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Grünes Bündnis: Sabotage durch Provinzler

■ Vor den Landtagswahlen in der DDR präsentiert sich das grüne Bürgerbündnis in den neuen Bundesländern heterogen

Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Erfurt (taz) - Stocksauer ist Martina Deutsch, Leiterin der provisorischen Geschäftsstelle der Grünen in Mecklenburg -Vorpommern in Rostock: Die „Provinzler“ aus Mecklenburg hätten am vergangenen Wochenende auf dem Bündnisparteitag der Grünen dafür gesorgt, daß in Mecklenburg-Vorpommern das Bündnis 90 in seine Einzelteile auseinandergefallen sei und die Grünen im Norden der Republik alleine in den Landtagswahlkampf ziehen müßten. Mit 51 Prozent der Stimmen der anwesenden Parteimitglieder votierten die Grünen im nördlichsten Bundesland gegen eine Listenverbindung mit der Vereinigten Linken (VL), dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) und der Bewegung Demokratie Jetzt (DJ).

Das Neue Forum hatte in Mecklenburg-Vorpommern sein Desinteresse an einem breiten Wahlbündnis schon vor dem Parteitag der Grünen signalisiert - „eine Katastrophe“ (Deutsch).

In Mecklenburg-Vorpommern werden sich demnach am 14. Oktober die Grünen mit dem „Neuen Forum“ und den anderen Bürgerbewegungen um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler balgen. Und dabei, so die Prognose von Martina Deutsch, werden alle auf der Strecke bleiben: „Wir im Norden sind halt etwas eigen.“ Daß sich der UFV, die VL und DJ zu einem Bündnis ohne die Grünen und das Neue Forum zusammengeschlossen haben, verschärfe nur die Lage. Mit ihrem „gedrittelten Angebot“ an die WählerInnen würden die alternativen Kräfte in Mecklenburg-Vorpommern „mit Sicherheit“ draußen vor der Landtagstür bleiben.

Der Streit um den Standort dieses Landtages geht heftig weiter. Rostock oder Schwerin heißen die Alternativen. Schwerin scheint - nach einer Empfehlung des Ausschusses zur Erarbeitung von Rahmenbedingungen für das künftige Bundesland - die besseren Karten zu haben.

Ähnlich dürftig wie in Mecklenburg-Vorpommern sieht es bei den Grünen und den Bürgerbewegungen in Brandenburg aus. In Potsdam hoben die Brandenburger ein „Bündnis für das Leben“ aus der Taufe, an dem sich die Grünen, der UFV und der Seniorenschutzbund „Graue Panther“ beteiligen. Bündnisverhandlungen mit dem Neuen Forum und der DJ scheiterten an „inhaltlichen und organisatorischen Differenzen“, wie der Vorstand des Landesverbandes der Grünen in einer Presseerklärung mitteilte. Ein entsprechender Beschluß des Vorstandes wurde schon am 18. August von den „Basisvertretern“ der Grünen „mit großer Mehrheit“ bestätigt. Das Bündnis Die Grünen/Senioren/UFV rief anschließend die Bürgerinnen und Bürger des Landes Brandenburg auf, sich zahlreich an der Wahl zu beteiligen „und die Alternative zu den Altparteien“ zu wählen. Das Neue Forum und die anderen Bürgerbewegungen wollen in Brandenburg mit eigenen Kandidaten zur Wahl antreten.

Was in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg gründlich in die Hose ging, ist dagegen in Sachsen politische Realität geworden: Zusammen mit dem Neuen Forum, der DJ und dem UFV werden die Grünen dort unter dem Namen „Neues Forum/Bündnis/Grüne“ (Kurzbezeichnung: „Forum“) zu den Landtagswahlen antreten. In Leipzig wurde bereits der Wahlvertrag paraphiert - mit den Unterschriften der Landesvorständler aller beteiligten Gruppierungen. Darin heißt es, daß die Abgeordneten dieser Liste im sächsischen Landtag „in einer gemeinsamen Fraktion“ zusammenarbeiten werden und daß alle Kandidatinnen und Kandidaten erklären, „nie als offizieller oder inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit“ tätig gewesen zu sein.

Weiter schreiben die Gruppierungen fest, daß sie sich nicht nur als Wahlbündnis begreifen, sondern daß sie auch eine Zusammenarbeit auf der außerparlamentarischen Ebene anstreben. Auch über die Aufteilung der Wahlkampfkosten konnte in Sachsen Einigkeit erzielt werden. In einen gemeinsamen Fonds zahlen die Beteiligten anteilig Gelder ein, wobei das Neue Forum und die Grünen den Löwenanteil der Kosten - insgesamt 150.000 DM - aufzubringen haben. Ein Drittel dieser Summe soll für zentrale Veranstaltungen und Aktionen aufgewendet werden.

„Sächsische Verhältnisse“ herrschen auch in Sachsen-Anhalt. Das Neue Forum, DJ, UFV, die Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) und die Grünen haben sich dort zum Bündnis zusammengeschlossen, wobei das Neue Forum - zum Leidwesen der Grünen - der dominierende Faktor sei. Selbstbewußt hätten sich die Vertreter des Neuen Forums bei den Vereinigungsgesprächen durchsetzen können, meinte ein Sprecher des Landesverbandes der Grünen in Magdeburg. Und deshalb trage in Sachsen-Anhalt das breite Bündnis auch den Namen „Forum“.

Firmierung der diversen Bündnisse nervt auch den Pressesprecher der Grünen in Thüringen, Thomas Winkler. Dort haben sich Neues Forum, DJ und die Grünen zur Vereinigung „Neues Forum/Demokratie Jetzt/die Grünen“ zusammengeschlossen (taz v. 13.8) - „ein schlagkräftiger Name“, höhnte Winkler in Erfurt. Auch in Thüringen habe das Neue Forum darauf bestanden, der Namensgeber für das Bündnis zu werden. So treten die Bürgervereinigungen und die Grünen in den fünf Bundesländern mit fünf verschiedenen Namen auf eine „eher peinliche Angelegenheit, vor allem mit Blick auf die gesamtdeutschen Wahlen“, meinte Winkler, der im übrigen als Augur agierte: „Wir haben Chancen in Thüringen, in Sachsen und in Sachsen-Anhalt. Dagegen werden wir in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern auf die Schnauze fallen.“ Aber das Scheitern könne ja auch einen Lernprozeß in Gang setzen, „selbst in der mecklenburgischen Provinz“.

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