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Die Demarkationslinie im Äther

Griechisches und türkisches Fernsehen auf Zypern  ■ Von Klaus Hillenbrand

Um 14 Uhr laufen die englischsprachigen Nachrichten bei RIK, dem staatlichen Rundfunksender der Republik Zypern. Da wird von Studenten berichtet, die illegal von den Besatzungsbehörden des Nordens ergriffen und in den Knast gesteckt wurden, nur weil sie von ihrem Recht Gebrauch machten, in Nikosia spazierenzugehen. Die Regierung protestiert und die Studentenverbände kündigen Demonstrationen an.

Um 14.45 Uhr laufen die englischsprachigen Nachrichten bei BAYRAK, dem staatlichen Rundfunksender der nordzypriotischen Phantomrepublik. Da wird von Studenten berichtet, die illegal und ohne Genehmigung die Grenzen der Türkischen Republik Nordzypern verletzt hätten und jetzt auf ihre gerechte Strafe warten würden.

Die Studenten sind seit ein paar Wochen wieder frei. Ob sie sich strafbar gemacht haben, berührt eine zentrale Frage im kalten Krieg von Nikosia. Im türkisch besetzen Teil Zyperns behauptet man, ein eigener Staat mit eigenen Grenzen zu sein. Die Republik Zypern und der Rest der Welt sehen das anders: für sie ist der „Staat“ dort ebenso illegal wie seine Grenzen, sein Parlament — und sein Radio.

Seit türkische Truppen vor mehr als 16 Jahren in einer Invasion den Nordteil Zyperns eroberten und sich dort häuslich einrichteten, tobt auf der Insel der Ätherkrieg. Die Cyprus Broadcasting Corporation (CyBC oder auf griechisch RIK) kämpft täglich gegen die Besatzer und für die Rückkehr der geflüchteten griechischen Zyprioten. BAYRAK ist Sprachrohr der Machthaber im Norden und wird nicht müde, die Heimtücke der Zyperngriechen anzuklagen und die Weisheit des eigenen „Präsidenten“ Denktasch zu loben. Von Entspannung keine Spur. Mit sehnsüchtigen Blicken verfolgten die Zyprioten im letzten Herbst die Öffnung der Berliner Mauer im eigenen TV: bei ihnen zieht sich die undurchdringliche Demarkationslinie weiter quer durch die Hauptstadt.

Im eigenen Land treibt der Ätherkrieg seltsame Blüten. Obwohl ein Dreh am Knopf genügt — für keine der beiden Seiten existiert der andere Kanal. In der Republik sind Programmhinweise auf die Sendefolge des Feindes ebensowenig zu finden wie die Sendefolge von RIK in den Gazetten des besetzten Teils. Trotzdem besteht bei beiden Sendern die stille Hoffnung, einzelne Verbesserliche ließen sich auf Ton und Bilder von der anderen Seite ein. RIK strahlt regelmäßig Nachrichten auf türkisch aus und BAYRAK bemüht sich in griechisch und holperigem englisch, die Griechen und die Welt von der Glorie ihrer Bananenrepublik zu überzeugen. Da aus begreiflichen Gründen keine verläßlichen Umfragen zu diesem Problem existieren — selbst unzuverlässige gibt es nicht — kann nur anhand ausgewählter Besuche in diversen Wohnzimmern geschätzt werden, wer da die Oberhand behält — die Türken nämlich. Womit wir bei den Inhalten der Sendeanstalten wären.

Das TV-Programm von RIK — es gibt nur einen Kanal — zeichnet sich durch seine hervorstechende Schläfrigkeit aus. Gut abgehangene C-Filme amerikanischer Produktion wechseln mit englischen Seifenopern. In letzter Zeit gibt es allerdings einige Lichtblicke, als der Sender sich entschloß, britische BBC- Eigenproduktionen zu übernehmen. Bei den Nachrichten kann in der Welt eigentlich so ziemlich alles passieren — das Zypern-Problem bleibt eisern die erste Meldung, selbst wenn da nun wirklich gar nichts passiert ist (was die Regel ist) [gar nicht so unähnlich wie bei ARD&ZDF, säzzer]. Die Staatstreue von RIK ist nicht weiter verwunderlich, weil der Sender in Staatsbesitz ist. Das Sendungsbewußtein des Senders bewirkt bei inländischen Zuschauern gähnende Langeweile und bei ausländischen Beobachtern starke Zweifel am Wahrheitsgehalt häufig einseitiger Produktionen. Manche Filme haben im Raster von gut und böse keine Chance: Kritische Zypern-Dokumentationssendungen gab es zwar schon im ZDF und bei der britischen BBC zu sehen, nicht aber im eigenen Land. Statt dessen darf sich das Publikum alltäglich an den Bildern ihrer politischen Repräsentanten ergötzen, die im Fernsehen verlautbaren können, so viel sie auch wollen. Langjährigen leidgeprüften Augenzeugen ist immerhin aufgefallen, daß die visuelle Präsenz des Präsidenten seit dem Machtwechsel von Kyprianou zu Vassiliou vor ein paar Jahren deutlich verringert wurde.

Das kann man vom zyperntürkischen BAYRAK nicht gerade behaupten. Ihr verfettetes Staatsoberhaupt mit Hamsterbacken unter den listigen Äuglein ist gar nicht hinwegzudenken, und eigentlich würde es niemanden wundern, wenn der Mann auch noch als Ersatz für fehlende Reklame eingeblendet würde, auf daß sich das Volk so richtig sattsehen kann. BAYRAK ist ähnlich abhängig von der Regierung wie Thomas Gottschalk von den Einschaltquoten: vollständig. Nachrichten sind mit Staatspropaganda identisch. Dafür verfügt der türkische Sender gleich über zwei Kanäle und kann zusätzlich aus dem reichen Fundus türkischer Seifenopern schöpfen. Den medialen Konkurrenzkampf gewinnt BAYRAK dennoch, und zwar immer mittwochs. Dann wird ein britischer oder amerikanischer Feature- Film ausgestrahlt. Auch ohne Programmankündigung wechseln deswegen griechische Zyprioten zur Wochenmitte zu Tausenden zum Feindessender.

Über Informationsmangel aus dem Äther brauchen sich die Zyprioten dennoch nicht zu beklagen. Für die britischen Soldaten, die sich in den autonomen Enklaven Ihrer Majestät von Nordirland erholen und auf den Golf-Krieg vorbereiten, sendet BFBS auf zwei Radio-Kanälen und einem im TV. Radio Monte Carlo dudelt von einer zypriotischen Relais-Station gen Mittleren Osten. Wer es unbedingt will, kann sich mit verstärkter Antenne den Qualen syrischer und türkischer TV-Stationen hingeben. Auch Irak, Iran und der Golf sind nicht weit, weswegen eine Heerschar internationaler Agentur- Journalisten in Nikosia Tag für Tag in abgedunkelten Räumen hockt, die Propaganda-Shows aus der Krisenregion abhört und anschließend, auf Nachrichten-Format zusammengekocht, in der Welt verbreitet. Meist war bei der News-Jagd allerdings schon einer schneller: die gute alte Tante BBC und Middle-East-Korrespondent Tim in Nikosia. London sei Dank, BBC World Service hält Zypern die Stange und sich selbst eine Relais-Station auf der Mittelmeerinsel.

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