: Möbel von der Stasi
Gesehen in Schwerin ■ Von Ursula März
Der Kaufmann aus Hamburg hat in Schwerin sein Glück gemacht. Hat gut gekauft und billig. Mit Behagen in der Miene streichelt er die Stuhllehnen wie den wasserfesten Scheitel eines Ältesten, der das Vaterherz mit Stolz erfüllt. Die Möbel, die er soeben gekauft hat, werden in seiner Wohnung in Hamburg zwei Räume mit Vornehmheit ausfüllen, das Wohnzimmer und das Eßzimmer. Sechzehn Möbelstücke, in einem Stil, den man Chippendale nennen kann, für 10.000 Mark. „Kamman ja nich meckern nä, isn guter Preis nä.“
Der Mann aus Hamburg ist mit seinem Kauf im historischen Sonderangebot schon so eins, daß er auf die Frage, ob ihm wegen der Herkunft der Möbel aus dem Inventar der Stasi nicht mulmig sei, nicht sich, sondern die Möbel verteidigt. „Sieht man denen doch nicht an, wo die standen nä, tadellose Ware nä.“ Er meint die dunkelroten Samtpolster und er hat recht. Ihre politische Vergangenheit hat auf den Möbeln keine Spur hinterlassen. Alles so gut wie nagelneu, kein Fleck, keine abgeschabte Stelle, keine Vergilbung. Viel kann die Stasi, Bezirk Schwerin, da nicht gesessen haben. Das Chippendale-Ensemble hat ihrer Phantasie vom Exquisiten gedient, nicht ihren konspirativen Mahlzeiten. Der Kaufmann aus Hamburg will diese Ordnung, wenn er die Möbel in der kommenden Woche mit dem Lastwagen von Mecklenburg nach Hamburg transportiert hat, beibehalten. „So für jeden Tach sin die nich nä. Aber man brauch was Repräsentatives nä.“
Der Verkauf der Stasi-Erbschaft ist angesetzt an einem Samstagmorgen um neun Uhr. Nahe dem kleinen Ort Rampe, geschützt von schöner Seenlandschaft, hatte die Sicherheit des sozialistischen Schwerin ihre militärische Residenz, ein Komplex aus Kasernen, Wohnhäusern und Garagen, selbstversorgt mit Strom und Kantinenessen, selbstverteidigt mit Wachtürmen und Mauern. Im festlichen Zentrum, im großen Saal von Haus 3, endet vor abgedeckter Bühne der Apparat als Trödelmarkt.
Der Menschenandrang, Punkt neun Uhr morgens, ist groß, Andrang aus Ost und West, aus dem Osten eher unsichere Bummler, aus dem Westen eher entschlossene Käufer.
Die Kaufkräfte sind geteilt wie die Gefühle. Der Laune der Westdeutschen bekommt die Mischung aus Stasi-Geheimdienstgrusel und banalem Kommerz gut. Sie scheinen geradezu hochgestimmt, stimuliert. Ein Wochenendausflug an einen Ort, der gleichzeitig MöbelHübner und stalinistisches Disneyland darstellt, ist eine rundum geglückte Veranstaltung. Der politische Nervenkitzel wirkt auf den praktischen Sinn für den günstigen Einkauf wie ein belebender Schluck Krimsekt.
Die Routine im Umgang mit touristischer Unwirklichkeit zahlt sich nun aus. Die bundesrepublikanischen Grenzgänger handeln und feilschen wie auf einem arabischen Basar um weiße Schleiflackschränke und Terrassenmöbel aus Korbgeflecht. Nur, daß ihr Auftritt hier sicherer ist als auf irgendeinem anderen Markt der Welt. Sie bewegen sich mit dem Selbstbewußtsein, daß von diesem bedrohlichen Gelände für sie nie Bedrohung ausging und einer, aus dem Wissen, daß es anderen anders ging, bezogenen wohligen Gelassenheit.
Die Möbel sind einladend, mit der Absicht reiner Präsentation, aufgestellt. So mögen sie in Bungalows und Gästehäusern, Vorzimmern und Privaträumen der Stasi wohl einmal gestanden haben.
Die Sessel rechteckig zum Sofa und, bemessen für das bequem ausgestreckte Bein, vor dem Couchtisch, dahinter, in der Distanz, die ein mittelgroßer Raum erlaubt, die dazugehörigen Buffets und Schränke. Die naive Kaufhaus-Inszenierung macht es den Westbesuchern doppelt leicht, sich umzuschaun und umzutun. Sie haben, im Vergleich mit konsternierten und verwirrten Ostbesuchern, hier konkurrenzlos freien Zutritt zu den Gegenständen. Sie wippen prüfend in den Polstern, klimpern auf den Tasten eines Flügels und entladen Wissen über Möbel, Möbelstile, Möbelepochen.
Die Schweriner finden sich in dem Arrangement käuflicher Bequemlichkeit schwer zurecht. Da sie noch gestern um die größeren Stücke betrogen wurden, halten sie sich auch heute an die kleineren; da ein Lampenschirm, dort ein Geweih, vielleicht ein Durchlauferhitzer oder ein Spaten. Der Markt der dicken Möbel, Ausdruck und Restposten der Macht in einem, ist zu belastet, als daß sie frei wären. Sie betrachten die Eßtische für zehn Personen, die empfindlichen Vitrinen und die Schränke für vier Meter lange Buchreihen wie Zuschauer eines fernen Schauspiels. Das Erstaunen, „was die alles hatten!“, führt in den ersten zwei Stunden des Verkaufs — danach haben die Westler ohnehin das Meiste beschlagnahmt — zu Ausbrüchen von Unmut gegen das ganze Stasi- Schlußverkauf-Spektakel und dieser zu verbissenen Preiskämpfen.
