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Stasi-Gebäude besetzt

■ 30 BürgerrechtlerInnen fordern Herausgabe ihrer Akten und die Zusicherung, Stasi-Akten der Obhut der Länder auf DDR-Gebiet und nicht einem Bundesbeauftragten anzuvertrauen / Politiker aller Parteien sympathisieren

Berlin (ap) - Rund 30 Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen halten ein Gebäude der ehemaligen Staatssicherheitszentrale in Ost-Berlin besetzt. Angeführt von Bärbel Bohley, einer der Leitfiguren der Wende in der DDR, wollen sie die Herausgabe ihrer Akten und die Aufnahme eines entsprechenden Volkskammergesetzes in den Einigungsvertrag erreichen. Unter den BesetzerInnen, die mindestens bis zur ersten Lesung des Einigungsvertrages am Donnerstag bleiben wollen, ist auch Katja Havemann. Die BesetzerInnen verlangen die Entlassung aller Stasi -MitarbeiterInnen aus dem öffentlichen Dienst, öffentliche Gerichtsverfahren gegen ehemalige Spitzel und den Verbleib der Stasi-Akten in der Obhut der DDR-Länder. Transparente mahnten: „Keine Vereinigung von Stasi und BND.“

Die Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl kam am Nachmittag, um zwischen den BesetzerInnen und der Regierung zu vermitteln. Sie sicherte zu, daß nicht gewaltsam geräumt würde. Sie sei im Prinzip einverstanden mit den Forderungen, lehne die Besetzung jedoch ab.

Das Parlament hatte vor zwei Wochen mit großer Mehrheit beschlossen, die Akten unter die Obhut der DDR-Länder zu stellen und jedem DDR-Bürger Einsicht zu geben. Dennoch sollte dieser Beschluß im deutsch-deutschen Einigungsvertrag nicht berücksichtigt werden. Dort war geplant, die Akten nach Koblenz zu transportieren und sie dem Bundesarchiv zu unterstellen. Einsicht sollten Bürger nur bei „berechtigtem Interesse“ bekommen. Erst nach einem energischen Protest der Volkskammer und einem fast einmütigen erneuten Beschluß vom letzten Donnerstag wurde die Passage im Vertrag noch geändert. Die Akten sollen nun in Ost-Berlin bleiben, jedoch werden nicht die Länder, sondern ein von der Bundesregierung ernannter Beauftragter die Akten verwalten. Die Einsicht in die Akten soll eingeschränkt bleiben.

Politiker fast jeder Partei sympathisieren mit der Aktion. Jens Reich vom Neuen Forum will vor allem verhindert sehen, daß der Staat bei der Prüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst auf die Akten zurückgreifen kann. Der DSU-Vorsitzende Walther sagte, die Forderungen der Besetzer seien akzeptabel: „Der Ernst der Lage wurde nicht erkannt.“ SPD-Chef Thierse nannte es einen „skandalösen Vorgang“, daß CDU und Diestel ein „Gesetz der Volkskammer einfach beiseite schieben“. SEITE 21

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