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Über die Geschichte der Polen mit den Deutschen

■ Polen ist zu der Hoffnung verdammt, daß alles anders wird/ Von Adam Krzeminski, Redakteur der 'Polityka‘

Hat ein Ausländer das Recht dreinzureden, wenn ein Volk sich anschickt, sich eine Verfassung zu nehmen, zu geben, oder sich geben zu lassen? Wenn ich mich hier dennoch äußere, dann deswegen, weil unsere gemeinsame deutsch-polnische Geschichte nicht nur für uns beide von Bedeutung ist. Diese Reibfläche erhitzte und erschütterte ganz Europa. Und das nicht erst 1939 oder 1918, sondern schon viel früher; im 18. Jahrhundert, als es uns Polen um eine Verfassung ging, die den bereits zweimal von Preußen, Österreich und Rußland zerstückelten polnischen Staat reformieren und retten sollte.

Am 3.Mai 1791 legten sich die Polen die in Europa erste schriftliche Verfassung zu, und kurz darauf schickten die Preußen und die Russen ihre Truppen Richtung Warschau. Die Russen taten das ihre, die Preußen guckten zu, wie der Traum vom aufgeklärten, stabilen polnischen Staat im Blut erstickt wurde. Finis Poloniae.

Das empörte die deutschen Romantiker und das gefiel ihnen. Es stillte ihre Sehnsucht nach dem Tragischen. Man schrieb Gedichte auf die abgesägten Freiheitshelden und bald fand man sich auf der Gegenseite. Die Polen setzten auf Napoleon, der ihnen den aus der europäischen Karte ausradierten polnischen Staat wiederbringen sollte. Die Deutschen auf die Befreiung vom „korsischen Ungeheuer“. Nach dem Wiener Kongreß 1815 wurden alle beide enttäuscht: die Polen haben mit dem Kaiser verloren, die Deutschen haben mit ihrem Sieg über ihn nicht viel gewonnen. Jedenfalls nicht die liberalen und demokratischen.

Gewonnen hat die Heiligenallianz — die Restauratoren des Gestrigen Tages aus Rußland, Preußen und Österreich — mit „Maulkorbgesetzen“, mit Bespitzelung, Zensur und gut besetzten Festungen. 1830 bäumten sich die Polen dagegen auf. Die — ironischerweise ziemlich liberale — Verfassung, die ihnen der launische Zar gegeben hatte, wurde stückeweise außer Kraft gesetzt. Bei ihrem Aufstand haben die Polen die Sympathien der deutschen Demokraten an ihrer Seite. Aber doch nicht der Regierungen! Die Preußen halfen abermals den Russen, einen cordon sanitaire um das kämpfende Polen aufzubauen, um polnische Gebiete vor den Aufständischen zu schützen und sie waren sichtlich erleichtert, als die Russen Warschau samt der neuen Verfassung zusammenschossen und besetzten.

Und wiederum bejubelte das andere, liberale und demokratische Deutschland die Polen. Und wiederum waren sie besungene Verlierer. Richard Wagner schrieb eine Ouvertüre „Polonia“, die Dichter dichteten Polenlieder. Aber im Buch der Polenlieder findet man nicht denjenigen, der ein paar Jahre später das Lied der Deutschen schreiben wird: über alles, und von der Maas bis zur Memel. Auch wenn es nicht ganz so schlimm gemeint war wie später verwirklicht wurde. Doch auf dem Schloß zu Hambach, wo die deutschen Liberalen von der freiheitlichen republikanischen Verfassung träumten, konnten sie noch mit den geschlagenen Polen singen und Reden halten. Dann aber erschien wiederum das preußische Militär und hat dem Jubelfest ein Ende gesetzt.

Als es aber sechzehn Jahre später tatsächlich um die Freiheit und republikanische Verfassung der Deutschen ging, 1848, in der Paulskirche, war das alte Bündnis der Freiheitssprecher hinüber. Es ging ja nicht mehr um Lieder und Fahnenschwenken, sondern um die nationalen Interessen und Grenzen. Und selbst die Liberalen sagen es nicht so gerne, daß sie zurückverlegt werden sollten. Noch im März 1848 konnten die Berliner die inhaftierten Polen aus dem Moabiter Gefängnis befreien. Einige Monate später, im Frankfurter Parlament, haben die Liberalen während der „Polendebatte“ die deutschen Machtpositionen vertreten und nicht die Freiheitsansprüche der Polen.

Deutschland, Deutschland über alles. Hier könnte man aus der Geschichte aussteigen. Doch das was nachher passiert, ist so spannend, daß wir alle immer noch daran kranken. Bismarck, mit den heutigen Vereinigern so manches Mal verglichen, spielte nicht nur mit fünf Bällen im europäischen Mächtezirkus, sondern auch mit der immer noch lebendigen Leiche Polens. Mal unterstützte er die Russen bei der Niederwerfung eines erneuten polnischen Aufstandes, mal drohte er ihnen, daß er die soeben Verscharrte auferstehen läßt und wie „heißes Eisen“ gegen sie ansetzt. Und den eigenen Leuten riet er: „Schlagt die Polen, daß sie am Leben verzagen.“ Und sie haben sie geschlagen, ihre polnischen Untertanen, zu den Menschen der zweiten Sorte.

