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Taumeln wie ein Mönch auf Abwegen

■ »Carl Blechen · Zwischen Romantik und Realismus« in der Neuen Nationalgalerie

Schaurige Fabelwesen, betrunkene Mönche, der italienische Abendhimmel und schließlich die Dächer Berlins, doch Carl Blechen ist mehr als nur ein Künstler zwischen Romantik und Realismus. Die Neue Nationalgalerie feiert die Wiederentdeckung des Malers mit Werken aus Sammlungen Gesamtdeutschlands.

Ein Jahr nach dem Wiener Kongreß schrieb E.T.A. Hoffmann in seinem dämonischen Roman Die Elixiere des Teufels: »‘Schreckbar, grauenvoll bin ich dir erschienen, wenn du über dem offenen Grab ewiger Verdammnis leichtsinnig gaukeltest. Ich warnte dich, aber du hast mich nicht verstanden! Auf, nähere dich mir!‚ Der Mönch sprach alles dieses im dumpfen Ton der tiefen, herzzerschneidenden Klage; sein Blick, mir sonst fürchterlich, war sanft und milde geworden, weicher die Form seines Gesichtes. Eine unbeschreibliche Wehmut durchbebte mein Innerstes; wie ein Gesandter der ewigen Macht, mich aufzurichten, mich zu trösten im endlosen Elend, erschien mir der sonst schreckliche Maler. —

Ich stand auf vom Lager, trat ihm näher, es war kein Phantom, ich berührte sein Kleid; ich kniete unwillkürlich nieder, er legte die Hand auf mein Haupt, wie mich segnend. Da gingen in lichten Farben herrliche Gebilde in mir auf. — Ach! Ich war im heiligen Walde.«

Von der Geschichte des jungen Mönches, der aus der verbotenen Flasche trinkt und darob am Rande des Wahnsinns durch die Welt taumelt, immer verfolgt von einem mordenden Doppelgänger, von E.T.A. Hoffmanns Roman ist es nicht weit in die Welt von Carl Blechens Bildern. Auch hier finden sich einsame Mönche in herrlichen Landschaften. Sie ziehen als Pilgerer über den Schnee oder stehen, theatralisch gestikulierend, vor bühnenartig beleuchteter Felskulisse. Ein kleines Ölbild des Malers zeigt sogar Hoffmanns Helden, Pater Medardus, selbst. Mag sein, daß Blechen in der Figur des hochbegabten Kanzelpredigers seine eigene Existenz gespiegelt sah. Die Forschung geht sogar so weit, zwischen dem Elixier des Teufels, einem alten Wein und Blechens von Künstlerkollegen bezeugtem Alkoholismus Parallelen zu ziehen.

Zu Spekulationen hat die Biographie Carl Blechens verführt, seitdem der 1798 in Cottbus Geborene von den Kollegen und der Kritik wahrgenommen wurde. Sein Leben war kurz, es dauerte nur 42 Jahre, und war trotz der Anerkennung seiner Arbeiten von Akademien, gar dem preußischen König, trotz seiner zeitweiligen Tätigkeit als Bühnenmaler und Professor für Landschaftsmalerei von chronischem Geldmangel gekennzeichnet. Blechen beschloß sein Leben in »geistiger Umnachtung«, wie es in den Schriften über den Künstler immer heißt.

Sein Gesamtwerk bietet zusätzlichen Nährboden für allerlei Vermutungen. Zum einen gibt es da die romantischen, unheimlichen, gar ungeheuerlichen Geschichten, die Blechen in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in düsteren Ölfarben malte, wie die Dämonische Landschaft von 1826. Sie zeigt einen von schaurigen Fabelwesen umgebenen jungen Mann, der mit einem Gewehr auf eine lichte Frauengestalt am anderen Ufer des geheimnisvoll schimmernden Sees zielt. Im Hintergrund türmen sich dichtbelaubte Bäume, schroffe Felsen und dräuende Wolken auf. Das beklemmendst Geheimnisvolle an diesem Gemälde ist ein scheinbar zweckloses Steinhäuschen, das seine Erbauer in eine Felsspalte geklemmt haben.

Komisch konnte Blechen auch sein

Blechen hinterließ aber auch Studien, die in ihrer Farb- und Formgebung schon ins 20. Jahrhundert weisen. Der Abendhimmel über einer italienischen Ebene mit Äquadukt und zwei Pinien zeigt eine Ebene, die sich in tiefen Blautönen bis zu dem fernen Horizont wölbt. Dort ist soeben die Sonne versunken. Sie läßt am Himmel ein grünliches Gelb zurück, vor dem sich winzig die Silhouetten des antiken Bauwerkes und der beiden Bäume abheben, bevor sie sich für die Nacht verabschieden. Über der Landschaft schiebt sich eine mild türkisfarbene Wolkenschicht. Angesichts von soviel Ewigkeit ist der Betrachter verlockt, sich mit den Dingen auflösen zu wollen. Eine Wolkenstudie aus der gleichen Zeit geht noch weiter: Hier interessierte Blechen nur noch die Farbe. Unter dem in staubiges Gelb getauchten »lichtbewölkten Himmel« voll langgezogener Wasserdampffetzen in verschiedenen Grau- und Brauntönen ist in dem Quader mit der Halbkugel obenauf das »langgestreckte Gebäude mit Kuppel« kaum noch zu ahnen.

Dann gibt es noch jene Purzelnden Knaben, eine Bleistiftstudie um 1826 für das unvollendete Gemälde Auf der Eisbahn, zu dem der Blechen- Kenner Helmut Börsch-Supan meinte: »Das Genremotiv zerstört die elegische romantische Stimmung und bringt das Humoristische als eine Dissonanz in die Landschaft ein.« Komisch konnte Blechen also auch sein. In diesen seltenen Fällen zeigt er böse Späße: betrunkene Mönche zum Beispiel, die sich in ihrem Suff langgelegt haben.

Den Assoziationen zur Biographie erlegen

In der Neuen Nationalgalerie einigte man sich nun zum 150. Todestag des Malers auf eine vordergründig einleuchtende, dabei aber problematische Art, das so verschiedenartige Gesamtwerk unter einen Hut zu bekommen: Die Retrospektive Carl Blechen · Zwischen Romantik und Realismus ist den Assoziationen zur Biographie erlegen und nach dem Prinzip eines Künstlerromans aufgebaut. Im Mittelpunkt stehen die großen leuchtenden Gemälde, die Blechen scheinbar explosionsartig nach seiner Reise durch Italien (1828-29) anfertigte. In dem weiten, dem Sonnenlicht zugewandten Saal finden sich die berühmten Bilder wieder, in denen Blechen einen Ausgleich zwischen Licht und Schatten gesucht hatte: die Papiermühlen von Amalfi, das Glanzstück der Ausstellung, Der Park der Villa d'Este in Tivoli (1832), Der Bau der Teufelsbrücke (1835), der Park von Terni mit badenden Mädchen (1835) und die Auftragsarbeiten für Friedrich Wilhelm III., die Palmenhäuser von der Pfaueninsel bei Berlin. Betitelt ist die Abteilung ganz im Sinne des traditionellen Verständnisses vom Künstlerdasein mit Kurze Blüte 1830-35.

Der Weg vom Eingang dorthin soll eigentlich durch die Biographie führen; durch die Zeichnungen der Studien- und Reifezeit bis 1828, durch die Gemälde des Raschen Aufstiegs (1822-28) und die kleinformatigen Arbeiten, die Blechen während seiner Italienreise anfertigte. Durch das Hauptkabinett hindurch geht es dann buchstäblich zurück ins Dunkle. Späte Zeichnungen aus Berlin, der Mark und von einer Harzreise (1830-38) hängen in dämmrigen Ecken, und in einem gesonderten Raum: Im Schatten der Krankheit. Was mit der Beschwörung des Dämonischen begann, findet so in eben jener »geistigen Umnachtung«, wie auch der Katalog Blechens letztes Lebensstadium bezeichnet, seine vorbestimmte Vollendung. Die Biographie eines Künstlers, der für das Genie den Preis des Wahnsinns zahlt, ist perfekt.

