piwik no script img

Ein Akt verbrecherischen Vandalismus

■ Erschreckende Verwüstung eines jüdischen Friedhofs am Kaiserstuhl / Hakenkreuzschmierereien und Grabschändungen häufen sich auffallend / Polizei sieht keinen zwingenden Zusammenhang mit Neonazi-Szene

Aus Ihringen Erwin Single

„Komm, du Jude, wir fahren nach Dachau“. Blau aufgesprüht sind die antisemitischen Schmähworte auf der Friedhofsmauer des jüdischen Gräberfeldes nahe dem kleinen badischen Winzerdörfchen am südlichen Kaiserstuhl. Unsäglich gewütet haben dort vermutlich in der Nacht zum Sonntag noch unbekannte Täter. Sie hinterließen ein Bild der Zerstörung: 177 der rund 200 Grabsteine wurden umgeschmissen, zum Teil mit Vorschlaghämmern zertrümmert und mit Hakenkreuzen, SS -Runen und Schriftzügen beschmiert. Die Besucher, die den in Weinbergen gelegenen, fast völlig zerstörten jüdischen Friedhof aufsuchen, sind entsetzt. Mit Wut, Trauer und Bitterkeit nehmen sie Schändungen auf. Antijüdische Hakenkreuzschmierereien auf Gedenksteinen der Menschen, die unter diesen Symbolen zu Millionen in die Gaskammern geschickt wurden, das trifft. „Warum können die Täter“, meint eine ältere Frau, „nicht einmal die Toten in Ruhe lassen?“

Ahnungslose

Polizei

Für die meisten Ihringer Bürger steht fest, daß nur Rechtsradikale die Tat begangen haben können. Nachdem bei Friedhofsschändungen in Tübingen und Stuttgart ebenfalls antisemitische Schmierereien aufgetaucht sind, liegt dieser Schluß natürlich nahe. Die Freiburger Polizei gibt sich allerdings zurückhaltender. Sie hat bisher keine konkreten Hinweise. Trotz der auffälligen Häufung solcher Taten in der letzten Zeit will man dort die Täterkreise nicht nur in der rechtsradikalen Szene suchen. Es könnten durchaus auch Nachahmungstäter nach einem Saufgelage gewesen sein, vermutet Polizeisprecher Ulrich Brecht. „Das kann jeder hingesprüht haben“, sagt er. Neben antijüdischen Parolen und faschistischen Symbolen tauchen nämlich auch sexistische Sprühereien, die Aufschrift „Dracula“ und das Autonomensymbol auf. Auffallend sind auch die häufigen Schreibfehler und teilweise dilettantisch gesprühten Nazi -Zeichen. Nur eines scheint sicher: die Aktion dürfte von mehreren Tätern systematisch durchgeführt worden sein - denn es war letztlich ein brutaler Gewaltakt. Äußerst zweifelhaft ist aber, ob es sich lediglich um eine spontane Tat randalierender Jugendlicher handelt, als welche man die Sache am liebsten abtun würde. 170 Gräber zu verwüsten und dazu noch einen geeigneten Ort auszusuchen, ist ohne Planung kaum denkbar.

Verbrecherischer Vandalismus

Während die Polizei noch im dunkeln tappt und auf Hinweise von Zeugen hofft, ist Bürgermeister Arthur Köbele fest davon überzeugt, daß niemand aus dem Dorf selbst beteiligt war. Die gesamte Bevölkerung der Gemeinde sehe in dem „Akt von verbrecherischem Vandalismus“ einen „Anschlag auf das Ansehen unseres Ortes“. Schließlich hat man in Ihringen einiges getan, um den ehemaligen jüdischen Mitbürgern zu gedenken und die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen wachzuhalten. Noch am 9.November vergangenen Jahres hatten die Bürger auf dem Friedhof eine Gedenkfeier abgehalten.

Ihringens

jüdische Gemeinde

Seit Jahrhunderten gab es in Ihringen - wie in Freiburg, Breisach und den Gemeinden Sulzburg und Schmieheim - eine große jüdische Gemeinde. Etwa 260 Juden lebten Anfang des Jahrhunderts im Dorf; viele flohen später vor drohenden Verfolgung der Nationalsozialisten. Nachdem in der „Reichskristallnacht“ die Ihringer Synagoge in Flammen aufging, ließ der NS-Ortsgruppenleiter Adolf Leitinger die letzten Juden auf dem Marktplatz zusammentreiben. Sie wurden auf Lastwagen geladen und deportiert - die meisten von ihnen in Konzentrationslager nach Südfrankreich, wie einige Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof bezeugen.

Daß Ihringen unter Leitinger eine Nazi-Hochburg war, davon wollen die meisten Bürger heute nichts mehr wissen. Auch daß schon einmal Nazi-Parolen an der evangelischen Kirche prangten, wird nur am Rande erwähnt. Als vor gut zehn Jahren bereits einmal einige Grabsteine auf dem selben Friedhof umgedrückt wurden, stellte sich das als nächtliche Tat zweier betrunkener Jugendlicher heraus. Ihringen - eine Gemeinde wie jede andere?

Nichts deutet auf das Gegenteil hin. Eine Lehrerin gibt dem allgemeinen Klima der Ausländerfeindlichkeit und dem nationalistischen Taumel die Schuld für die verabscheuungswürdige Tat. Auch mangelnde Aufklärung in den Schulen über die Greueltaten der Nazis wird von den abendlichen Besuchern des zerstörten Friedhofs als Erklärung herangezogen. Einige sind jedoch der Meinung, man müsse sich von dem liebgewordenen Gedanken verabschieden, daß es an mangelndem Wissen liege. „Die Leute, die so etwas schreiben, die wissen, mit wem sie sich identifizieren“, sagt ein alter Mann, der mit einigen auf dem Friedhof begrabenen Juden in seiner Kindheit zusammen gespielt hat.

Grabschändungen und keine Aufklärung

Im Landeskriminalamt in Stuttgart werden die jüngsten Schändungen jüdischer Gräberfelder mit Sorge zur Kenntnis genommen. Es falle auf, daß gerade die Intensität der Taten unheimlich zugenommen habe, wird dort erklärt. Bereits sechs Verwüstungen hat man in diesem Jahr allein in Baden -Württemberg registriert, nicht eine davon konnte bislang aufgeklärt werden.

Die Täter kommen nachts; es gibt keine Zeugen. Die Täter werden am ehesten in der Neonazi-Szene vermutet, aber eine eindeutige Zuordnung ist schwierig. Zusammenhänge zwischen den Verwüstungen in Stuttgart, Tübingen und Ihringen gebe es nach dem Stand der Ermittlungen nicht. Im letzten Fall, glaubt Hartmut Grasmück, als Inspektionsleiter Staatsschutz auch für den Bereich Rechtsextremismus zuständig, kämen aber wohl am ehesten Täter aus dem dortigen Raum in Frage - nicht zuletzt wegen der teils dilettantischen Ausführung. Bleibt die Frage, wer solche Täter auf den Gedanken bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen