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Götterdämmerung bei fünf-achtzig

■ Der Stabhochspringer Sergej Bubka fliegt bei der Leichtathletik-Europameisterschaft zu niedrig

Aus Split Michaela Schießl

„Ich habe keine Konkurrenz. Auch Gataulin und Yegorov nicht.“ O-Ton Sergej Bubka, anno 1989. Ein Bubka, wie man ihn kennt: Stark, selbstbewußt, charakterfest, unerreicht. Im Stabhochsprung duldet der temperamentvolle Ukrainer keine anderen Götter neben sich. Seit 1983 hat er jede Meisterschaft gewonnen, Olympische Spiele, Welt- oder Europameisterschaften. Höchstens auf Meetings gönnt er seinen Landsleuten Gataulin und Yegorow, die in Seoul Platz zwei und drei belegten, eine Schnitte.

Wenn der 26jährige Sportstudent den Stab in die Hand nimmt, steht die Konkurrenz stramm. Weil sie sowieso längst ausgeschieden ist. Wo andere aufhören, fängt Sergej an. Er ist der erste Mensch, der die sechs Meter übersprang, hält den Weltrekord gar mit 6,06. Im Training sind 6,20 drin, behauptet er. 1,83 Meter ist er groß, enorm schnell und kräftig, genug, um den Stab mit martialischer Gewalt in den Kasten zu biegen.

Sicher - er hat Starallüren entwickelt: die Höhendiva haßt klatschendes Publikum, mosert an den Anlagen rum, bringt ab und an seinen eigenen Einstichkasten mit. Temperamentvoll gestikulierend berät er seine Konkurrenten, die ja eigentlich keine sind.

Zumindest bisher. Doch bei der Europameisterschaft in Split herrscht Götterdämmerung. Schon bei der Qualifikation tat sich Bubka schwer. 5,50 im dritten Versuch. Gleiches Spiel im Finale. Früh steigt er ein, bei 5,70, reißt zweimal. Der Adrenalinspiegel auf den Tribünen geht in die Höhe. Der Maestro wirkt ungehalten, aber ruhig. Gataulin überspringt im zweiten Versuch, beeindruckend klar, federleicht. Bubka, die Dritte: Steil hebt er den Stab in die Luft, rennt los, zieht sich hoch, umgreifen, abstemmen - drüber. Aufatmen. So hat er es in Stuttgart auch gemacht, bei der EM 1986 und gewonnen.

5,75. Yegorov überspringt, hangelt sich auf Anhieb drüber. Bubka und Gataulin verzichten. Dann der Österreicher Hermann Fehringer, den keiner auf der Rechnung hatte. Er schafft die Höhe im dritten Versuch, neuer österreichischer Rekord Hermann vom Geflügelhof Fehringer (Werbeaufschrift am Trainingsanzug) tanzt vor Glück.

5,80. Bubka springt, nervös geworden. Er reißt zweimal. Kennen wir schon. Dritter Versuch. Das Publikum klatscht rhythmisch, Bubka wehrt sich nicht. Anlauf. Mühsam zieht er sich hoch, schwerfälliger als je zuvor. Gerissen. Bubka ist draußen, die Sensation komplett. Gataulin würdigt ihn keines Blickes, läßt 5,85 auflegen. Überspringt perfekt im ersten Versuch. Bubka sitzt allein auf dem Kunststoffbahn, läßt den Kopf hängen, übt verlieren. Sie mögen sich nicht sehr, Gataulin und er. Rücken an Rücken sitzen sie meist, kein Wort fällt, kein offener Blick.

Dann steht Bubka auf, kerzengerade, geht zu Yegorov, um ihn zu beraten. Yegorov reißt die 5,90. Bubka beißt die Zähne zusammen, geht zu Gataulin und gratuliert ihm. Der Sieger kann verlieren. Doch jetzt will Gataulin es wissen. Er läßt 6,08 auflegen, zwei Zentimeter über Bubkas Weltrekord. Doch für diese Demütigung Bubkas reicht ihm die Kraft nicht mehr.

Wenn man ihn nicht auf Bubka anspricht, wird der Europameister richtiggehend lebhaft. „Ich bin mehr ein Wettkämpftyp, nicht so sehr ein Rekordspringer“, erzählt er. Gegen Bubka wirkt Gataulins Oberkörper schmächtig. „Bei Gegenwind tu‘ ich mich momentan schwer, den Stab zu halten“. Aber in Split war ja kein Wind. Und Bubka? „Sergej ist außergewöhnlich, aber er hatte diese Saison zu viele Probleme. Mehr als was er geboten hatte, war nicht drin. Er tut mir leid.“

Und während Gataulin erklärt, Yegorov sich über seinen zweiten Platz ärgert („Ich kann es besser“), sitzt der Überraschungsdritte, Hermann Fehringer, in der Runde, still, und strahlt.

Männer, Stabhochsprung: 1. Rodion Gataulin (URS) 5,85 Meter; 2. Grigori Jegorow (URS) 5,75; 3. Hermann Fehringer (AUT) 5,75.

200 m: 1. John Regis (GBR) 20,11 Sekunden; 2. Jean -Claude Trouabal (FRA) 20,31; 3. Linford Christie (GBR) 20,33.

3.000 m Hindernis: Francesco Panetta (ITA) 8:12,66 Minuten; 2. Mark Rowland (GBR) 8:13,27; 3. Alessandro Lambruschini (ITA) 8:15,82;... 7. Hagen Melzer (DDR) 8:22,48.

400 m: 1. Roger Black (GBR) 45,08 Sekunden; 2. Thomas Schönlebe (DDR) 45,13; 3. Jens Carlowitz (DDR) 45,27;... 5. Norbert Dobeleit (BRD) 45,42.

Weitsprung: 1. Dietmar Haaf (BRD) 8,25 m; 2. Angel Hernandez (ESP) 8,15; Borut Bilac (YUG) 8,09

Frauen, 200 m: 1. Katrin Krabbe (DDR) 21,95 Sekunden; 2. Heike Drechsler (DDR) 22,19; 3. Galina Malchugina (URS) 22,23;... 5. Silke Knoll (BRD) 22,40;... 7. Sabine Günther (DDR) 22,51; 8. Andrea Thomas (BRD) 23,01

100 m Hürden: 1. Monique Ewanje-Epee (FRA) 12,79 Sekunden; 2. Gloria Siebert (DDR) 12,91; 3. Lydia Iurkowa (URS) 12,92; 4. Cornelia Oschkenat (DDR) 12,94;... 7. Kerstin Patzwahl (DDR) 13,25; 8. Gabi Lippe (BRD) ausgeschieden

Speerwurf: 1. Paivi Afrantti (FIN) 67,68 m; 2. Karen Forkel (DDR) 67,56; 3. Petra Felke (DDR) 66,56; 4. Silke Renk (DDR) 64,76;... 6. Ingrid Thyssen (BRD) 61,64;... 11. Brigitte Graune (BRD) 58,54.

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