Damit war die unter Leitung von Peter-Klaus Schuster arbeitende Konzeptionsgruppe wohl selbst nicht zufrieden. Ein methodischer Kunstgriff ergänzt deshalb die biographische Anordnung der 280 Arbeiten von Blechen, die in der Neuen Nationalgalerie erstmalig aus Ost- und Westbeständen zusammengetragen wurden. Die ganze nördliche Seite der Nationalgalerie ist den Gemälden und Studien von Constable, Menzel, Rethel, Corot, Delacroix, Fearnley, Eckersberg und und und gewidmet. In dem Vergleich von Blechens Werken mit denen seiner Zeitgenossen soll der Anspruch eingelöst werden, den Maler »zwischen Romantik und Realismus« zu zeigen. Der Einfluß von Johann Christian Claussen Dahl wird sichtbar, Fontanes Ausspruch von der Ähnlichkeit Blechens Bilder mit denen Böcklins verständlich. Der Bilderbuchromantiker Caspar David Friedrich findet sein Zitat in Blechens Gebirgsschlucht im Winter (1825), einer schaurigen, verschneiten Felslandschaft, in der sich die Eindrücke der beiden Künstler vom sächsischen Elbsandsteingebirge widerspiegeln. Doch anders als Friedrichs verweigern Blechens Arbeiten jede Art von Erlösung. Der Zugang auf die fernen Hoffnungsträger bleibt dem Betrachter verwehrt. In der Gebirgsschlucht versperren ein verkrüppelter Baum (neben einem Marienbildnis) und unüberwindbare Felsbrocken den Weg zu dem Haus am Ende der Schlucht. Die Verlorenheit des dort im Frost allein gelassenen Betrachters wird grenzenlos, je mehr er sich auf die Wärme und Geborgenheit versprechenden Fenster der Hütte konzentiert.

Mit dem »Realismus« hapert's

Das Nebeneinander von Blechens Italienbildern und denen seiner Zeitgenossen ist das Interessanteste an diesem Zusammentreffen. William Turners noch nicht impressionistische Lichtmalerei, die fast Ernstsche Abklatschtechnik vorwegnehmen will, ist der eine Pol. Der Brite sorgte mit einer Ausstellung in Rom für Furore und fand in Blechen einen Bewunderer. Wie bei Turner bringt dessen Sonne über dem Meer (1829) die Luft zum Vibrieren. Der andere Pol ist das detailgetreue Abmalen historischer Bauten der Kollegen. Mit deren lieblichen Bildern haben Blechens Wasserfälle von Tivoli außer dem Motiv nichts gemein. Bei ihm braust das Wasser härter den Fels hinunter, ordnet sich die Landschaft nicht zu einem Park. Statt dessen strecken sich erhaben ockerfarbene Felsen empor. Die meisten seiner unendlich lichtvollen Zeichnungen aus Italien bearbeitete Carl Blechen mit dem Pinsel, getunkt in Sepia, unter der die Bleistiftkonturen fast vollständig verschwinden. So tauchen die Straße, Häuser und Landschaftszüge ganz aus einem Kontrast von Licht und Schatten auf. Blechens Beitrag zum Kult der Freilichtmalerei, dem in Italien damals Künstler aus ganz Europa frönten, wurde wegweisend für kommende malende Generationen.

Mit dem im Ausstellungstitel versprochenen Realismus hapert es dann. Erst in den späten Berliner Bildern, daheim, im Blick aus dem Wohnungsfenster über die Nachbarschaft, findet sich der »Realismus«, der noch keiner ist: Dort drücken sich bescheidene Häuser in die Gemüse- und Wäschegärten. Blechen nahm sich allerdings die Freiheit, das südliche Licht zu importieren und über die Berliner Dächer zu setzen. Angesichts solcher Tendenzen bei Blättern wie den 1827 entstandenen Drei Studien eines Schornsteinfegerjungen »das Problem der Kinderarbeit« zu vermuten, wie es der Katalog tut, geht zu weit. Blechen ging es nicht um Sozialkritik. Er rang, ganz wie die Ausstellungsmacher, um seine Künstlerexistenz. Davon zeugt auch sein Briefwechsel, der in der Nationalgalerie eingangs exemplarisch in Vitrinen dokumentiert wird: Blechen kündigte feste Anstellungen immer wieder, um seinem von ihm selbst vermuteten Genius ganz frei gerecht zu werden.

In ihrer Zweigleisigkeit versucht die Ausstellung allen etwas zu bieten: den Anhängern des romantischen Künstlerverständnisses das verzweifelte Genie, denen der kunsthistorischen Einordnung einen richtungweisenden Maler, seiner Zeit ein Stück voraus. Zusammensetzen muß jeder selbst. Claudia Wahjudi

Bis zum 4.11. Di. bis Fr. von 9 bis 17, Sa. und So. von 10 bis 17 Uhr; Katalog an der Kasse 45 DM.

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