: Niemand hat Hertha lieb
■ VfL Bochum — Hertha BSC 4:2/ Hertha selbst gegen graue Mäuse hilflos/ Manager Horst Wolter klagt über mangelnde Solidarität innerhalb Berlins
Bochum. Fußball ist nicht schön. Dribblings und Flankenläufe, Dropkicks und tolle Paraden — alles Lüge. Wenn man vom Start weg sechs Spiele lang nicht gewonnen und nur einen Punkt geholt hat, geht das direkt an die Physiognomie. Horst Wolter jedenfalls konnte seine Gesichtszüge nicht mehr halten und sah nach dem Schlußpfiff in Bochum einfach zerstört aus. Er mußte reden. Umringt von Journalisten, brach es aus dem Hertha—Manager heraus, was ihm schon so lange auf dem Herzen zu liegen schien. Niemand hat Hertha lieb. In Berlin hat man keine Zeit, eine Mannschaft aufzubauen, die Zuschauer sind verwöhnt und wollen nur Erfolge sehen. Aus dem Osten kommt auch keiner, weil die andere Probleme haben. Die Stadtpolitiker zeigen dem Verein die kalte Schulter und auf die Wirtschaft ist er gar nicht gut zu sprechen. „Die haben immer noch diese Subventionsmentalität. Ich habe über 120 Unternehmen angeschrieben. Die Ausreden müssen sie sich mal durchlesen. Nichts tut sich da. Keine Unterstützung. Das ist die nackte Wahrheit.“ Fünf oder gar zehn Millionen Mark hätte er gern für eine Bundesligamannschaft ausgegeben, aber die wären eben nicht dagewesen. Spätestens am Samstag dürfte Wolter klargeworden sein, daß er daher ein Zweitligateam hat und Hertha sich nur zu einem Kurzbesuch in der ersten Bundesliga aufhält. Es sei denn, daß noch etliche Wunder auf dem Konto und dem Rasen geschehen.
Das Spiel in Bochum zeigte, wie weit Hertha selbst vom murkeligen Bundesligadurchschnitt entfernt ist. Auch wenn Bochums Trainer Reinhard Saftig hinterher meinte, daß Hertha stärker gewesen wäre als in der Vorwoche beim 0:1 gegen Düsseldorf, versetzte ihn eher seine eigene Mannschaft in Aufregung als der Gegner. Nachdem sie Hertha in der ersten Viertelstunde fast überrannt hatten, ließen sich die Bochumer vom seltenen Gefühl völliger Dominanz einlullen. So kassierten sie auch bei der ersten Gegenwehr der Hertha nach 33 Minuten den Ausgleich. Uwe Rahn, der Berliner Spieler, der überhaupt auffiel, traf. Auch wenn Kohn kurz darauf die Führung erzielte, maulten die Zuschauer jedoch über die wenigen Tore, die der VfL aus den etlichen Chancen gegen Herthas unorganisierte Abwehr erzielte. Richtigen Spaß hatten sie eigentlich erst, als Torwart Junghans der Freistoß von Legat zum 3:1 unter dem Körper durchrutschte. Eifrig schmähte die Ostkurve den Berliner Torwart, dessen Ruf als vermeintlicher Fliegenfänger im Tor von Schalke 04 im Ruhrgebiet nie verblasst ist.
„Komm, Mike, weiter, weiter!“, rief Trainer Werner Fuchs. Aber es war nur noch eine Minute zu spielen, und Mike Lünsmann hörte nicht. Vielleicht dachte er sich auch, daß Fuchs kaum sein Chef bleiben würde. Da segelte doch noch ein Ball in den Bochumer Strafraum. Christian Herrmann würgte seinen Gegenspieler zu Boden. Schiedsrichter Gangkofer pfiff Elfmeter und in der Kurve zerplatzte ein Knallfrosch. Die Hooligans begannen verfrüht mit dem, was sie die dritte Halbzeit nennen, und Kruse verwandelte zum Anschlußtreffer. Hertha hatte noch 60 Sekunden, als Torsten Legat die Zeit zum 2:4-Endstand nutzte. Genau in diesem Moment muß es Horst Wolter wie ein Schlag getroffen haben: Niemand hat Hertha lieb. Christoph Biermann
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