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IFA-Arbeiter Yeng und Serage packen ihre Koffer

■ Den ausländischen Arbeitern des Nutzkraftwagenwerks Ludwigsfelde wurde gekündigt / Die Heimflüge sind schon gebucht / Der Ausländerausschuß des Abgeordnetenhauses wollte sich vor Ort über die Arbeitsbedingungen informieren

Den ausländischen Arbeitern des Nutzkraftwagenwerks Ludwigsfelde wurde gekündigt / Der Ausländerausschuß des Abgeordnetenhauses wollte sich vor Ort über die Arbeitsbedingungen informieren

Ludwigsfelde. Yeng packt. Ende nächster Woche fliegt er heim nach Hanoi. 18 Monate Fließbandarbeit im IFA Nutzkraftwagenwerk Ludwigsfelde werden dann hinter ihm liegen. Auch Serage Anfei aus Mosambik kramt Kisten und Kästen zusammen. Die Mitbringsel, vom Kassettenrecorder für den Bruder bis zu Schuhen und Kosmetik für die noch unbekannte Freundin, sind schon in großen Holzkisten verstaut.

Ein bißchen wehmütig ist ihm ums Herz. Seit 1981 lebt er in der DDR, die ersten Jahre in Dresden, seit vier Jahren in der Stadt, die sich stolz die „Stadt der Automobilbauer“ nennt. Da gibt es Erinnerungen, die es wert sind, behalten zu werden. „Die Kollegen waren nett zu mir“, sagt er, um sofort hinzuzufügen, daß das Klima sich seit Anfang des Jahres geändert hat. „Wir würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen“, habe er gehört, und in der Stadt wird er immer öfters angerempelt. „Du Brikett, mach, daß du wegkommst.“ Serage macht, daß er wegkommt, allerdings nicht freiwillig. Seit August arbeitet er „kurz“, praktisch aber gar nicht mehr. Zum 1.Oktober hat ihm das Automobilwerk gekündigt, die Tage bis zum Abflug verbringt er im tristen Ausländerwohnheim, wenige hundert Meter abseits des Werkes.

So wie Yeng und Serage geht es fast allen ausländischen Arbeitern. Der DDR geht es schlecht, dem ehemaligen Renommierbetrieb noch schlechter. Das im März mit Daimler -Benz verabredete „Memorandum of Understanding“, in dem die gemeinsame Produktion eines mittelschweren LKWs verabredet wurde, entpuppte sich als Windei. Ab Frühjahr 91 wird nicht der IFA Typ L60 mit in Nordhausen und Brandenburg produzierten Motoren hergestellt, sondern ein bislang bei Karlsruhe gefertigter Mercedes-Laster montiert. Ludwigsfelde wird zur verlängerten Werkbank. Tausenden droht die Entlassung, die deutschen Arbeiter schützt nur der im Tarifvertrag festgeschriebene Kündigungsschutz bis Juni 91. Die ausländischen Arbeiter schützt kein Tarifvertrag, über ihre Rechte hat sie bislang kein Gewerkschafter informiert.

Informationsdefizite über die momentane Lage der ausländischen Arbeiter auch andernorts. Der Ausschuß für Ausländerangelegenheiten des Berliner Abgeordnetenhauses verlegte gestern seine wöchentliche Sitzung nach Ludwigsfelde, 30 Kilometer entfernt vom Schöneberger Rathaus. Auf Antrag der SPD und der AL, die die „Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnisse sowie den gegenwärtigen und zukünftigen Aufenthaltsstatus nichtdeutscher Arbeitnehmer in der DDR“ besprechen, und auf Antrag der „Republikaner“, die sich über die „Situation der Fremdarbeiter in Ost-Berlin und Mitteldeutschland“ informieren wollten, erschien man im IFA-Wohnheim für ausländische Arbeiter.

Die Abgeordneten wollten sich ein authentisches Bild machen, die völlig überraschten Bewohner fielen vor Schreck fast aus den Betten. Deutschen Besuch hatten sie selten gehabt. Aber ach, die Kritik des Ausländerausschusses über die beengte Unterbringung der Vietnamesen, Angolaner und Mosambikaner in den acht nebeneinander aufgereihten Baracken aus Wellblech, stabil umspannt von einem Metallzaun, lief ins Leere. Von den noch im Sommer beschäftigten 370 Vietnamesen, 250 Mosambikanern und den 30 Angolanern werden allenfalls 50 vorerst in Ludwigsfelde bleiben. Der Rest packt und hat es eilig wegzukommen. Der Metallzaun, früher eine Repression der Stasi, dient heute als Schutz. Die Bewohner des Lagers, „Internat“ genannt, haben Angst. Der Überfall vor kurzem von aufgehetzten Jugendlichen im Nachbarort Trebbin auf schwarze Arbeitskollegen war „kein Zufall“, sagt einer, die „wollten uns die Heimreise erleichtern“.

In Ludwigsfelde verlassen auch die Ausländer das Werk und die Stadt, die es eigentlich gar nicht müßten. Kündigen darf das IFA-Werk, wie alle anderen Betriebe in der DDR auch, nur die Arbeitsverträge, deren Zeitdauer abgelaufen ist, und auch niemanden vor Ende des Jahres. Diese kleine Absicherung wurde im Einigungsvertrag mit der Bundesrepublik festgeschrieben, informierte der Rechtsberater Wilfried Buchhorn vom Büro für Ausländerangelegenheiten beim Ministerrat der DDR die nach Ludwigsfelde herbeigeeilten Abgeordneten.

Als Bonbon für die „freiwillige“ und vorzeitige Rückkehr gibt es allerdings Geld. Die Betriebe müssen den Heimkehrern bis Ende des Jahres 70 Prozent des Nettolohnes, eine Abfindung von 3.000 DM und den Rückflug in ihr Heimatland bezahlen. Die aufgrund zwischenstaatlicher Verträge in der DDR arbeitenden ausländischen Arbeitskräfte aus Vietnam, Mosambik, Angola und Kuba könnten auch, sofern die Zeitverträge von fünf Jahren noch nicht abgelaufen sind, länger in der DDR bleiben, maximal allerdings nur zwei Jahre. Voraussetzung ist allerdings dafür, und dies wurde von Buchhorn kritisiert, daß sie einen Arbeitsplatz nachweisen können, der von Deutschen nicht zu besetzen ist. Die Übernahme des bundesdeutschen Ausländergesetzes in der DDR verschlechtert die Situation der ausländischen Arbeiter. Hoffnung auf einen Arbeitsplatz gibt es weder jetzt noch in der Zukunft, weiß Lenca aus Angola, „wir sind die Opfer des neuen Deutschlands“.

Anita Kugler

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