Im ersten Weltkrieg ging es nicht um Polen, sondern um die Weltmacht. Aber das Desaster aller Möchtegern-Imperien in Mittelosteuropa hat unter anderem auch Polen die Freiheit zurückgegeben. Mit der Rückkehr der einst totgemachten, und dann totgesagten Nachbarn, die schwächlich und gar nicht so schön wie in den Polenliedern — dafür aber real — waren, war die deutsche Republik innerlich nicht einverstanden. Sie verbarg es auch nicht, obwohl ihre Verfassung nicht viel von den Grenzen 1914 sagte. Ihre Nachfolgerin, das Tausendjährige Reich, sprach von diesen auch nicht. Sie gaukelte sogar ein paar Jahre lang einen Nichtangriffspakt vor und die — so hieß es auch damals — „gutnachbarschaftlichen Beziehungen“, bis sie den Schafspelz abwarf und die Zähne bleckte. Ach was — bleckte. Sie benutzte sie tüchtig im schönen Einvernehmen mit ihrem roten Feind im Osten. Wenn es gegen einen schwachen Dritten geht, dann ist das Unmögliche möglich.

Der Friede nach Jalta und Potsdam 1945 war hart. Deutschland verlor den Raubkrieg und erhielt die Rechnung für den Völkermord. Und Polen gewann den Krieg nicht. Es wurde kleiner und nach Westen verschoben. Denn der „Teufelspakt“ Stalins mit Hitler von 1939 galt im Osten weiterhin. Millionen von Deutschen und Polen wurden von Ost nach West vertrieben und ausgesiedelt. Das frühere Ostdeutschland wurde zu Westpolen, so wie Ostpolen zur Westukraine und Westweißrußland wurde. Deutschland wurde geteilt in die Besatzungszonen, aus denen 1949 zwei ungleiche Staaten entstanden. Der eine erkannte die Grenze zu Polen schon 1950 im Görlitzer Vertrag an, ohne allerdings — und nicht nur dazu — von seiner Bevölkerung sonderlich legitimiert zu sein. Der andere deutsche Staat hatte zwar eine bessere Legitimität der freien Wahlen, dafür aber ließ er sich Zeit, mit den östlichen Nachbarn klarzukommen.

Wo Deutschland endet

Wie konnte es auch, wenn es sich nur „für eine Übergangszeit“ verstand, so steht es in der Präambel des Grundgesetzes, bis „die anderen Teile Deutschlands“ ihm beitreten werden. Welche aber, das wird in dem inzwischen berühmten Artikel 23 nicht gesagt: Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg usw. oder etwa Richtung Memel — Schlesien, Pommern, Ostpreußen? Nun, jetzt soll endgültig die Grenze anerkannt werden, die Präambel und Artikel 23 werden entfallen. Aber wer ist „Deutscher“ nach dem Grundgesetz? Der Artikel 116 gibt die Antwort: derjenige „wer die deutsche Staatsangehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat“. Tja, also ein Volksdeutscher aus dem schon vor dem Krieg polnischen Teil Oberschlesiens ist etwa keiner? Dafür aber jeder von hunderttausenden Mitgliedern der polnischen Minderheit im damaligen deutschen Teil Oberschlesiens, samt seinen Ehegatten und Abkömmlingen. Das ist ein Mittel der wundersamen Vermehrung der qualifizierten Deutschen in den letzten Jahren. Artikel 116 macht's möglich, daß nicht nur die authentischen Deutschstämmigen und Deutsche, sondern auch solche, die einen neuartigen „Arierpaß“ ergattert haben, zu Deutschen wurden. Das schreiende Wohlstandsgefälle schafft den Sog, Artikel 116 ist die Saugpumpe.

Aber es geht doch heute nicht um einzelne Paragraphen, um die juristischen Spitzfindigkeiten und Pferdefüße. Es geht um uns alle in einem Europa, in dem vereintes Deutschland schon vom menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Potential her die erste Geige spielen wird.

Die neue Mauer

Zugegeben. Es geht besser als befürchtet. Aber schlechter als erhofft. Befürchtet hat man, auch bei uns in Polen, daß nun die geballte Kraft des vereinten Deutschland sich gegen die schwächeren Nachbarn wenden wird. Was wir da von unserer Schwäche selbst in die deutsche Stärke hineinprojeziert haben, ist schwer zu sagen. Geärgert hat uns aber die nationale Erweckung, die die Minderwertigkeitskomplexe der braven DDR- Deutschen gegenüber ihren erfolgreichen West-Onkels an uns im Osten abladen ließ. Die siebzig Skinheads überwinden zwar die leichten Schlagbäume auf der Neiße-Brücke in Görlitz und marschieren ein nach Zgorzelec mit dem Gebrüll: „Hier ist alles Deutschland“ — und die allgemeinen Zeitungen für Deutschalnd schweigen sich darüber aus — aber weit mehr Görlitzer ziehen friedlich, obwohl lauter als früher, über die Brücke ostwärts, um auf dem „deutschen Markt“ billig Brot und Butter einzukaufen.

