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Sechs Minister unter Stasi-Verdacht

■ Der Prüfungsausschuß der Volkskammer soll über eine Liste mit 68 Namen von Stasi-Mitarbeitern verfügen/ Beschuldigungen gegen den Umweltminister weiter untermauert/ Eppelmann weist Vorwürfe entrüstet zurück/ Stasi soll in Erfurt noch aktiv sein

Berlin (taz) — Die Geburtstagsfeier am kommenden Samstag ist Klaus Reichenbach, Minister im Amt des Regierungschefs de Maizière, gründlich versaut. Zusammen mit fünf weiteren Noch- und Ex-Ministern steht der 55jährige Landesvorsitzende der CDU in Sachsen seit dem Wochenende im Verdacht, für die Stasi gearbeitet zu haben. Neben Karl-Hermann Steinberg (CDU), der bereits am Donnerstag als inoffiziller Mitarbeiter der Staatssicherheit genannt wurde, sollen nun auch Abrüstungs- und Verteidigungsmiister Rainer Eppelmann (DA), Wohnungsbauminister Axel Viehweger (FDP), Ex-Wirtschaftsminister Gerhard Pohl (CDU) und Forschungsminister Frank Terpe (SPD) in der Vergangenheit der Stasi zugearbeitet haben. Darüber hinaus soll der Prüfungsausschuß der Volkskammer über eine Liste verfügen, die 68 Namen von Abgeordneten mit Stasi- Vergangenheit anführt.

Als erste Fraktion reagierte die SPD. Parteichef Wolfgang Thierse wurde nach eigenen Angaben noch in der Nacht zum Freitag vom Untersuchungsausschuß über den Verdacht gegen vier SPD-Abgeordnete unterrichtet. In einem Fall sei die Vermutung haltlos, sagte Thierse, ohne die Namen der Beschuldigten zu nennen. Zwei weitere seien lediglich im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit inoffizielle Mitarbeiter der Stasi gewesen. Sie hätten aber keine materiellen Zuwendungen erhalten. Gravierend schien den Sozialdemokraten nur ein Fall: Wegen des Verdachts auf eine Zusammenarbeit mit dem allumfassenen Spitzelapparat wurde ein Abgeordneter aus der Fraktion ausgeschlossen.

Am härtesten dürfte der Stasi- Vorwurf den amtierenden Abrüstungs- und Verteidigungsminister Rainer Eppelmann treffen. Der Vorsitzende des „Demokratischen Aufbruchs“, einer der Sprecher der Bürgerrechtsbewegung bei der Wende und prominenter Aktivist der ersten Stunde, wies die Anschuldigungen am Rande des Deutschlandtages der Jungen Union in Leipzig empört als „erstunken und erlogen“ zurück. Eppelmann forderte seine baldige Rehabilitierung, da der Vorwurf für ihn „politisch tödlich“ sein könnte. Enttäuscht sei er, daß ihm der frühere Regierungsbeauftragte zur Stasi- Auflösung, Werner Fischer, nicht Gelegenheit gegeben habe, sich zu dem Vorwurf zu äußern.

Werner Fischer hatte aber nur Umweltminister Steinberg namentlich angeführt und von drei weiteren Ministern mit Stasi-Vergangenheit gesprochen. Die Namen Viehweger, Pohl und Eppelmann wurden am Wochenende von der 'Berliner Zeitung‘, die von Reichenbach und Terpe von der 'Bild am Sonntag‘ ins Gespräch gebracht. In der Folge bestätigte Fischer die Angaben der 'Berliner Zeitung‘, ebenso Berichte, wonach insgesamt 68 Angeordnte auf einer Liste des Prüfungsausschusses verzeichnet sind. Es gebe, so Fischer, noch „weitere Namen“. Abgesehen von Umweltminister Steinberg wollte der frühere Regierungsbeauftragte aber nicht ausschließen, daß die Genannten nur als Opfer in den Akten der Stasi geführt werden. Im Fall von Umweltminister Steinberg legte Fischer in einem Fernsehinterwiew nach: Für dessen Stasi-Tatigkeit gebe es mittlerweile „viele neue Beweise“.

Die stellvertretende SPD-Vositzende Herta Däubler-Gmelin hat sich nun dafür ausgesprochen, alle 144 DDR-Abgeordneten vor ihren Einzug in den Bundestag auf ihre Stasi-Vergangenheit hin zu überprüfen. Im Gegensatz zu den Parteivorständlern der DSU, die am Wochenende dazu die Einrichtung eines gesamtdeutschen Ausschusses und damit einen Aktenzugang für westdeutsche Behörden forderten, will Däubler- Gmelin anstelle eines „Stasi-TÜV“ beim Bundestag „eine gründliche Prüfung durch den entsprechend Ausschuß der Volkammer“.

Der Beauftragte für die Stasi-Auflösung in Erfurt, Michael Büchner, hat unterdessen weiteres Material zusammengetragen, das die Untätigkeit von Innenminister Diestel (CDU) belegen soll. Büchner, der vom Sonderausschuß der Volkskammer mit der Stasi-Auflösung in Erfurt beauftragt wurde, hatte bereits im Frühjahr vor laufender Kamera im DDR-Fernsehen dem Innenminister einen Zettel mit den Namen von Abgeordneten überreicht, die als Hauptamtliche für die Stasi gearbeitet hätten — „ohne, daß sich etwas geändert hätte“. Diestel habe es in letzter Zeit sogar abgelehnt, „mit uns zu reden“. Der CDU-Politiker wolle wohl als „letzter großer Beschützer der Staatssicherheit in die Geschichte der DDR eingehen“. In einen Interview mit dem Nachrichtenmagazin 'Spiegel‘ berichtet Büchner weiter, es gebe in der DDR noch „einzelne Struktureinheiten und individuelle Aktivitäten“ früherer Stasi-Mitarbeiter. In Erfurt treffe sich beispielsweise in einem konspirativen Objekt täglich eine Gruppe von etwa 60 früheren hochrangigen Stasi-Leuten, die nachrichtendienstlich arbeiteten. Für wen sie tätig werden, sei bislang aber nicht bekannt. Den Stasi-Auflösern im Bezirk würden weiterhin von früheren Stasis gefälschtes Material unterschoben, um ihre Ermittlungen ins Leere laufen zu lassen. Ein krasses Beispiel sei die Vernichtung aller Unterlagen der Erfurter Spionageabteilung im Frühjahr, mit der der Regierungsbeauftragte zur Stasi-Auflösung zu Zeiten der Modrow-Regierung den Schlüssel zur Auffindung von Auslandskonten der Stasi verschwinden ließ.

Welche Rolle Innenminister Diestel in den letzten Wochen der DDR noch spielen soll, war am Wochenende unklar. Sicher ist nur, daß er Spitzenkandidat der CDU in Brandenburg bleibt. Nachdem Ministerpräsident de Maizière die Verantwortung für die Stasi-Auflösung ausdrücklich dem Staatssekretär Eberhard Stief (FDP) übertrug, beeilte sich Regierungssprecher Gehler am Samstag zu erklären, Stief sei im Innenmnisterium „nicht direkt an Diestel angebunden“. De Maizière bestätigte dagegen die Ausführungen Diestels, wonach ihm die politische Verantwortung für die Stasi-Auflösung weiterhin obliegt. Wolfgang Gast

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