Was kann und darf ein Korbsessel, einer von vieren, hergeholt von der Terrasse eines Stasi-Gartenhauses, kosten? Der Angestellte des Auflösungsstabes beharrt auf 100 Mark. Das Argument der erbosten Interessenten, daß der Korbstuhl doch gebraucht sei und nicht nur hüben, sondern auch drüben, selbst in neu, kaum mehr kosten würde, zieht bei ihm nicht. Es handele sich „um erstklassig erhaltene Ware“. Das Argument, „daß man doch bedenken muß, wo der Sessel herkommt“, zieht noch weniger. Da allein schon der öffentliche Verkauf, dem er nun preisgegeben ist, beweise, daß er politisch ein neues Leben beginne.
Die Schweriner suchen nach einer Lösung und machen, da sie sie an diesem Samstag morgen zwischen Protz und Kleinkram so schnell nicht finden, Vorschläge, was mit den Stasi- Möbeln zu machen gewesen wäre.
Sie musealisieren und im Schweriner Schloß aufstellen, sagen die einen. Sie funktionalisieren und kostenlos caritativen Zwecken zukommen lassen, sagen andere. Sie zu Billigpreisen verschleudern, um wenigstens im Nachhinein und materiell ihr Prestige herabzumindern, sagen Dritte.
Wenn er das Geld hätte, sie zu kaufen, sagt ein Mann, fiele es ihm nicht schwer, sich die Stasi-Möbel in seiner Wohnung als persönlichen Besitz zu eigen zu machen, „es sind eben Möbel, und das würde mich nicht interessieren, wo die herkommen“. Doch noch der Moment, in dem er soviel Unbedenklichkeit phantasiert, straft ihn Lügen. Unvermittelt bricht er, erbleicht, nach einem schnellen Blick durch den Saal, das Gespräch mit dem „Westbesuch“ ab, flüstert: „Ich glaub', wir werden schon beobachtet“ und macht sich aus dem Staub. Es ist nicht ganz einfach, die Gegenwart eines Ortes nicht mit ihrer Vergangenheit zu verwechseln und einen Möbelverkäufer nicht mit einem Spitzel, der nach Verrätern Ausschau hielt wie jener jetzt nach Kunden.
Was der Auflösungsstab der Staatssicherheit, Bezirk Schwerin, nach offizieller Liste am 25.August aus dem Inventar der Vergangenheit anzubieten hatte, war folgendes:
„— ein Eßzimmer (schwarz)
— Wohnzimmer
— Couchgarnituren mit Tisch
— ein Herrenzimmer (Schreibtisch, Schrank, Tisch, Kronleuchter — Möbel mit Schnitzarbeiten von 1934)
Desweiteren werden angeboten:
— Stahlblechschränke unterschiedlichster Größe zum Sonderpreis von 49,00 bis 99,00 DM
— Filz- und Gummistiefel (neuwertig)
— Büromöbel;
— Heißwasserspeicher/Durchlauferhitzer von 5 bis 30 Liter
— Gasdurchlauferhitzer
— Außenlaternen für Bungalow/Eigenheim
— elektrische Türöffner
— elektrische Fensterlüfter für Haushalte
— Telefonapparate
— diverse Spaten
— Schubkarre
— 17 Glasschaukästen mit mehreren Einschüben (insbesondere für philatelistische bzw. numismatische Ausstellungen geeignet).“
Sollte man aus der Versammlung ihrer restlichen Gegenstände die Haupttätigkeit der Stasi herauslesen, wäre diese gewesen: Hamstern und Horten. Einige Möbel waren von der Stasi nur angeschafft, nie gebraucht worden, und man holte sie für den Verkauf zum ersten Mal aus ihrer Plastikverpackung und aus Lagern mit funkelnagelneuem Zeug hervor.
Unverwendet und auf Vorrat gab es insbesondere Spaten und Stiefel; Stiefel von unverwüstlicher Natur; der Fuß aus unbeugsam festem Leder, der Schaft aus zentimeterdickem Filz; für den sozialistischen Gang der Geschichte weniger durch Mecklenburg als durch die Antarktis.
Das Prunkstück der Veranstaltung aber ist das „Herrenzimmer“, im Betriebsjargon der Stasi-Auflöser salopp und vertraulich „Göring-Möbel“ genannt. Es verdient diesen Titel nicht nur, weil es aus dem Jahr 1934 stammt, sondern auch, weil hinter dem eichgeschnitzten deutschen Schreibtisch, der Elefant im Möbelzoo, ein Mensch unter zwei Zentnern keinen Sinn macht. Bis zum Anfang dieses Jahres, bis zur Verhaftung von Generalmajor Werner Korth, wurde das monströse Herrenzimmer vom Leiter des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit, Schwerin, beherrscht. Nun hat es ein junger Schweriner für 12.000 Mark gekauft. Daß er keine Wohnung hat, in die das Unikum hineingeht, ist offensichtlich und daß er ohnehin nur als Strohmann eines bundesdeutschen Händlers fungiert, ist, den Gerüchten des Vormittags zufolge, wahrscheinlich.
Das Herrenzimmer wird, zum mehrfachen Preis und mit dick aufgetragenen Emblem, das in Schwerin so gut es ging vertuscht wurde, im Westen weiter verkauft werden, als das, was es ist: Möbel von der Stasi.
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