Die Polen nehmen diesen Einkaufstourismus gelassener hin als die Berliner, die den „Polenmarkt“ als ein Geschwür am gesunden Stadtbild ansahen. Diese Gelassenheit der Polen reicht aber nicht so weit, um die Reisebeschränkungen für sie nicht als diskriminierend zu empfinden. Die Mauer ist immer noch da in Europa — nicht in Berlin, sondern um die deutsche Botschaft in Warschau und an der Oder und Neiße. (...)

Wir haben uns nie sonderlich gemocht, die Polen und die DDR-Deutschen. Wir Polen durften mehr, haben es auch erzwungen, ihr DDR- Deutsche hattet mehr, habt es auch zum Teil erarbeitet, zum Teil habt ihr es gekriegt von denen, die die „menschlichen Erleichterungen“ mit dem „eingefädelten“ Geld erreichen wollten. Ihr hieltet euch auch für was Besseres. Es klingen uns noch die arroganten Worte während der ersten „Solidarnosc“-Zeit und während des Kriegszustandes in den Ohren: Die sollen lieber arbeiten anstatt zu streiken. Daß ihr heute die Werkzeuge von der Deutschlandfahne abtrennen könnt, verdankt ihr auch diesen Streikenden von damals. Daß ihr aber heute selber streikt, verdankt ihr der normalen Logik der harten Währung und der Ernüchterung, daß man doch manchmal auch den Rasen betreten muß, wenn man seine Lage ändern will.

Haben wir uns wirklich nie sonderlich gemocht? Doch. Wir haben euch auch bejubelt, als ihr genau vor einem Jahr diese Oder-Neiße Grenze nachts durchschwammt, um nach Warschau zu gelangen. Wir haben euch auch im Oktober bejubelt als ihr endlich mal die Angst vor dem Rasen überwunden und nicht nur Knüppel in Kauf genommen hattet. Auch beim Anblick der Mauerspechte im November haben wir uns gefreut. Und damit hat es sich. Dann kam das stumme Geschrei in Leipzig: Wir sind ein Volk, dreimal um die Altstadt herum und ab ins Bett, mit dem Operettenlied auf den Lippen: „So ein Tag so wunderschön wie heute“.

Wir haben euch so gemocht, als ihr kurze Zeit Mut und Phantasie hattet, als ihr zerbrechlich und einfühlsam, aufrecht und aufrichtig ward. Aber wir haben nicht geahnt, daß ihr es auf ganze drei Prozent bei den Wahlen bringt, daß die CDU die CDU ist, und das die SPD die SPD ist. Wir haben nicht geahnt, daß die „Helden des Rückzugs“, Modrow und Gysi, viel mehr kriegen als die Bürgerbewegungen.

Der Traum von einem schönen Deutschland ...

Und in den letzten Tagen? Man kann sich denken, daß die Deutschen nach dem 3.Oktober es erkennen werden, daß sie einen beträchtlichen Teil ihrer Probleme nicht alleine, sondern nur mit ihren östlichen Nachbarn lösen können. Wir brauchen euch, aber auch ihr braucht uns, falls diese Nachbarschaft keine Reibflächen geben soll. Unsere gemeinsamen Beziehungen sind gar nicht nur moralisch fundiert aus der unheilvollen Geschichte heraus, sondern auch aus den pragmatischen Interessen für die Zukunft, damit das Gefälle zwischen uns sich nicht folgenschwer weiter vertieft.

Man spricht hier aber in der letzten Zeit viel von der „deutsch-sowjetischen Nachbarschaft“, als ob wiederum der Rock näher wäre als das Hemd. Nichts gegen die guten deutsch-russischen Beziehungen — wenn man nicht vergißt, daß dazwischen Polen liegt. Das verlangt die europäische Arithmetik.

So ein schönes Deutschland träumt manch einer — vom Verfassungspatriotismus beseelt und nicht vom Patriotismus der D-Mark gesteuert, föderativ gebunden. So daß auch der schwächere, mickrige Teil sich nicht gegenüber dem beleibteren und offizienteren zu ducken bräuchte, ein Deutschland zu einem aufgeklärten Dialog — damit „was bleibt“ — fähig, ein Deutschland das keine Pranke zeigt, seine Grenzen auch in der Verfassung kennt, auch die seiner Übermacht gegenüber den schwächeren Nachbarn, und das die anderen nicht mit dem saloppen: „Alles Schrott, den Laden übernehmen wir“ begrüßt, sondern ihnen hilft, sich zu fassen und konkurrenzfähig zu werden. Das aber erfordert auch im Westen ein wenig vom „Heldentum des Rückzugs“, Rückzugs aus den eigenen Machtpositionen, etwa in der Verschuldung der Zweiten und Dritten Welt, des Technologietransfers und der Freizügigkeit, die man uns vor kurzem als Bonbon vorhielt, jetzt aber entzogen hat.

Wie singt Wolf Biermann? „Wer Hoffnung predigt, tja der lügt. Doch wer die Hoffnung tötet ist ein Schweinehund“.

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