: Buße mit dem Stöckelschuh
Einmal im Jahr ruft Irlands heiliger Berg zur Buße — und zehntausende von SünderInnen machen sich auf die Socken ■ Vom Croagh Patrick R. Sotscheck
Der kleine Ort Murrisk in der westirischen Grafschaft Mayo ist einmal im Jahr schon bei Morgengrauen hoffnungslos verstopft, immer dann, wenn die Sündigen zur Buße gerufen werden, und den Croagh Patrick erklimmen sollen, Irlands heiligen Berg. Am letzten Sonntag im Juli ruft der Berg, und mit 60.000 Pilgern ist immerhin ein kleiner Teil von Irlands SünderInnen auch zur Stelle.
Zur Feier des Tages ist selbst beim schweißtreibenden Aufstieg auf den 753 Meter hohen Croagh Patrick Alkohol verpönt — schließlich geht es um Buße. Kinder bieten prosaische Limonade zum Kauf an, die sie mit Lasteseln hochtransportiert haben. Je höher man steigt, desto teurer werden die Getränke. Sehr irdisch, dieser heilige Berg. Während eine Dose Cola am Fuß des Berges noch fünfzig Pence kostete, muß man auf dem Gipfel bereits ein Pfund anlegen.
Der Aufstieg ist mühsamer als erwartet. Als der Pfad nach halber Strecke schmaler wird, ist das Gedränge beängstigend, die ersten Verletzten werden auf Tragbahren gen Tal geschleppt. Auf dem oberen Teil des Weges wird endgültig deutlich, warum der Aufstieg als Buße gilt: Der Pfad wird zu einer steilen Halde aus Quarzitgeröll, das sich unter den Schritten der Pilger löst und kleine Steinlawinen verursacht. Viele SünderInnen haben sich verschärfte Buße auferlegt: Sie erklimmen den Berg barfuß und ziehen eine Blutspur hinter sich her. Andere tragen Sandalen oder Stöckelschuhe — die IrInnen sind kein Bergvolk.
Dieser Patrick, Irlands Schutzpatron, soll im Jahr 441 auf dem Gipfel des Berges 40 Tage gefastet und Pläne für die Christianisierung der Insel geschmiedet haben. Zum Zeitvertreib trieb er die Schlangen ins Meer — bis heute hat sich keins der fußlosen Kriechtiere wieder in Irland blicken lassen. Ebenso erfolgreich setzte er später dann seine Missionsgelüste um. Patrick war um 405 als Sklave der Kelten auf die Grüne Insel gekommen. Sechs Jahre später gelang ihm jedoch die Flucht nach Großbritannien, wo er die Priesterwürde erwarb. Erst 432 kehrte er nach Irland zurück, gründete Kirchen, berief Priester und Bischöfe. Soweit die Legende. Geschichtsschreiber sehen seine Rolle etwas nüchterner. Der Historiker MacNiocaill glaubt, daß Patrick lediglich einer von vielen Missionaren des fünften Jahrhunderts war. Allerdings war er der einzige, der seine Aktivitäten schriftlich dokumentiert hat. Über sein Todesdatum sind sich die Historiker nicht ganz einig, der „Geburtstag“ ist jedoch über alle Zweifel erhaben: Der 17. März, heute irischer Nationalfeiertag, von IrInnen in der ganzen Welt mit Umzügen und Trinkgelagen begangen. In Chicago wird an diesem Tag der Fluß und sogar das Bier grün eingefärbt.
Die Aussicht vom Gipfel entschädigt für drei Stunden Kletterei. Im Norden blickt man auf Clew Bay mit ihren vielen kleinen Inseln. Zur elisabethanischen Zeit hat hier die Piratenkönigin Grainne Mhaol (Grace O'Malley) die Gewässer unsicher gemacht. Südlich kann man bei gutem Wetter bis zu den Twelve Bens in Connemara sehen. Doch die Gläubigen haben die Strapazen nicht auf sich genommen, um die Landschaft zu genießen: Das Gipfelkreuz ist eine Kapelle, wo an diesem Julisonntag alle halbe Stunde eine Messe stattfindet. Der Priester sei mit dem Hubschrauber zum Gipfel geflogen, wird gemunkelt. An der rechten Seite der Kapelle stehen die Menschen zur Kommunion an, an der linken zur Beichte. Fast alle sind mit einem Rosenkranz bewaffnet.
Die IrInnen galten schon immer als pilgerfreudig. Die Motive sind dabei unterschiedlich. Theologie- Professor Enda McDonagh aus Maynooth sagt, eine Pilgerfahrt sei ein Massenerlebnis, bei dem Hierarchien vorübergehend verschwinden können. Für viele junge Leute spielt sicher auch der Arbeitsmangel und die Armut in der Heimat bei der Entscheidung eine Rolle, als Mönche und Nonnen in den Missionarsdienst einzutreten. Pauschalreisen inklusive Sündenvergebung nach Rom, Lourdes und Fatima sind noch immer regelmäßig ausgebucht.
Hell's Angels als Gotteszeugen
Wunder geschehen in einem Land, in dem die Bevölkerung zu über 95 Prozent katholisch ist, auch heutzutage noch. 1985 begannen die Marienstatuen in ganz Irland plötzlich, sich zu bewegen. Das Schauspiel wurde nicht nur von gläubigen Katholiken wahrgenommen, sondern auch von Atheisten, Kommunisten und — Hell's Angels.
Glaube versetzt Berge — und Goldgräberfieber nicht weniger. Bodenproben am Croagh Patrick haben ergeben, daß der Berg Edelmetall von Milliardenwert enthält. Flugs erwarb die staatliche finnische Bergbaugesellschaft Outokumpu die Schürfrechte, die sie auch bereits für den Pelkosenniemi, den heiligen Berg der Lappen, besitzt. Doch der Abbau mit Zyanid als Trennmittel hätte Berg und Gewässer ruiniert. In letzter Minute gelang es Umweltgruppen mit kräftiger Unterstützung der katholischen Kirche, das Projekt in Irland zu verhindern.
Doch kaum war die Gefahr gebannt, da droht dem Berg neue Unbill: Eine Schweizer Gesellschaft will laut Zeitungsberichten eine Seilbahn zum Croagh Patrick bauen. Die Pläne sind sofort auf Widerstand gestoßen. Frank Durcan, Bezirksrat in West-Mayo, sagt: „So etwas Verrücktes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Das zählt doch nicht als Buße, wenn man in der Gondel auf den Berg fährt.“ Beim Abstieg müssen die Pilger noch mehr büßen. Viele rennen einfach los und können in dem Geröllfeld nicht mehr bremsen. Dabei reißen sie alle um, die im Weg stehen. Die Malteserkreuzler, die mit den Tragbahren kaum noch nachkommen, raufen sich die Haare. „Bis vor ein paar Jahren begann der Aufstieg schon um Mitternacht“, erzählt einer von ihnen. „Weil es aber zuviele Todesopfer gab, ist das inzwischen verboten.“ Wer den Berg unbeschadet bezwungen hat, kühlt zunächst die müden Füße in der Clew Bay und danach die trockene Kehle im Pub.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen