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ZITSCH ist überall

■ Neues Werk des Komponisten Hans-Joachim Hespos uraufgeführt

Mittwochabend. Eine lange Schlange begehrt pünktlich vor Konzertbeginn Einlaß in die Kunsthochschule am Wandrahm, angekündigt ist die Uraufführung von Hans-Joachim Hespos‘ „ZITSCH — Ereignisse für Ensemble in pleforianischer Stimmung“.

Kaum jemand beachtet den Mann am Clavichord, der in stiller Konzentration hier und da am Instrument pocht, zupft und herumnestelt, während man sich seinen Platz sucht und zurechtsetzt.

Ein typisch spöttischer Fingerzeig des in der Nähe von Bremen, bei Ganderkesee lebenden Komponisten: Alle sind rechtzeitig zur Stelle und doch ausnahmslos zu spät gekommen, denn „ZITSCH“ hat längst angefangen.

Aber diese Geste beinhaltet in nuce bereits den Verweis auf etwas, das im Verlauf des Stückes noch viel deutlicher wird: unsere verstümmelte Wahrnehmung.

Ohne Erbarmen entwickelt Hespos ein Szenario, in dessen Verlauf bald in allen vier Ecken des Raumes musiziert wird. Das „(an)-streichquartett“ traktiert mit Pinseln und Quasten eine Leinwand, vier Sängerinnen jaulen Musik von Händel und Donizetti, ein Geiger fidelt Mozart, eine Pianistin und der Clavichordspieler dümpeln unaufhörlich an ihren Instrumenten.

Über fast die gesamte Zeit schiebt eine in Trance befindliche, unansprechbare Person sich wie debil durch die Zuhörerreihen, ein anderer Akteur begrüßt immerzu auf abscheulich kumpelhafte Weise einzelne aus dem Publikum. Später dann hopst einer, sich gänzlich idiotisch gebärdend, im Raum umher.

Man muß nicht erst lange nachdenken, um zu bemerken, das „ZITSCH“ kontinuierlich stattfindet, jeden Tag, permanent sich wiederholend, überall und unter unser aller Mitwirkung. „ZITSCH“ ist Wirklichkeit.

In gut vierzig Minuten präsentiert Hespos den Terror der Reize des Alltags, eines Alltags, dem niemand mehr gewachsen ist. Die Omnipräsenz einer pluralen Kultur, nach ihrem Umschlag in die Vergewaltigung der Sinne. Nur „Abschalten“ scheint hier einen Ausweg zu bieten, aber: kein Gedanke daran — erleben wir hier doch Kunst.

Auf exakt diese Erfahrung hin ist „ZITSCH“ angelegt: sich des Augenblicks bewußt werden, in dem wir uns täglich in die wahrnehmungsverkrüppelte gigantische Masse der „Abschalter“ einreihen.

H. Schmidt

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