: Leben und Sterben lassen
■ „Mit Leib und Seele“: Die erfolgreichste deutsche Pfarrerserie geht in die zweite Runde
Von Manfred Riepe
Günter Strack ist Mit Leib und Seele Pfarrer. So wurden letztes Jahr zahlreiche Ankündigungen der ZDF-Pfarrer-Serie überschrieben. Eine augenzwinkernde, eindeutig zweideutige Anspielung auf die Leibesfülle des in Darmstadt geborenen Winzers und Charakterdarstellers Günter Strack. Dicke sind gemütlich, heißt es. Doch „von Anfang an war klar“, so Redakteur Gerd Bauer, „daß dieser Pfarrer kein fideler Pfaffe sein sollte und auch kein hessischer Don Camillo“.
Die Rolle des katholischen Geistlichen, der seine Karriere als Theologe zugunsten einer kleinen Gemeinde im fränkischen Eberfeld aufgibt, wurde Günter Strack auf den Leib geschrieben.
Und auch auf die Seele. Stracks Repertoire als Bühnenschauspieler reicht von Goethes Götz von Berlichingen über Wilhelm Tell bis zu Shakespears Was Ihr wollt. Dramaturgisch setzt daher auch die am 13. Oktober startende zweite Staffel der Serie wieder auf die schauspielerische Erfahrung des 61jährigen statt auf Klischees.
Inhaltlich schließt die zweite Staffel direkt an die erste an. In der fortgeführten Handlung geht es weiterhin um menschliche, allzu menschliche Konflikte und um „sogenannte Sachzwänge“. Pfarrer Kempfert versucht zwischen den teils komödiantisch überspitzten, teils wie „Klein-Dallas“ überhöhten Konflikten zu vermitteln.
Weil er nicht immer alle Zusammenhänge souverän überblickt, führt sein Eingreifen nicht selten zu einem Beinahe -Scheitern, aus dem sich wiederum farbenreiche dramaturgische Konstellationen ergeben.
Kempfert ist kein Guru. Selbst seine immer wieder zum Ziel ironischer Randbemerkungen geratende Leibesfülle trägt er sichtlich wie eine Last. Seine Botschaft ist keine theologische, sondern eine rein „menschliche“. Mit der Rolle des Pfarrer Kempfert will Günter Strack „auch anderen Pfarrern ein Beispiel geben, sich zu bemühen und sich zu engagieren“. Denn: „Der Durchschnittspfarrer ist es nicht, den wir da zeigen“, sagte Strack auf der Pressekonferenz.
Wen wundert es, daß ihm da bei seiner erklärten Lebensrolle die Grenze zwischen Fiktion und Realität bisweilen durcheinander gerät. So vergleicht er sich gerne mit Peter Leppisch, der den Beinamen „Das Maschinengewehr Gottes“ trägt. Auf die Frage, wieviele Menschen er in seiner Jahrzehnte währenden Mission erreicht habe, antwortete der Geistliche: „15 Millionen: Ebensoviele wie Günter Strack jeden Samstag stolzermaßen vor dem Fernseher versammelt.“ Obwohl - oder weil - Strack „nur viermal in Jahr in die Kirche“ geht. Am Ende ließ der katholische TV-Pfaffe, der privat evangelisch ist, gar durchblicken, daß man Mit Leib und Seele auch auf Video aufzeichnen und statt des sonntäglichen Kirchgangs anschauen könne. Was nicht unamerikanisch ist. Dem Papst möchte Strack „keine Empfehlungen geben. Das ist klar. Denn die würde er sowieso nicht anhören.“
Den Erfolg der Unterhaltungsserie erklärte Redakteur Bauer damit, „daß unser Fortschrittsglaube einen Schock erlitten“ habe. Es müsse „dem Leben in einer immer sinnloseren Welt ein Sinn“ gegeben werden. Man könne, so Bauer weiter, „ein solches Bedürfnis nicht unerwidert lassen“ (die dritte Staffel wird Anfang 91 abgedreht; die vierte ist projektiert). Außerdem sei Unterhaltung ein „seelisches Regulativ“ und spiele „eine große Rolle im seelischen Haushalt“. Zumal, wie Strack später hinzufügte, wir gerade erleben, „daß eine vom Intellekt her gute Sache wie der Marxismus gescheitert ist“.
Da konnte sich Gerd Bauer auch nicht mehr zurückhalten und verglich Mit Leib und Seele gleich mit der griechischen Tragödie. Wo diese „episch erzählt“, wirke Mit Leib und Seele „emotional“, denn „man könne auch emotional begreifen“. Um das ganz große Gefühl geht es in nahezu jeder Folge. Erstaunlich oft wird das Tabuthema Tod berührt. Bei der vorgelegten Sterberate sollte sich die Bevölkerung von Eberfeld stärker auf Nachwuchs als auf Schwangerschaftsabbruch - ein weiteres Tabuthema konzentrieren.
Den Vorwurf, Kempfert würde in einer vorab präsentierten Folge ein Kind geradezu heidnisch gesundbeten, parierte Strack damit, daß es nur „um menschliche Anwesenheit und Wärme“ angesichts der Stundes des Todes ginge. (Auch bei im Koma Liegenden, pflichtete Bauer bei, sei es erwiesen, daß sie menschliche Anwesenheit spüren. Für einen Moment war unklar, ob nicht die Fernsehzuschauer gemeint waren.) Schließlich bleibt am Ende nur das große „Warum?“ zurück, das etwa der Herzinfarkt-geschwächte Industrielle Dannecker leitmotivisch auf dem Sterbebett aushaucht. Amen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen