährst Du?

Ja, ich fahre nach Cuxhaven, um in der Fischindustrie Geld zu machen. Es werden Frauen gesucht, die die Heringe ausnehmen. Aber das große Geld macht man natürlich nicht mit Arbeit, sondern auf dem Schwarzen Markt. Die Nachfrage nach Heringen ist groß. Sogar aus Berlin kommen die Händler. Mit ihren Marmelade-Eimern stehen sie vor der Sperre und erwarten die Frauen. Sie verschwinden mit ihnen in den Häusereingängen. Nach einer Weile kommen sie heraus. Die Händler mit vollen Eimern, die Frauen mit Zigaretten, Mehl, Zucker, Kaffee, Strümpfen. Die härteste Währung sind Zigaretten: Chesterfield, eine Zigarette 5 Mark. Aber bisher hatte ich noch keinen Hering herausgebracht, außer dem Deputat, das wir bekamen. Wie machten die Frauen das? Nach drei Tagen weiß ich es. Sie tragen weite Schlüpfer, die sie Liebstöter nennen, mit engen Beinen, damit kein Hering durchrutschen kann. Ich bin müde, mir ist zum Kotzen elend. Ich stinke nach Fisch trotz langem Duschen. Alles stinkt nach Fisch. Die Haare, die Kleider, die Tasche, das Geld. Ich will wenigstens die Schuhe haben. MM schreibt mir Durchhaltebriefe. Vor drei Monaten haben wir geheiratet. Wir lieben uns, wir wollen zusammen wohnen. Ohne Trauschein machen sich die Vermieter der Kuppelei schuldig; wenn sie es trotzdem tun, steigt die Miete in die Höhe. Wir schwören uns nicht ewige Treue, sondern Ehrlichkeit. Keine Lügen. Versprochen! Versprochen! Aber noch bin ich in Cuxhaven, stinkend, müde zum Umfallen und voller Sehnsucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen