: Vernichtung von Akten bestätigt
Das DDR-Innenministerium bestätigt Vernichtung von Akten der Volkspolizei Es soll sich um „Duplikate“ handeln/ Innenstadtrat und Innensenator widersprechen ■ Von Malzahn und Gersson
Berlin (taz) — Die von der Ostberliner Polizeispitze zur Vernichtung freigegebenen Geheimdokumente sollen heute in eine Verbrennungsanlage nach Schwedt an der Oder (DDR) gebracht werden. Das berichtete gestern der Westberliner Innensenator Erich Pätzold (SPD). Wie die taz bereits meldete, hat der stellvertretende Polizeipräsident Ost-Berlins, Harmut Preiß, die Polizeidienststellen am 12. September angewiesen, bisher geheime Verschlußsachen in eigener Zuständigkeit zu vernichten. Gegen diese Aktion haben gestern Pätzold und der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) erneut heftig protestiert. Nach Informationen von Pätzold sind unter den Dokumenten auch Unterlagen, die die Zusammenarbeit zwischen der Stasi und der Polizei geregelt haben.
Das Innenministerium der DDR hat die Anweisung inzwischen offiziell bestätigt. Bei den zu vernichtenden Unterlagen handele es sich aber nicht um Originaldokumente, sondern um Duplikate. Die Originaldokumente befänden sich „nach wie vor vollständig und geordnet“ in der Registratur der Verschlußsachen beziehungsweise im Archiv des Präsidiums der Volkspolizei. Sie stünden damit dem künftigen Dienstherrn zur Verfügung.
Der Ostberliner Innenstadtrat Krüger bezeichnete die Stellungnahme des Innenministeriums als „zynische und hochgradig unpolitische Bewertung der Angelegenheit, die auf die Polizei zurückfällt“.
Der Sprecher des Innenstadtrats, Engelke, widersprach der „Duplikatstheorie“ des Innenministeriums vehement. In den Dienststellen befänden sich zum überwiegenden Teil zur Vernichtung freigegebene Unterlagen, die nicht doppelt archiviert worden seien. So würden dort beispielsweise Tonbänder gelagert, die Gespräche zwischen „operativen Kräften und operativen Leitern“ wiedergäben und unter anderem Aufschluß über Einsätze gegen Oppositionsgruppen geben könnten. Auch der gesamte Kommunikationsverkehr von Dienststelle zu Dienststelle sei nur einmal vorhanden. Der mache aber den größten Teil der täglichen Kommunikation aus. Auch die Erfassungskartei des „supergeheimen Sondernachrichtendienstes“ sei nur einmal vorhanden und nun zur Vernichtung freigegeben worden. „Jedes Vernichten eines dieser Dokumente ist die Vernichtung möglichen Beweismaterials. So etwas ist strafbar.“ Die Weisung sei so offen gehalten, daß sie alles möglich mache und alles zur Vernichtung freigebe.
Innensenator Pätzold hatte gegenüber der taz erklärt, er könne sich nicht vorstellen, daß Diestel von der Aktion nichts gewußt habe. Das DDR-Innenministerium übte daraufhin rüde Kritik an Pätzold: Er könne „seine Emotionen nicht zügeln“; offenbar seien „Rache und Haß die Geschenke des Herrn Pätzold zum 3.Oktober“. Die Retourkutsche von Pätzolds Sprecher: „Immer, wenn man Diestel auf die Spur kommt, fängt sein Ministerium an, mit Nebel zu werfen.“ Ob einzelne Akten verschwunden sind, könne nun nicht mehr überprüft werden.
Stabschef Hartmut Preiß und der Ostberliner Polizeipräsident Bachmann konnten auf einer gestern eilig einberufenen Pressekonferenz Zweifel daran nicht ausräumen, daß doch Originalakten vernichtet werden könnten. Zwar betonte Bachmann, daß nach seiner Kenntnis nur sogenannte Duplikate, Kopien etc. vernichtet würden, deren Originale im Polizeipräsidium archiviert seien und blieben. Ob bei den nachgeordneten Dienststellen die im Zuge der Vereinigung „entstehende Unordnung“ nicht doch dazu führen könne, „das etwas unter den Tisch fällt“, sei jedoch nicht auszuschließen. Auch werde er erneut prüfen, ob in den Dienststellen nicht doch Originale vorhanden seien, die vernichtet werden könnten. Er selbst schließe dies jedoch aus. Dennoch werde er jetzt die nachgeordneten Behörden inspizieren lassen und prüfen, ob dort so verfahren werde, wie es mit der bezeichneten Anweisung beabsichtigt worden sei, kündigte Bachmann an. Möglicherweise ergebe sich daraus die Notwendigkeit „einer Modifizierung oder Präzisierung der Regelung“, schränkte Bachmann ein. Außerdem habe er für den kommenden Mittwoch die Leiter der nachgeordneten Behörden zu einer Beratung in das Polizeipräsidium zitiert. Vertreter der Westberliner Behörden könnten „an dem gesamten Prozeß“, wie Bachmann sich ausdrückte, teilnehmen.
Bachmanns Vize und Stabschef Preiß, von dem die Anweisung stammt, konnte keine Angaben darüber machen, wieviele Unterlagen seit dem 12. September, dem Tag der Herausgabe der Anweisung, in den Dienststellen vernichtet wurden und um welche Unterlagen es sich handelt. Obwohl beide Vertreter der Volkspolizei immer wieder betont hatten, daß auch über die Anzahl und Art der vernichteten Akten und Unterlagen Nachweise im Archiv des Polizeipräsidiums gelagert würden, hat Preiß nach gestrigen Angaben noch keine Rückmeldung aus den angewiesenen Volkspolizeidienststellen erhalten.
Der Streit zwischen Pätzold und Diestel entwickelt sich indes mehr und mehr zum Kleinkrieg. Innensenator Pätzold hat Innenminister Diestel am vergangenen Wochenende brieflich aufgefordert, „im Fall Bachmann Konsequenzen zu ziehen“. Das DDR-Innenministerium verweigerte jedoch die Annahme des Schreibens. Schon jetzt gilt als ausgemacht, daß sich Bachmann, der schon zu Honeckers Zeiten in der Berliner Polizeispitze saß, nach dem 3. Oktober um einen neuen Job kümmern muß.
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