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Der Kongreß der Außerirdischen

■ Nach dem Parteitag der Russischen Kommunisten (RKP) gibt es einen Apparat, aber kein Programm

Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) - Unbekannte Flugobjekte, Science-fiction, auch der primitivsten Art, erfreuen sich größter Beliebtheit in der Sowjetunion. Kein Wunder, das Bedürfnis nach Transzendenz und kosmischer Verwandlung läßt sich nachvollziehen angesichts des erbarmungswürdigen Diesseits.

Dieser Tage war der Kremlpalast Schauplatz eines surrealen Geschehens. Mehr als 2.000 Parteigenossen saßen dort zusammen und wollten eine Partei auf die Beine stellen, die sich wieder zur Avantgarde des heruntergewirtschafteten Landes entwickeln sollte. Doch von allem war die Rede, nur nicht davon. Man stritt über die Rechtmäßigkeit der Wahl des Vorsitzenden, obwohl noch gar nicht geklärt ist, ob die Partei überhaupt Mitglieder haben wird. Diese Frage verschob man geflissentlich auf die nächste Zusammenkunft Mitte Dezember. Und viele Redner ereiferten sich über die geringe Beachtung, die dem Marxismus/Leninismus im Aktionsprogramm geschenkt worden ist. Auch dagegen ist nichts zu sagen, wenn denn - wider die Zeichen der Zeit - originelle Anregungen einer Theorie des dritten Weges oder so was ähnliches vorgetragen worden wären. Aber nein, nichts als gedankliche Blässe, die panische Angst vor dem rasanten Machtverlust offenbarte.

Die Delegierten kamen nicht von dieser Welt, müssen außenstehende Beobachter gedacht haben. Sie brauchen nichts zu essen, nichts zu rauchen. Sie sind bedürfnislos oder haben sie etwa alles...? Obwohl die Bevölkerung sich nach Außerirdischem sehnt, schenkte sie der Zusammenkunft der Extraterristischen mitten im Herzen Moskaus keinerlei Aufmerksamkeit. Die Presse tat das gleiche, sie kochte den Konvent auf kleiner Flamme und erntete erwartungsgemäß böse Kritik aus den Reihen der Partei. Nur die Medien der Partei, 'Prawda‘ und 'Sowjetskaja Rossija‘, kamen ihrem Auftrag ordnungsgemäß nach. Jeden Tag ließ sich dort entnehmen: „Die Zeit fordert Taten“ oder in Variationen aufs selbe Thema: „Zeit des Handels“, und erwartungsvoll richtete man seine Aufmerksamkeit auf das Geschehen des Tages: Es muß da was passieren!

Tat es dann auch. Die Partei wählte die zweite Hälfte ihres Zentralkomitees und verwies die Programmdiskussion auf den nächsten Parteitag. Zwischendurch gab es solche Lamenti wie diese: Der Delegierte Juri Beljajew aus Gorki erboste sich über den Zigarettenverkauf am Büffet im Foyer: „Ein ungeheuerlich provokanter Akt“ sei das, „ein Mittel politischen Drucks auf die Delegierten“ - „hier habt ihr euren Markt!“ fauchte er ins Plenum. Die Packung Zigaretten kosteten nämlich 10 Rubel. Doch bewies er damit nur eins, daß er nämlich nicht von dieser Welt ist und über eine andere Quelle verfügt. Zigaretten sind schließlich Defizit, und für eine Packung Marlboro muß man 20 oder mehr Rubel hinblättern.

Zum Nachdenken hätte wenigstens der Beitrag des 1. Sekretärs des Komsomol-Jugendverbandes, Wladimir Elagin, die Delegierten anhalten müssen. Er erklärte kollektiv, daß die meisten Jugendlichen des Leninschen Komsomol in diese Partei, mit diesem Programm nicht eintreten werden. Was macht eine Partei ohne Nachwuchs, ohne Kampfreserve, droht etwa ein Aufstand der Väter? Man strafte den Redner durch ostentative Zurückhaltung am Ende.

Noch eine denkwürdige Beobachtung: Kritik am Programmentwurf wurde vor allem deshalb laut, weil er sich weder mit der ZK-Plattform der KPdSU noch mit dem Konzept des Obersten Sowjets der Russischen Föderation decke. Ersteres läßt sich noch verstehen, aber wieso muß sich die programmatische Linie der Partei mit den Vorstellungen des Obersten legislativen Organs decken, zumal sein höchster Repräsentant Jelzin die Partei verlassen hat? Na klar, weil man sich hier, wo gediente Apparatschiks zusammenhocken, noch immer nicht von der Vorstellung verabschiedet hat, Staatspartei zu sein. Der Artikel, der der Partei die Führungsrolle sicherte, ist zwar aus der Verfassung getilgt, aber nicht aus ihren Köpfen.

Trotz aller Häme brachte der Parteitag doch noch etwas. Es fanden auch ein paar gemäßigte Kandidaten Platz im ZK, die nicht auf eine bruchlose Apparatkarriere zurückgreifen können. Vielleicht darf man dies als Zeichen werten, daß es einigen Delegierten dämmert. Einer von ihnen war Juri Delow aus Leningrad, ein eher nachdenklicher Mensch, der nicht unbedingt zum Beschönigen neigt. Zur Wahl der umstrittenen Führungsfigur Iwan Poloskow steuerte er eine plausible Erkärung bei, die zugleich etwas über die künftige „Massenbasis“ der Partei verrät. Sie sei ein Ergebnis des politischen und sozialen Protestes des provinziellen Zentralrußlands, das vor und während der Perestroika am meisten unter Entbehrungen zu leiden hatte ... und die Verkörperung dieses populistischen Protestes ist zweifelsohne der gnomige Iwan. Recht hat er.

Am Freitag morgen suchte ich vergeblich nach der Meldung in der 'Prawda‘: Unbekanntes Flugobjekt auf dem Roten Platz gesichtet.

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