: Stasi-Liste in der Volkskammer
■ Was passierte hinter den verschlossenen Türen?/ Dramaturgie einer geheimen Debatte
Berlin (taz) — Mit der Aussperrung der Öffentlichkeit zog CDU-Fraktionschef Günter Krause am Freitagabend die letzte Karte. Er, Ministerpräsident de Maizière sowie die Fraktionsvorsitzenden von PDS und FDP wollten verhindern, daß die „Stasi-Fraktion“ in der Volkskammer namentlich bekannt wird. Die vier weigerten sich, die ihnen ausgehändigten Listen mit den Namen der Stasi-Mitarbeiter dem Volkskammervizepräsidenten Wolfgang Ullmann (Bündnis 90) zu übergeben. Doch Ullmann durchkreuzte den Plan, verlangte vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses eine neue Liste — und präsentierte diese demonstrativ den wütenden Politikern. Hinter verschlossenen Türen brüllten und tobten die Verlierer. Krause und de Maizière gaben sich erst geschlagen, als Ausschußmitglied Jochen Haschke (DSU) anbot: „Wenn Sie Spaß dran haben, Herr Ministerpräsident, sage ich Ihnen die Klar- und Decknamen in alphabetischer Reihenfolge vorwärts oder rückwärts, fraktionsweise, von Kategorie eins bis Kategorie sechs oder von Kategorie sechs bis eins auf.“
Schließlich verlas Ullmann 56 Namen von Abgeordneten und Ministern, die in den Stasi-Karteien geführt wurden. Nur 16 dieser 56 können als eindeutig entlastet angesehen werden. Neun CDU-Abgeordnete haben sich bisher jeder Überprüfung widersetzt. Die 15 Namen der als enttarnt geltenden informellen Stasi-Mitarbeiter öffentlich zu machen, lehnte das Parlament ab. Die Namensliste wird angeführt von CDU und FDP. De Maizière räumte am Abend ein, der Prüfungsausschuß habe ihn bereits am 13. September über die Verdachtsmomente gegen die Kabinettsmitglieder Viehweger, Preiss und Steinberg informiert. Ohne Namen zu nennen, deutete de Maizière an, daß er Preiss beurlaubt habe. Viehweger rührte sich trotz Empfehlung des Ausschusses bis Freitag mittag nicht vom Platze. Dann trat er — endlich — zurück. Steinberg ist bis heute im Amt.
Unterdessen beendeten die 24 BürgerrechtlerInnen am Freitag nach knapp drei Wochen ihren Hungerstreik und die Besetzung der Berliner Stasi-Zentrale. Berichte und Kommentar zur Stasi-Sitzung SEITE 5 UND SEITE 10
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